Spannung, die einen zerreißt. Das ist sein Metier und er versteht sich ausgezeichnet darauf. Nicht umsonst katapultierte sein Endzeit-Horror-Schocker "Der Übergang" den amerikanischen Professor für Englisch, Justin Cronin, mit einem Schlag in die Bestsellerlisten dieser Welt. Das Mädchen Amy wird mit nur sechs Jahren von zwei FBI-Agenten entführt und auf ein geheimes medizinisches Versuchsgelände verschleppt. Ein mysteriöses Experiment mit nur einem Ziel: Die Menschen sollen unsterblich gemacht werden.
Doch dann geht etwas schief. So beginnt der erste Teil von Cronin`s Passage-Trilogie, dessen Filmrechte bereits für 1,75 Millionen Dollar von der 20th Century Fox erworben wurden und dessen Stoff voraussichtlich mit Star-Regisseur Ridley Scott verfilmt wird. Gerade hat Harvard-Absolvent Cronin den zweiten Teil seiner Trilogie mit dem Titel "Die Zwölf" veröffentlicht und einem breiten Publikum in Deutschland im Rahmen seiner Lesetour vorgestellt.
Seine Reise führte den sympathischen Familienvater aus Houston auch in die Domstadt am Rhein. Warum der Mann, der im Kalten Krieg groß wurde, nur noch tut, wozu er wirklich Lust hat, aus welchem Grund Deadlines für ihn etwas Abstraktes sind und weshalb er Museen in Köln eher meidet, verriet der Schriftsteller, der schon mit Stephen King verglichen wird, Michaela Boland beim Frühstück.
Michaela Boland: Ihre aktuelle Endzeit-Trilogie "The Passage" dreht sich in faszinierender Weise um eine mögliche Ausrottung der Menschheit durch Eigenverschulden. Sind sie selbst ein Mensch, der den Tod in besonderer Weise fürchtet?
Justin Cronin: Ja, natürlich habe ich Angst vor dem Tod. Wer hat das nicht? (lacht). Ich habe zwar auch mal eine Zeit durchlebt, in der ich dachte, ich sei unsterblich. Aber, jetzt bin ich 50 und das ist ein Alter, bei dem ich anfange, mich hin und wieder doch ein wenig älter zu fühlen.
Michaela Boland: Sie sollen einmal geäußert haben, dass es in der Regel drei Stadien im Leben gäbe, während der sich ein Mensch mit dem Thema "eigener Tod" befasst. Welche sind das ihrer Meinung nach?
Justin Cronin: Ich erinnere mich, dass ich zu dem Thema mal ein Interview gegeben habe, aber was habe ich da nochmal gesagt? Es war jedenfalls brillant (lacht). Ich denke, dass Teenager sich erstmalig mit dem Thema befassen, wenn sie auf dem Weg zu Erwachsenwerden sind. Jüngere Kinder sind ja eher "unsterblich" und haben das Gefühl, dass sie niemals gehen müssen. Wenn dann einmal ein geliebtes Haustier stirbt, ist das zwar sehr deprimierend, verwirrend und unerfreulich, aber bevor man ein Teenager ist, kommen einem diese Gedanken gewöhnlicherweise nicht in den Sinn.
Danach, so schätze ich, dann wieder in der Mitte des Lebens, wo ich mich, so glaube ich, jetzt gerade befinde. Ach was, ich habe die Mitte bereits überschritten (lacht). Dann jedenfalls werden einem die Dinge wieder bewusster und man muss sie in Betracht ziehen. Ich bekomme ja mit, dass meine Kinder groß werden. Meine Tochter ist beinahe schon aus dem Haus.
Michaela Boland:
Ist das jene Tochter, Iris, der wir den ersten Teil ihrer Trilogie "Der Übergang" überhaupt verdanken, weil sie sie im Kindesalter darum bat, einmal eine Geschichte über ein kleines Mädchen zu verfassen, das die Welt rettet?
Justin Cronin:
Ja, richtig.
Michaela Boland:
Wie alt ist sie heute?
Justin Cronin: Sie ist mittlerweile 16 Jahre alt.
Michaela Boland: Ist sie ihr jüngstes Kind?
Justin Cronin:Nein, sie ist die Älteste. Ich habe noch einen jüngeren Sohn. Wir haben spät Kinder bekommen, so wie Leute es heutzutage häufig tun. Wenn ich allerdings noch einmal vor der Wahl stünde, würde ich wohl eher in einem jüngeren Alter Kinder bekommen wollen. Jetzt, in der Lebensmitte werden die Gedanken an die eigene Endlichkeit ein wenig dringlicher und man muss sie eher fürchten, schätze ich. Dann natürlich wieder im Alter.
Michaela Boland:
Sie haben mit dem zweiten Teil der Trilogie, "Die Zwölf", schon viele Lesungen in deutschen Städten abgehalten, waren ja auch mit dem ersten, ausgesprochen erfolgreichen Teil vor deutschem Publikum im Einsatz. Gibt es eigentlich Unterschiede bei Lesungen in verschiedenen Ländern?
Justin Cronin:
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Buchpräsentationen in Deutschland und beispielsweise den Vereinigten Staaten. Allein im Hinblick auf die Dauer einer solchen Veranstaltung. In den Staaten kommt alles, was in dieser Hinsicht länger als 30 Minuten dauert, einem Geiseldrama gleich. Hier in Deutschland kommst du zu einer solchen Veranstaltung und machst sie mal eben annähernd zwei Stunden und niemand haut zwischendurch einfach ab oder schläft ein. Sie sind tatsächlich alle interessiert und hoch konzentriert für ganze zwei Stunden.
Michaela Boland:
Man erwartet hier also mit mehr Spannung, was sie als nächstes im Buch geschehen lassen?
Justin Cronin:
Ja, ganz genau. Doch in Amerika würden die Hörer längst gesagt haben, "können sie mir das nicht eben zum Mitnehmen einpacken".
Michaela Boland:
Halten sie eine solche Lesung am Abend bei uns in Deutschland denn gut durch, wenn sie es aus ihrer Heimat wesentlich kürzer gewohnt sind?
Justin Cronin: Ja, in jedem Fall. Das ist großartig.
Michaela Boland:
Bei den Lesungen für den zweiten Teil ihrer Trilogie, "Die Zwölf", sollen jetzt auch auffällig viele Männer zugegen gewesen sein. Warum ist das so ungewöhnlich?
Justin Cronin:
Ja. Das ist mir selbst zwar gar nicht so aufgefallen, aber meine Verlagspublizistinnen, Manuela und Claudia, haben mich darauf aufmerksam gemacht. Zuvor waren es nämlich meistens Frauen, die zu den Lesungen kamen. In den Staaten ist das üblicherweise so, dass eher Frauen kommen, denn es sind meistens auch Frauen, die Fiction lesen. Diejenigen, die die Romane kaufen, sind in der Regel nun mal weiblichen Geschlechts. Ich möchte nun nicht schwarz-weiß malen und behaupten, dass es immer ausschließlich Frauen sind, aber es ist zumindest statistisch erwiesen, dass sie nun mal mehr Fiction konsumieren als Männer.
Michaela Boland:
Welches Buch lesen sie selbst zur Zeit?
Justin Cronin:
Mein eigenes Buch, denn ich schreibe ja gerade am dritten Teil meiner Trilogie. Eigentlich lese ich ja immer irgendetwas. Beispielsweise Sachen von James Salter. Da ist in den Vereinigten Staaten jetzt gerade ein neues Buch von ihm herausgekommen. Er ist einer meiner Lieblingsautoren. Er ist schon ein etwas älterer Herr und zählt bereits 87 Jahre. Somit ist es womöglich sein letztes Buch. Es ist sehr ruhig gehalten, eben literarische Romandichtung.
Das ist auch das, was ich üblicherweise lese. Ich lese beispielsweise grundsätzlich keine kommerzielle Fiction. Eigentlich kann ich sogar sagen, dass ich ausschließlich literarische Romandichtung lese, denn das hilft mir als Autor. Gut Geschriebenes und gute Sätze zu lesen, das ist das, was mich wirklich weiter bringt.
Michaela Boland:
Also können sie als Bestseller-Autor tatsächlich auch noch etwas lernen? (lacht)
Justin Cronin:
Ja (seufzt). Jim Salter ist 87, glauben sie nicht, dass er womöglich einige Dinge wüßte, die ich nicht weiß? (lacht).
Michaela Boland:
Hat er ebenfalls den in Amerika renommierten Studiengang "Iowa Writers` Workshop" besucht, so wie sie?
Justin Cronin:
Er war sogar Dozent dort. Die meisten Leute haben das gemacht. (lacht)
Michaela Boland:
War er womöglich sogar einer ihrer Lehrer?
Justin Cronin:
Nein, er hat zwar tatsächlich zu der Zeit als ich da war, dort gelehrt, aber ich habe mich nicht für seine Klasse entschieden, was, im Nachhinein betrachtet, natürlich irgendwie blöde war. Ich habe noch nicht mal gewusst, wer er war. Ich war ein junger Bursche, gerade mal 25. Ich habe mich wahrscheinlich gefragt, "wer ist dieser alte Mann". Da wird er so um die 50 gewesen sein, also in etwa so alt wie ich jetzt bin, was schon irgendwie gruselig ist.
Michaela Boland:
Haben sie viele Dinge anders gesehen als sie jung waren?
Justin Cronin.
Ja, leider. Wenn du jung bist, bist du oftmals wirklich töricht. Ich glaube, ich habe niemals James Salter`s unmittelbare Bekanntschaft gemacht. Oder wahrscheinlich habe ich sie sogar irgendwann gemacht als ich da war und es ist mir gar nicht bewusst gewesen. Es durchlaufen ja so viele Menschen Iowa (Anm.d. Redaktion: Iowa Writers` Workshop). Es ist beinahe so etwas wie eine Gemeinschaftserfahrung vieler amerikanischer Schriftsteller eines bestimmten Genres. Also, der literarischen Schriftsteller.
Michaela Boland:
Es sind ja sogar diverse Pulitzer- und andere Literatur-Preisträger aus diesem angesehenen Studiengang der University of Iowa für kreatives Schreiben hervorgegangen.
Justin Cronin:
Richtig, da gab es eine ganze Reihe. Auch International-Book-Awards Preisträger. Von all diesen Rezipienten haben viele den Iowa Writers` Workshop absolviert oder hatten in irgendeiner Form damit zu tun.
Michaela Boland:
Der Studiengang, "Iowa Writers` Workshop", der schon seit dem Jahre 1936 existiert und zunächst mit einer Versammlung von Dichtern und Prosa-Autoren seinen Lauf nahm, erhielt 2003 sogar die erste "National Humanities Medal". Wie einfach war es für sie, in einen Studiengang mit derart hohem Anspruch zu gelangen?
Justin Cronin:
Oh Gott, die Voraussetzungen für die Aufnahme waren durchaus schon zu meiner Zeit ziemlich hart. Allerdings habe ich nun gehört, dass es noch viel schwieriger geworden ist, dort hinein zu kommen.
Michaela Boland:
Was heißt das?
Justin Cronin:
Keine Ahnung, vielleicht 400 Bewerber pro einzelnen Kurs, so etwas in der Art. Es heißt sogar, es sei schwieriger dort hinzukommen als an das MIT (Anm. d. Red.: Massachusetts Institute of Technology). Das ist aber an für sich kein objektiver Maßstab. Denn das, was man tut, ist ja einzig, ihnen zu zeigen, was man geschrieben hat, seine Fiction eben. Du präsentierst ihnen deine Worte, deine Geschichten und sagst, "hier, bitte seht euch das mal an".
Deshalb packt es dann der eine und kommt hinein, der andere nicht. Aber kann man denn tatsächlich sagen, der eine ist wirklich besser als der andere oder der eine wird mal ein besserer Schriftsteller als der andere? Nein, so etwas kann man doch zu diesem frühen Zeitpunkt eigentlich noch nicht beurteilen.
Michaela Boland:
Also, ist das notwendige Quäntchen Glück auch hier noch von entscheidender Bedeutung?
Justin Cronin:
Absolut, sogar eine ganze Menge Glück ist hierfür nötig.
Michaela Boland:
Wollten sie schon immer Schriftsteller werden?
Justin Cronin:
Nein. Ich wurde lediglich Schriftsteller, weil ich immer wieder vergaß, mich an einer juristischen Fakultät einzuschreiben. (lacht)
Michaela Boland:
Wie kam das?
Justin Cronin:
Ich mochte die Vorstellung einfach, Autor zu sein. Denn ich habe mir das Schriftsteller-Dasein niemals als anstrengenden Werdegang vorgestellt. Ich dachte, es könnte möglicherweise ein charmanter Lifestyle sein (lacht). Ich habe mich niemals in etwas gesehen, das man als einen "richtigen Job" bezeichnen würde. Zum Beispiel so einen klassischen Firmenjob. Auch habe ich nie gewusst, was die Menschen den ganzen Tag lang in diesen hohen Bürogebäuden machten.
Mein Vater arbeitete für einen riesigen Konzern und war extrem unglücklich, soweit ich das beurteilen kann. Zwar gab er mir keinerlei unmittelbare Ratschläge für meine Karriere, allerdings tat er es indirekt anhand seines eigenen Beispiels sicherlich doch. Ich fühlte eigentlich nicht den Druck, jetzt unbedingt eine Karriere voranzutreiben. Ich war eher langsam und faul im Hinblick auf meine Zukunftsgestaltung. Ich hatte eine großartige Ausbildung in Harvard, aber ich absolvierte das Fach Englisch und ich las einfach Bücher.
Ich erlernte also keineswegs etwas von praktischer Bedeutung. Meine Verwandten in Frankreich vertraten die Anschauung, dass ich gut Anwalt werden könne, weil ich ein schnellsprechender Klugscheißer war. Das war grundsätzlich, was sie gesagt haben, "er spricht gut, er liest viel und schreibt gut. Er könnte Anwalt werden". Für so etwas muss man allerdings eine Menge Geld aufbringen.
Man kann sich das auch leihen. Wenn du allerdings in Amerika Geld für das Jura-Studium aufnimmst, wirst du besser ein guter Anwalt, wenn du es dann anschließend wieder zurückzahlen musst. Und ich war mir einfach nicht sicher, ob ich so etwas wollte. Mein Vater hat eine Law-School besucht, ist aber nie Anwalt geworden. Insofern habe ich dann eben für eine Weile als Lehrer gearbeitet.
Michaela Boland
Wo und was haben sie unterrichtet.
Justin Cronin:
An einer Highschool. Ich unterrichtete dort einige Jahre Englisch. Und ich reiste eine Weile in Europa herum. Ich hatte ein InterRail-Ticket und so verbrachte ich sechs Monate mit Reisen. Existieren die eigentlich noch in der Form, wie es sie damals gab? Man konnte in jeden Zug einsteigen und sie akzeptierten das InterRail-Ticket als 1. Klasse Ticket. Ich bin damals mit einem Freund zusammen aufgebrochen. Insgesamt war ich acht Monate hier in Europa, aber ich landete am Ende davon allein einige Monate in Italien, wo ich ein nettes Mädchen kennengelernt hatte. Daher blieb ich erst mal dort.
Michaela Boland:
Romantische Inspirationen können sie also durchaus aus eigener Erfahrung in frühester Jugend in ihre Werke einfließen lassen?
Justin Cronin:
Nun ja, was kann einem besseres passieren als nach Italien zu gehen und dort eine wunderschöne Liebesaffäre zu leben? Das kann einen durchaus sehr bereichern. Also, warum sollte ich gleich wieder aufbrechen? Anschließend habe ich mich noch eine Weile ein wenig treiben lassen und dann habe ich mich für verschiedene Schreib-Lehrgänge beworben, denn ich mochte nicht mehr länger Lehrer sein. War mir zu viel Arbeit.
Michaela Boland:
War das dann bereits in Iowa?
Justin Cronin:
Ja, es gibt auch dort jede Menge unterschiedliche Studienangebote. Heutzutage sogar noch einmal viel mehr als damals. Ich bewarb mich dann auch an Journalistenschulen, denn ich wollte etwas mit Schreiben machen. Ich ging nur deshalb nach Iowa, weil dafür bezahlt wurde. Ich hatte ein Stipendium. Das war der Grund, warum ich überhaupt nur dorthin gehen konnte. Ich hatte allerdings immer nur gerade so viel Erfolg, dass alles so eben irgendwie weiterlaufen konnte. Es ging alles nur sehr langsam voran.
Mein erstes Buch habe ich erst nach zehn Jahren veröffentlicht. Ich habe dann wieder mit dem Unterrichten begonnen, allerdings diesmal an der Universität. Ich habe hart daran gearbeitet, und versucht ein guter Lehrer zu sein, außerdem auch immer wieder Geschichten veröffentlicht, aber noch kein Buch. Es folgte die Heirat und wir bekamen Kinder. Wir kauften dann ein kleines Haus und hatten Fixkosten. Insofern war ich gerade im Begriff, mir ein typisches Mittelklasse-Leben aufzubauen.
Michaela Boland:
Wie ging ihr Weg dann weiter?
Justin Cronin:
Dann verkaufte ich ein Buch, anschließend noch eins. Allerdings verdiente ich noch nicht genug Geld, um mich ausschließlich von diesen Büchern über Wasser halten zu können. Also arbeitete ich dann auch noch als freier Autor und verfasste Fachbücher, Geschichtsbücher, Reiseführer und all solche Sachen. So arbeitete ich nahezu rund um die Uhr. In meinen Dreißigern verbrachte ich fast all meine Zeit in meinem Büro.
Michaela Boland:
Hatte ihre Familie dann überhaupt noch etwas von ihnen?
Justin Cronin:
Kaum. Ich bin jemand, der eigentlich schwer arbeitet. Aber, das tun ja die meisten. Gewöhnlich durchschnittlich zehn Stunden am Tag. Allerdings ist das ja ein Pensum, welches die meisten Amerikaner täglich absolvieren müssen, zumindest die mit einem Job. Insoweit kann ich das akzeptieren (lacht). Das Gute im Vergleich zu meinem jetzigen Leben bestand allerdings darin, dass ich einen sehr beweglichen Tagesablauf hatte.
Ich konnte auch nachts arbeiten, wenn es notwendig war. Wenn beispielsweise eins meiner Kinder Fieber hatte, blieb ich zu Hause, um mich um das Kind kümmern zu können. Denn, wenn eins von ihnen aus gesundheitlichen Gründen mal nicht zur Schule gehen konnte, dann war ich eben dafür verantwortlich, weil ich das im Gegensatz zu meiner Frau tun konnte. Sie musste nämlich immer pünktlich bei der Arbeit erscheinen.
Michaela Boland:
Ist ihre Gattin nicht auch Lehrerin?
Justin Cronin:
Sie war es. Mittlerweile ist sie es nicht mehr. Sie hat ebenfalls High-School-Englisch unterrichtet und musste jeden Morgen um 7.30 Uhr vor Ort sein.
Michaela Boland:
Wo haben sie einander kennengelernt?
Justin Cronin:
Wir haben uns in Iowa getroffen. Sie war auch Studentin dort.
Michaela Boland:
Dann kam eines Tages doch noch der große Erfolg mit "The Passage" ("Der Übergang"). Was veränderte das?
Justin Cronin:
Ja, dann entstand "The Passage" und es brachte mir eine Menge Geld von vielen verschiedenen Verlegern ein. In den Vereinigten Staaten, England und überall. Jetzt könnte ich es mir leisten, ausschließlich zu unterrichten, aber nun habe ich nicht mehr die Zeit dazu. Dann habe ich allerdings realisiert, dass ich glücklich darüber bin, diesen Abschnitt meines Lebens abgeschlossen zu haben. Ich habe immerhin beinahe 28 Jahre lang unterrichtet, das ist schon eine ganz schön lange Zeit. Ich habe ja mit 21 begonnen und letztendlich erst im vergangenen Juni mein Lehramt niedergelegt.
Michaela Boland:
Also handelt es sich nicht nur um ein vorrübergehendes Aussetzen als Lehrbeauftragter, sondern sie haben den Dienst komplett quittiert?
Justin Cronin:
Ich bin zwar immer noch ein angesehenes Fakultätsmitglied, aber ich mache dort nichts mehr.
Michaela Boland:
Bedauern das ihre Studenten nicht?
Justin Cronin:
Vielleicht. Aber, wenn man etwas erst mal 25 Jahre gemacht hat, reicht es auch. Außerdem kann ich mich glücklich darüber schätzen, dass es mir gelungen ist, nach dieser langen Zeit, meiner Karriere noch einmal eine völlig neue Richtung zu geben. Den wenigsten Menschen gelingt das noch in der Mitte ihres Lebens. Ich war immerhin schon 44 oder 45 Jahre alt als ich "Der Übergang" schrieb und ich bedauere das keinesfalls. Ich glaube, dass sich jeder zu einem Zeitpunkt wünscht, die Chance zu haben, noch einmal etwas ganz anderes zu machen.
Michaela Boland:
Sie haben ja neben dem Fach Englisch hauptsächlich fiktionales Schreiben unterrichtet. Wie viel Prozent des guten Schreibens sind erlernbar und wie viel Prozent liegen einzig im Talent begründet?
Justin Cronin:
Es handelt sich dabei durchaus um eine erlernbare Fertigkeit.
Michaela Boland:
Bedeutet das, dass man aus jedem einen guten Schreiber machen könnte?
Justin Cronin:
Nein, aber man könnte aus jedem einen besseren Schreiber machen. Ich könnte beispielsweise nicht gelehrt werden, ein Mathematiker zu sein, aber man kann mir gewiss etwas Mathe beibringen. Ich war während der ganzen High-School ein ganz guter Mathe-Schüler, hatte Einsen. Und dann ging ich ans College und belegte mehr Mathe, weil ich es irgendwie mochte. Dann machte ich lineare Algebra, Vektorenrechnung und solche Dinge. Doch eines Tages konnte ich einfach nichts mehr verstehen. Mein Gehirn hörte schlichtweg damit auf, die Dinge nachzuvollziehen.
Ich konnte mir das Hirn zermartern, es brachte nichts. Also ging ich während der Sprechstunde ins Büro meiner Lehrerin, die eine wunderschöne, bereits graduierte Studentin namens Emma war. Ich sagte ihr, "Emma, ich verstehe gar nicht s mehr, kannst du mir helfen". Sie antwortete, "na, dann lass uns mal darüber sprechen, was genau dir unklar ist". Mir war aber plötzlich irgendwie alles unklar, ich habe rein gar nichts mehr gerafft. Wir bemächtigten uns zunächst der Vorstellung einer gewissen Unbegrenztheit.
Das führte bei mir allerdings zu einer Art Existenzkrise, die mich so richtig aufgewühlt hat. Ich dachte, ich würde alles verpfuschen. Im nächsten Semester habe ich dann alles nur noch verhauen, nachdem ich im ersten Semester ja noch meine Eins hatte. Wenigstens hat Emma dann zugestimmt, mir immerhin noch eine 3+ zu geben. Das war es dann. Ich hatte eben einfach die Grenze meiner gedanklichen Mathekapazitäten erreicht, so einfach war das. Danach habe ich dann eben entschieden, Mathe nicht mehr weiter zu wählen. Das persönliche Limit war erreicht.
Michaela Boland:
Was genau will der Autor damit sagen?
Justin Cronin:
Als Schreiblehrer erzähle ich meinen Studenten immer genau diese Story. Ich sage ihnen, dass sie vielleicht keine Grenzen haben. Womöglich hört ihr aber auch euer Limit. Vielleicht dauert es auch zehn Jahre. Auch sage ich ihnen immer, dass ich sicher bin, dass keiner von ihnen genug gelesen hätte, um schon jetzt ein guter Schriftsteller zu sein. Wenn du Schriftsteller werden willst, dann garantiere ich dir, dass nichts wirklich Gutes dabei sein wird, bis du mindestens 40 Jahre alt bist. Denn bis dahin weißt du einfach noch nicht genug über die Welt.
Alles, was du bis dahin sagst, wird wahrscheinlich ein klein bisschen falsch sein. Seit ich allerdings 50 bin, erkläre ich immer, dass alles, was du bis dahin geschrieben hast, es eigentlich gar nicht wert war, bevor du 50 bist (lacht). Aber im Ernst, eine ganze Menge ist erlernbar, eine ganze Menge ist Handwerk, viel ist auch zu lernen, die Dinge bewusster zu lesen. Ein Teil ist Talent oder Instinkt.
Michaela Boland:
Was genau raten sie dann Menschen, die Schriftsteller werden wollen?
Justin Cronin:
Ich sage ihnen, "ihr müsst das Ganze wie einen Job behandeln. Stellt euch jeden Tag aufs Neue unter Beweis".
Michaela Boland
Wenn es wie ein ganz normaler Job anzusehen ist, können sie sich dementsprechend auch einfach morgens hinsetzen und drauflos schreiben, so wie Menschen in herkömmlichen Berufen auch morgens anfangen und drauflos arbeiten?
Justin Cronin:
Ja, es ist einfach harte Arbeit.
Michaela Boland:
Man braucht insoweit nicht auf Eingebung zu warten, bis einen sozusagen die Muse küsst?
Justin Cronin:
Nun, ich will ja nicht sagen, dass das Ganze eine mystische Qualität hat, dann müsste man sich zunächst wieder die Frage stellen, woher Kunst kommt. Vielleicht irgendwo von oben? Möglicherweise vom Kölner Dom, vor dem wir jetzt gerade sitzen? (lacht) Keine Ahnung. Aber in jedem Fall bekommst du nichts getan, bevor du nicht an deinem Schreibtisch sitzt. Also, man sollte zunächst mal dafür sorgen, dass man an seinem Schreibtisch Platz nimmt. Wenn ich ein Buch schreibe, verbringe ich ungefähr sechs Monate damit, darüber nachzudenken und ca. 18 Monate, es niederzuschreiben.
Michaela Boland:
Wie läuft es dann konkret innerhalb des ersten halben Jahres ab?
Justin Cronin:
Da schreibe ich eigentlich eher aufs Geratewohl los, scroll dann rauf und runter. Allerdings mache ich mir schon eine Liste der Ereignisse, was wann passiert. Man muss sich das vorstellen wie eine ganz strikt geplante Architektur. Die Dinge müssen ja auch in ihrer Logik zusammenpassen und in Zeit, Raum und Handlung aufeinander abgestimmt sein und in einer bestimmten Reihenfolge passieren.
Alles muss Sinn machen. Manchmal sehe ich Filme und wenn ich sie dann ein zweites Mal sehe, dann frage ich mich Sachen wie, "warum hat er jetzt nicht sein Telefon benutzt und den anderen informiert". Also, manchmal passen die Geschehensabläufe gar nicht zusammen. Man muss immer sicherstellen, dass man nachvollziehbare Bedingungen für das, was geschieht, schafft, und das bedarf einer ganzen Menge detaillierter Planung.
Michaela Boland:
Haben sie insoweit für die Passage-Trilogie von vorne herein derartig viele unterschiedliche Charaktere eingeplant, wie letztendlich mitspielen? Bereits im ersten Teil, " Der Übergang", werden ja schon zu Beginn jede Menge Personen eingeführt.
Justin Cronin:
Ja, die meisten in der Tat. Allerdings kamen auch einige erst zu einem späteren Zeitpunkt ins Spiel. Dies war dann allerdings lediglich notwendig, weil sie einen Job erfüllen mussten, von dem ich wusste, dass ich da noch weitere Charaktere benötigen würde, um das zu gewährleisten. Insoweit war das Mittel zum Zweck und nicht weiter überraschend.
Michaela Boland:
Ist es für sie grundsätzlich leicht, sich in unterschiedliche Charaktere hineinzufühlen? Immerhin ist die Protagonistin aus "Der Übergang" zunächst erst sechs Jahre alt. Inwieweit war ihnen dabei womöglich ihre damals noch kleine Tochter hilfreich?
Justin Cronin:
Ich habe jede Menge Zeit mit einem kleinen Mädchen verbracht, allerdings ist meine Tochter nun natürlich nicht mehr klein. Die Aufgabe eines Schriftstellers ist es, herauszufinden, wie sich die Gedanken des Lesers besetzen lassen. Und bevor du das nicht vermagst, wirst du dein Leben lang nur immer wieder deine eigene Biographie zu Papier bringen und das ist in meinen Augen das nervigste, was ich mir vorstellen kann. Ich weiß einfach nicht, wie man jeden Morgen aufstehen und so etwas machen mach. Ich habe tatsächlich auch Schriftsteller kennengelernt, die im Grundsatz ihre eigene Lebensgeschichte sechs Mal in sechs unterschiedlichen Geschichten umgesetzt haben. Das kommt schon ein wenig schräg rüber.
Michaela Boland:
Wie kann man ausschließen, dass man regelmäßig etwas von sich selbst in die Charaktere einfließen läßt?
Justin Cronin:
Da ist schon immer irgendetwas von mir in jedem einzelnen Charakter meiner Bücher. Ganz sicher sogar. Wir sind ja alle Menschen. Mein Gefühl für menschliches Verhalten führt dazu. Jeder startet ja nun einmal an der Basislinie der Menschlichkeit. Das ist der Grund dafür, warum ich überhaupt dazu in der Lage bin. Wenn ich mir zum Beispiel die Frage stelle, wie kann ich aus der Perspektive eines Obdachlosen schreiben, dann beantworte ich sie mir dahingehend, dass dieser Obdachlose im Prinzip genau wie ich ist.
Er hat zwar andere Leidenserfahrungen gemacht als ich, hat einen anderen Hintergrund und die Welt hat ihn sicherlich völlig anders betrachtet. Aber in diese äußeren Umstände kann ich mich hineindenken. Man muss einfach darauf vertrauen, dass uns schließlich allen die Menschlichkeit gemein ist. Mich in unterschiedliche Charaktere hineinversetzen zu können ist aber auch meine Aufgabe als Schriftsteller. In meinem ersten Buch, welches ich 2001 veröffentlicht habe, gibt es eine Wehen- und Geburtsszene.
Da wird also ein Kind geboren und dies wird aus der Perspektive einer Frau geschildert. Ich habe sehr oft gehört, dass dies absolut überzeugend war. Einige Frauen, die das Buch gelesen hatten, haben anschließend gesagt, "Wow, das ist die beste Geburtsszene, die ich je gelesen habe, und ein Mann hat sie geschrieben. Wie ist das möglich". Die Antwort lautet: Ich habe eben einfach viel gelesen. Das Lesen ist das beste Mittel, um ein guter Schriftsteller zu werden.
Darüber hinaus habe ich auch erlebt, wie meine Frau das erste und später das zweite Kind bekommen hat. Ich war mit im Raum, also weiß ich natürlich, was bei so einer Geburt auf einen zukommt. Ich weiß, wie sie sich offensichtlich währenddessen fühlte. Aber natürlich ist es, was die Schmerzen anbelangt, etwas völlig anderes, ob du selbst mitten im Geschehen bist, oder, ob du wie ich, außerhalb des Geschehens stehst.
Ich sagte zu ihr, "Das ist super gutes Material", und fragte sie, "kannst du bitte gerade mal ganz genau beschreiben, was in diesem Augenblick mit dir geschieht". Leider war sie in dem Moment nicht sonderlich hilfreich. (lacht). Aber, was man natürlich tun muss, ist, seinen Geist immer wieder dahingehend zu schulen, sich in andere hineinzuversetzen.
Michaela Boland:
In ihrem Buch spielen Vampire eine Rolle. Mochten sie früher gerne Vampir- oder speziell Dracula-Filme?
Justin Cronin:
Einige durchaus. Ich wuchs ja in den Sechzigern und Siebzigern auf. Meine Kindheit ging von 1962 bis 1980. Wir hatten nicht ebenso großen Zugriff auf kommerzielle Unterhaltungsmöglichkeiten wie die Kids von heute. Es gab gerade mal drei Fernsehprogramme bei uns zu Hause und das auch noch in schwarz-weiß. Wir hatten zwei Kinos in der Nähe mit jeweils einer Leinwand und als das eine Kino eine zweite Leinwand erhielt, kam das fast einem Skandal gleich.
Ein Film wurde im Kino über Monate gespielt. Ich hatte auch nicht so viel Zugriff auf die Popkultur. Ich beschäftigte mich meistens mit Wörtern. Die Bücher, die ich las, waren die, die ich entweder einmal im Jahr beim Taschenbuchtrödel in der Schule erwerben oder alles, was ich in der Schulbibliothek ausleihen konnte. Also, was habe ich damals eigentlich aufgenommen?
In jedem Fall habe ich eine Menge phantastischer Romane und Science Fiction verschlungen. Die Sechziger und Siebziger Jahre waren eine gute Zeit für das Science Fiction-Genre. Und ich las jede Menge davon. Ich sah allerdings auch viele große Filme, die zu dieser Zeit herauskamen. Zum Beispiel "2001: Odyssee im Weltraum" oder "Planet der Affen".
Michaela Boland:
Haben sie auch die Neuverfilmung dieses Klassikers mit Mark Wahlberg gesehen?
Justin Cronin:
Oh, bitte. Sogar die allerneuste Wiederverfilmung ist so stupide. Das Original ist ein regelrechtes Monument, es ist großartig. Da kann nichts herankommen. Ich habe jedenfalls früher viel Phantasy- und Science Fiction in mich aufgesogen, demgegenüber nicht so viel Horror. Der einzige Horror, den ich konsumierte, war eher in Buch-bzw. Heftform. Ich verbrachte mal einen Sommer bei meiner Großmutter und da gab es einen Süßigkeitenladen in der Nähe. Die hatten auch Comichefte, gleich neben der Tür in einem Drahtständer, welche einen Vierteldollar kosteten.
Ich bekam damals immer 25 Cent die Woche für Süßigkeiten, die ich aber regelmäßig in Comichefte investierte. Zum Beispiel "Märchen aus dem Gruft" oder was auch immer. Auf die Art bezog ich also meinen Horror. Irgendwann sah ich auch mal den Original-Dracula-Film, der aber eher schwerfällig daherkam und mich sogar langweilte. Es gab auch mal eine Vampir-Soap-Opera im Fernsehen, die alle von uns sahen. Sie kam immer nachmittags um drei oder vier Uhr.
Es war eine sehr preisgünstig produzierte Serie. Sie hieß "Dark Shadows" und wurde vor kurzem sogar noch einmal als Komödie mit Johnny Depp in der Hauptrolle neu verfilmt. Der Film war zwar ein absoluter Flopp, aber die Serie war so eine Art Klammer rund um meine Kindheit. Somit habe ich mehr oder weniger dasselbe aufgenommen wie die meisten Leute. Ich wurde mit Filmen wie "Planet der Affen" und Konsorten geradezu an die sogenannte Endzeit-Thematik herangeführt, denn wir befanden uns ja im Kalten Krieg. Wir haben damals alle wirklich geglaubt, dass die Welt in absehbarer Zeit untergehen würde.
Michaela Boland:
Die latente Angst davor schlummerte somit in der ganzen Generation?
Justin Cronin:
Ja, auf jeden Fall. Ich wurde beispielsweise sechs Wochen vor der Kuba-Krise geboren. Die Welt, wie wir sie kannten, hätte damals tatsächlich beinahe ein Ende gefunden. Da hat immerhin bei Weitem einer der gefährlichsten Momente in der Geschichte der Menschheit stattgefunden. Als es soweit kam, hatten wir keinerlei Maßstab für so etwas, womöglich waren die Dinge einfach bar jeden Verstandes. Auf jeden Fall war ich nun mal ein Kind des Kalten Krieges und ich glaube, wir alle haben uns häufig recht intensiv damit beschäftigt.
Michaela Boland:
Sie haben geäußert, dass Vampirgeschichten aus unterschiedlichen Zeiten allesamt verschiedene Aussagen tätigten. Wie ist das konkret gemeint?
Justin Cronin:
Die Vampirgeschichte ist an für sich keine eigenständige Geschichte bei mir, sondern dient lediglich als Füllstoff. Es ist einfach nur Material, dass du zu unterschiedlichen Zwecken gebrauchen kannst. Vampire sind in gewisser Weise einfach anders als andere Monster. Ich habe es nur aufgegriffen, weil ich Stoff brauchte, ich war aber keinesfalls irgendwie darauf festgelegt. Vampire sind von daher interessanter als andere Monster, weil sie mehr Details aufweisen. Es gibt ja insgesamt vier Grund-Monster-Typen.
Da haben wir das Frankenstein-Monster, den Werwolf, den Zombie und den Vampir. Das ist es schon. Alles passt ganz gut in eine dieser Kategorien. Bei den Werwölfen ist es einzig die Frage nach Mensch oder Hund, aber das kennen wir ja schon zur Genüge. Bei "2001: Odyssee im Weltraum" war beispielsweise der Computer das Frankenstein-Monster. Das stand für die Angst vor den neuen Technologien. Doch eigentlich fühlen wir uns mit den Annehmlichkeiten der neuen Technologien ja durchaus wohl.
So könnte ich zum Beispiel sagen, dass mein I-Phone mein Frankenstein-Monster ist, aber ich laufe den ganzen Tag damit herum und es ist ausgesprochen angenehm. Bei Zombies gibt es ja an für sich nicht allzu viel zu sagen, außer, dass man in den Zombie-Erzählungen früher oder später eben immer zu dem Schluss kommt, dass Zombies schon tot sind, und es nicht notwendig ist, erneut auf sie zu schießen. Einmal abgesehen davon, dass es sogar eher unangenehm sein könnte.
Es kommt immer zu einer Parität. Aber rund um die Vampire kann man immer mit den Einzelheiten wie Knoblauch, Spiegel oder Tageslicht spielen. Es ist eine recht biegsame Thematik, deshalb kannst du sie immer wieder auf eine neue Geschichtenart anwenden und es wird funktionieren. Das ist der Grund dafür, warum man die Vampirgeschichten immer wieder aufs Neue anwenden kann. Ich habe sie in meinen Büchern nur benutzt, um das Problem der Gefahrschaffung in der Welt zu lösen. Ich wollte nämlich keinerlei Elemente der Magie in meiner Geschichte haben.
Michaela Boland:
Da möchte ich sie sogleich unterbrechen und fragen, was es dann im ersten Buch in einer Szene damit auf sich hat, dass Protagonistin Amy (sechs Jahre) mit ihrer bloßen Anwesenheit im Zoo dafür sorgt, dass sämtliche Tiere wie von Zauberhand getrieben, panisch die Flucht ergreifen, sobald sie die Anwesenheit des Kindes spüren? Das mutet irgendwie durchaus wie Magie an, wenngleich auch eher dunkler? Wirkt spooky.
Justin Cronin:
Jeder fragt mich danach. Es ist tatsächlich gruselig. Aber, alles innerhalb des Buches besitzt eine Analogie innerhalb der Natur. Das ist nicht magisch. Das kann es natürlich sein, wenn man es so sehen will. Ich würde das jedoch nicht sagen, da gibt es keine Magie im Buch, außer vielleicht Gott. Aber es ist ja bekannt, dass Tiere über eine gewisse Sensitivität verfügen, die wir nicht nachvollziehen können. Man kennt ja die Geschichten darüber, dass Tiere bestimmte Ereignisse lange spüren, bevor sie tatsächlich eintreten. Man könnte sich die Szene im Buch insoweit so erklären, dass Amy so eine Art Erdbeben ist.
Michaela Boland:
Allerdings würde das ja bedeuten, dass Amy bereits zu einem Zeitpunkt eine "Art Erdbeben" ist, lange bevor sie die Injektion mit dem synthetisierten Virus zwangsweise verabreicht bekommt. Warum ist das Kind in ihrer Geschichte denn von vorneherein "merkwürdig"?
Justin Cronin:
Die Erklärung, die ich üblicherweise für diese Szene im Buch gebe, wenn ich auf den Umstand angesprochen werde, dass die Tiere im Zoo Amy bereits vor der Injektion als eine Art Erdbeben empfinden, ist die, dass sie eben eine Materie von solch kosmischer Bedeutung ist, dass es das Universum längst weiß.
Michaela Boland:
O.K.. Das muss ich dann wohl so hinnehmen.
Justin Cronin:
Vielleicht ist es einfach genau das, was Tiere voraussehen, wenn Erdbeben nahen, ich weiß es nicht. Es gibt nun mal viele Dinge in der Natur, die wir nicht erklären können. Vor 20 Jahren wäre mein I-Phone noch Magie gewesen. Da ist aber eben auch eine Menge Physik im Spiel. Die einzige Art von Magie, die ich vielleicht in "Der Übergang" eingearbeitet habe, ist womöglich der Umstand, dass die Vampire Angst vor Kreuzen haben. Also eine Art christliche Magie. Das ist auch schon alles.
Die Sache mit den Spiegeln, in denen Vampire typischerweise kein Spiegelbild haben, habe ich bewusst weggelassen, sondern das Gegenteil umgesetzt. Bei mir können sie in den Spiegel blicken, doch was sie dort sehen, macht sie regelmäßig sehr traurig. Es ist sogar extrem schmerzhaft für sie. Sie erkennen, was aus ihnen geworden ist im Vergleich zu dem, was sie einmal waren.
Das ist ja auch typischerweise das, was Menschen widerfährt, wenn sie älter werden. Das ist alarmierend. Ich beobachte das bei mir selbst ja auch. In dir drin fühlst du dich immer wie du, ob du 18, 25 oder wesentlich älter bist, aber äußerlich bleibst du es eben nicht.
Michaela Boland
Sie können sich hinsichtlich ihres nach wie vor jungenhaften Aussehens doch eigentlich nicht beschweren.
Justin Cronin:
Vertrauen sie mir, ich kann. (lacht)
Michaela Boland:
Sind sie gläubig?
Justin Cronin:
Sicher. Ja, es ist sehr hilfreich.
Michaela Boland:
Am Anfang des Buches "Der Übergang" begeben sich einige Wissenschaftler auf eine Expedition in den Dschungel. Die Vorkommnisse dort führen zu genetischen Veränderungen bei einigen der Überlebenden. Wie intensiv mussten sie sich hierfür in die Materie der Mutation durch fremdartige Viren einarbeiten?
Justin Cronin
Ich musste mich in jede Menge unterschiedliche Bereiche erst intensiv einarbeiten. Es gibt manches, in das man sich tiefer einarbeiten muss als in anderes. Ich bin natürlich kein Fachmann für diese Dinge, aber, Gott sei Dank gibt es das Internet. Als ich damals mit dem Schreiben anfing, gab es das ja noch nicht, da musste man immer in die Bibliothek marschieren und manchmal tue ich das sogar noch heute. Bei dem ganzen Themenkomplex rund um das Militär benötigte ich Fachwissen.
Dafür brauchte ich dann tatsächlich jemanden, der mir dabei helfen konnte. Die meisten Dinge lassen sich durch selektives Suchen aber verhältnismäßig leicht selbst herausfinden. Das medizinische Fachwissen, das ich brauchte, konnte ich allerdings durch einen ehemaligen Freund erwerben, der Arzt und auf Krebs spezialisiert war. Ich weiß zwar nicht mehr, wie wir auf dieses Thema kamen, aber er erwähnte einmal, dass bei Patienten, die Krebs hatten, die Thymusdrüse eine entscheidende Rolle spielen kann. Sie hat eine wichtige Funktion innerhalb der Immunabwehr. Das war genau das, was ich brauchte.
Micaela Boland:
Ist es nicht hin und wieder ermüdend, wenn man inmitten seines kreativen Schreibflusses immer wieder Fachwissen recherchieren muss?
Justin Cronin:
Überhaupt nicht. Es macht tatsächlich großen Spaß und man lernt eine Menge dabei. Es hilft einem sogar dabei, die Geschichte im Kopf klar und vor allem rund zu bekommen. Für das zweite Buch musste ich jede Menge über Petroleum lernen. Beispielsweise über die Verfeinerung von Petroleum. Im zweiten Teil, "Die Zwölf", spielt Öl eine wichtige Rolle. Manche Sachen kann ich, um ehrlich zu sein, auch einfach machen, weil ich einige Dinge ohnehin schon weiß.
Insoweit wusste ich zum Beispiel, dass die strategischen Petroleum Reserven zum Teil in Freeport in Texas liegen. Milliarden von Barrels werden dort von der Regierung für den Fall eines Krieges gehortet. Es wurde auch versucht, die Märkte zu stabilisieren. Nicht raffiniertes Öl wurde einbehalten. Ich weiß wo es ist, ich weiß, warum wir es haben und ich weiß das, weil ich ein Typ bin, der schlicht und ergreifend eine Menge Zeug lernt.
Es ist unglaublich hilfreich, wenn man Kenntnis über viele unterschiedliche Dinge hat, wenn es darum geht, mit einer Geschichte anzufangen. Also, ich wusste zwar, wo sich das Öl befand, aber es galt für mich noch herauszufinden, wie man es raffiniert. Und konkret, wenn man es raffiniert, wieviel man dann erhält, wie viel Kerosin dabei herauskommt und wie man das ganze transportiert. All das habe ich dann eben versucht herauszufinden. Und das ist mir dann auch in allen Einzelheiten gelungen.
Michaela Boland:
Legen die Leser großen Wert darauf, dass innerhalb ihrer fiktionalen Geschichten die beschriebenen Fakten auch wirklich den Tatsachen entsprechen und überprüfen ihre Angaben gegebenenfalls?
Justin Cronin:
Manchmal machen sie das tatsächlich. Ich habe beispielsweise viele Leser, die dem Militär angehören und da hat man natürlich häufig viel Zeit, wenn nichts zu tun ist. Man kann da ja nicht mal eben irgendwohin ausgehen, sondern muss in seiner Uniform, manchmal bei unangenehmen Temperaturen, an der Basis bleiben und sitzt nur herum. In dieser Zeit kann man eben lesen. Sehr viel lesen sogar. Deshalb lieben sie dort oftmals Bücher und handeln sogar untereinander damit.
Ein Soldat erzählte mir einmal, dass bei der Army Bücher das seien, was im Gefängnis Zigaretten sind. Ich treffe ja hin und wieder Soldaten bei Bookevents, auch emailen sie mir oder kommunizieren über Facebook mit mir. Außerdem habe ich auch Bekannte unter ihnen, die mir für bestimmte Sequenzen im Buch hilfreich zur Seite gestanden haben. Jedenfalls würden diese Leser sofort merken, wenn das, was ich beispielsweise im Hinblick auf militärische Strukturen oder gar Feuerwaffen schreibe, nicht der Realität entsprechen würde.
Leider werden in den meisten Büchern Fachkenntnisse nur vorgetäuscht und das sehr schlecht. Ich halte es grundsätzlich gegenüber den Menschen für despektierlich, wenn man bestimmte Sachen, von denen man keine Ahnung hat, niederschreibt, ohne zuvor zu recherchieren, wie sich die Dinge tatsächlich verhalten. Man kann natürlich nicht immer alles hundertprozentig richtig hinbekommen, aber ich versuche stets, so viel ich kann, richtig zu machen. Mir geht es eben darum, die Leser auch zu überzeugen und dadurch alles, was ich schreibe, als durchaus möglich erscheinen zu lassen.
Michaela Boland:
Egal, mit welcher Thematik?
Justin Cronin.
Ja. Mir wurde zum Beispiel gesagt, "Was, es sollen Vampire in deiner Geschichte vorkommen? Nimmst du uns auf den Arm", aber ich habe einfach versucht, diese Thematik dennoch komplett möglich und nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Und das Ergebnis ist, dass mir die Leute heute wirklich sagen, "wow, das, was du geschrieben hast, wirkt so echt, dass es definitiv angsteinflößend ist".
Michaela Boland:
Wie weit gehen ihre Recherchen üblicherweise?
Justin Cronin:
Um etwas über Feuerwaffen zu lernen, habe ich mich zum Beispiel intensiv in die Materie eingearbeitet, da in den Büchern immer wieder mal solche Waffen zum Einsatz kommen. Also weiß ich nun alles darüber. Wie sie funktionieren und wie sie anzuwenden sind. Vor kurzem musste meine Tochter mal etwas darüber wissen, also bot ich ihr an, ihr eine Lehrstunde über Pistolen zu geben.
Anschließend waren wir im Kino in einem Film mit Tom Cruise, "Jack Reacher", und konnten bei den Szenen, in denen er eine Waffe gebrauchen musste, beinahe überhaupt nicht hinsehen. Das war so lächerlich. Ich sah meine Tochter an und fragte sie, "was stimmt da gerade nicht in diesem Bild". Sie antwortete: "Zwei Dinge sind komplett falsch: Seine Waffe befindet sich überhaupt nicht in der richtigen Position und sein Finger berührt nicht mal ansatzweise den Auslöser."
Michaela Boland:
Sie waren ihr offenbar ein guter Lehrer.
Justin Cronin:
Ja. Allerdings gibt man sich in Hollywood auch nicht gerade die größte Mühe, die Dinge real erscheinen zu lassen. Ich kann mir mittlerweile kaum mehr einen solchen Film ansehen, weil es häufig so lachhaft dargestellt wird. Dort ist immer nur wichtig, dass alles irgendwie cool aussieht. Es wird häufig so umgesetzt als ob das alles nur ein Spiel wäre.
Michaela Boland:
Wie steht es mit den Dreharbeiten zum Film ihres ersten Trilogie-Teils "Der Übergang", deren Regie Gerüchten zu Folge von Star-Regisseur Ridley Scott übernommen werden soll? Verschiedenen Medien war zu entnehmen, dass die Filmrechte hierfür von der 20th Century Fox nach einem Wettstreit mit den Mitbewerbern Universal, Warner Brothers und Sony vor kurzem für 1,75 Millionen Dollar erworben wurden.
Justin Cronin:
Die Filmrechte sind in der Tat erworben worden, allerdings wurde der Film bisher noch nicht gemacht.
Michaela Boland:
Haben sie eigentlich auch die Twilight-Bücher gelesen? Da ging es ja beispielsweise auch sehr erfolgreich um Vampire?
Justin Cronin:
Ich habe das niemals gelesen. Ist das nicht auch Lektüre für pubertierende Mädchen? Sehe ich etwa aus wie ein weiblicher Teenager? (lacht
Michaela Boland:
Nun ja, sie haben ja eine pubertierende Tochter zu Hause, doch abgesehen davon behandelt es ja auch das derzeit in Literatur und Film extrem angesagte und vor allem lukrative Thema des Vampirismus.
Justin Cronin:
Dann könnte es zumindest sein, dass jemand in meinem Haushalt es gelesen hat. Nun, ich weiß natürlich grob, worum es geht. Es handelt sich dabei ja um junge Erwachsenenliteratur, die für Mädchen geschrieben wurde. Ich plante übrigens die Passage-Trilogie, bevor Twilight heraus kam. So war Twilight nie auf meinem Radar. Natürlich gibt es immer Menschen, die glauben, man würde da auf irgendeinen Zug aufspringen. Aber das trifft für mich nicht zu. Ich bin ein schrecklicher Geschäftsmann und ich bin kein Stratege. Ich habe einfach das gemacht, was ich gemacht habe. Andernfalls ist man ja auch nicht man selbst. Es sollten immer die eigenen Ideen sein, die man umsetzt.
Michaela Boland:
Sie werden immer wieder mit Stephen King verglichen. Gibt es da aus ihrer Sicht wirklich Gemeinsamkeiten?
Justin Cronin:
Das weiß ich nicht. Wenn ich meine Fiktion betrachte, so sehe ich Dinge, die niemand sonst schreibt. Ich sehe das Ganze auch anders. Der Vergleich mit Stephen King ist natürlich sehr schmeichelhaft. Aber das kommt oft nur daher, weil mein Buch mit King`s "The Stand" verglichen wird. Wobei ich finde, dass es kaum etwas damit gemein hat. Abgesehen davon, dass die Welt in beiden Büchern irgendwie droht, unterzugehen.
Aber darüber hinaus sehe ich nicht mehr Gemeinsamkeiten. Mein Buch ist natürlich ebenfalls recht lang gehalten und hat eine Menge Charaktere, außerdem wird auch beinahe die komplette amerikanische Landschaft darin benutzt, also, wenn man davon ausgeht, gibt es schon Dinge, die man jeweils in Kings und meinem Buch findet.
Michaela Boland:
Also ist es im Prinzip so als würde man Justin Cronin und Stephen King anhand des Kriteriums vergleichen, dass sie beide über eine gültige Fahrerlaubnis verfügen?
Justin Cronin.
Das kommt dem sehr nahe. (lacht) Das, was wir womöglich tatsächlich gemeinsam haben, ist die Zuneigung zu unseren Charakteren. Das ist auch etwas, worin King wirklich sehr gut ist. Er ist auch ausgesprochen produktiv und in dem was er macht, ist er einzigartig.
Michaela Boland:
Manche Menschen fragen sich auch, wie jemand mit überdurchschnittlich viel abgedrehten Romanstoffen wohl persönlich drauf sein könnte.
Justin Cronin:
Ich habe Stephen King erst einmal getroffen, daher kann ich nicht beurteilen, was er für ein Typ ist. In jedem Fall lässt sich aber sagen, dass er unglaublich fleißig ist und viel hervorbringt. Da draußen gibt es nur wenige Schriftsteller, die ähnlich viel schaffen. Dass er derart viele Geschichten zu erzählen hat, macht ihn einzigartig und nicht unbedingt verrückter als andere.
Michaela Boland:
Wie einfach ist es, die Spannung in einem Buch, bzw. bei ihnen sogar über eine Spanne von drei Büchern, quasi dauerhaft aufrecht zu erhalten?
Justin Cronin:
Man kann natürlich kein Buch verkaufen, das eine Million Wörter beinhaltet. Deshalb musste ich die Geschichte auf drei Bücher verteilen. Alles benötigt einmal Ruhepausen. Deshalb gibt es Kapitel. Die Story gliedert sich in Bücher, die Bücher wiederum in Abschnitte, diese dann in Kapitel und jene sind sogar noch mal in Unterkapitel unterteilt. Dadurch schafft man ein System, in dem sich Aktivität und Ruhe abwechseln. Ähnlich wie in der Musik.
Da kann man ja auch nicht ein Crescendo nach dem anderen bringen, denn sonst vertreibt man das Publikum womöglich aus der Konzerthalle. Das sind lediglich organisatorische Werkzeuge. Mir selbst sind die ruhigen Momente die liebsten. Die lauten haben natürlich eine gewisse Bühnentauglichkeit und du stellst dir immer vor, wie die Abteilung "Special Effects" sie einmal umsetzen wird.
Aber die stillen Momente zwischen den Charakteren in der Geschichte sind die, bei denen der Leser auch am meisten über sie erfährt. Außerdem liegen sie mir beim Schreiben auch am meisten. Wenn man schon so lange schreibt, dann benutzt man auch sämtliche stilistischen Werkzeuge, die es gibt. Das kann alles Mögliche sein, bei jeder Art von Szene. Es ist fast so, als wolle man rein gar nichts vermissen lassen, sondern jedwede Möglichkeit ausschöpfen.
Michaela Boland:
Ist jemand wie sie, der daran gewöhnt ist, extrem lange Geschichten zu verfassen, auch dazu in der Lage Shortstories zu produzieren?
Justin Cronin:
Das weiß ich gar nicht. Ich habe tatsächlich mal damit angefangen. Die meisten jungen Autoren machen ja so etwas, weil der Aufwand um einiges geringer ist. So eine Kurzgeschichte kostet dich vielleicht eine Woche, zwei oder höchstens mal einen Monat Zeit.
Michaela Boland:
Bei der Kurzgeschichte ist dann also keine aufwendige Recherche notwendig?
Justin Cronin:
Dafür bleibt keine Zeit. Im Bereich der Short Fiction geht es ja lediglich um eine Episode im Leben einiger Menschen. Das ist dann vielleicht mal 20 Seiten lang und nicht 900. Davon abgesehen ist es aber auch eine der schwierigsten Formen, da dort sehr exakt gearbeitet werden muss. Wenn so etwas richtig gemacht ist, dann hängt alles in der Geschichte mit allem Übrigen zusammen und das zu einhundert Prozent.
Alles muss zueinander im Verhältnis stehen, wenn die Arbeit keine Zeitverschwendung gewesen sein soll. Im Roman habe ich ja demgegenüber jede Menge Raum, um die Dinge zu einem Abschluss zu bringen. Mit Kurzgeschichten habe ich deshalb immer zu kämpfen. Ich bin definitiv besser in Längen als in der Kurzform. Ich habe auch seit Ewigkeiten keine Kurzgeschichte mehr geschrieben. Ich habe es eigentlich 2001 für das Romanschreiben aufgegeben.
Michaela Boland:
Sie haben eben beschrieben, dass die Struktur der Geschichte schon von vornherein von ihnen festgelegt wurde. Was geschieht jedoch, wenn ihnen beim Schreiben plötzlich weitere gute Eingebungen für die Story kommen? Schieben sie das Ende dann womöglich weiter hinaus oder verwerfen sie die neuen Ideen?
Justin Cronin:
Ich weiß immer schon zu Beginn ganz genau, wann und wo die Geschichte endet. Deshalb würde ich auch gar keine andere Idee zulassen, denn das Ende klärt alles auf. Alles, was in der Geschichte geschieht, läuft ja genau auf dieses Ende zu, welches ich mir von vorneherein überlegt habe. Würde ich durch neue Eingebungen plötzlich von meinem geplanten Kurs abweichen, würde es die komplette Struktur des Gebildes in Gefahr bringen.
Bei seinem Kurs zu bleiben, macht die Story zu einer guten Geschichte. Man kann es sich vorstellen, wie beim Hausbau. Plant man von Anfang an ein dreistöckiges Gebäude, würde ein ungeplantes viertes womöglich alles zum Einsturz bringen. Es kann höchstens einmal sein, dass ich mir später eingefallene Ideen noch für den Epilog vorbehalte.
Michaela Boland:
Wie sind sie auf die Titel der Bücher gekommen?
Justin Cronin:
Die sind mir einfach so in den Sinn gekommen.
Michaela Boland:
"Die Zwölf" lässt einen sogleich an Jesus und seine Jünger denken. War das beabsichtigt?
Justin Cronin:
Absolut.
Michaela Boland:
Wie weit sind sie augenblicklich schon mit Teil drei der Trilogie?
Justin Cronin:
Weit, aber noch nicht weit genug. Ich habe im Sommer des letzten Jahres angefangen, aber die tatsächliche Zeit, die ich bisher daran arbeiten konnte, waren nur wenige Monate, denn im Oktober erschien der zweite Teil "Die Zwölf", bei uns in den USA und so musste ich dort zunächst einmal für zwei Monate auf Lesetour gehen und dann kam schon Weihnachten. So hatte ich die ersten Monate dieses Jahres und dann bin ich auch hier auf Büchertour gegangen.
Michaela Boland:
Haben sie für den dritten Teil eigentlich auch eine Deadline?
Justin Cronin:
Ja, wahrscheinlich. Wie ich über Deadlines denke, ist, wie ich glaube, hinreichend bekannt. (lacht). Eine Deadline zu haben, ist sehr hilfreich. Zu wissen, wann genau sie erreicht ist, ist es nicht. Wenn ich schon mal journalistisch arbeite, stellt das kein Problem für mich dar. Da ende ich sogar früher als ich muss. Im fiktionalen Bereich eher nicht. Insoweit ist eine Deadline für mich eher ein abstraktes Hilfsmittel. Sie sorgt dafür, dass man seinen Hintern hoch bekommt und sich dann gleich an seinen Schreibtisch setzt.
Michaela Boland:
Befindet sich ihr Büro direkt in ihrem Haus in Texas?
Justin Cronin:
Es ist über der Garage. Wenn ich es betrete, tue ich dort in der Regel auch nichts anderes als arbeiten. Da habe ich absolute Ruhe. Selbst, wenn meine Frau etwas von mir möchte, schreibt sie mir eine Mail. Wenn meine Kinder zu Hause sind, was häufig der Fall ist, können sie mich so nicht stören. Ich reagiere dann eigentlich nur, wenn Blut fließt oder der Feueralarm ausbricht. Dadurch, dass ich es zur Arbeit so nahe habe, spare ich ja auch jede Menge Zeit. Während andere eine Stunde brauchen, um zu ihrem Job zu gelangen oder um abends wieder zurück zu kommen, liege ich noch im Bett und lese.
Michaela Boland:
Welchen Hobbies gehen sie in ihrer Freizeit nach?
Justin Cronin:
In erster Linie Sport. Ich spiele viel Tennis, fahre Rad und mache Fitnesstraining. Ich mache jeden Tag ein Workout. Ich bin früher auch gelaufen, sogar 25 Jahre lang. Aber jetzt machen das meine Knie nicht mehr mit. Ich spiele auch Klavier, zwar nicht gut, aber das ist jetzt eine Art neues Projekt für mich. Ich habe das mal als Kind begonnen und jetzt plane ich, es einigermaßen zu beherrschen bis ich 60 bin. Aber meine Finger sind eher langsam und ich habe auch viel von früher vergessen.
Michaela Boland:
Ist Musikalität in ihren Augen sehr hilfreich für das Schreiben?
Justin Cronin:
Oh ja. Sprache vollzieht sich ja auch in den Ohren. Der Rhythmus, den ein Satz schafft, kreiert physische Empfindungen im Körper des Lesers. Unterschiedliche Satzarten verändern sogar visuell die Erfahrung, die man beim Lesen eines Buches macht.
Michaela Boland:
Welche Menschen lesen ihre Bücher?
Justin Cronin:
Für Amerika kann ich das ganz gut beurteilen, weil ich ganz ungezwungen mit ihnen sprechen kann. So weiß ich, wer meine Bücher liest. Dort ist die Leserschaft auf alle möglichen Bevölkerungsgruppen verteilt. Solche, die typischerweise literarische und solche, die kommerzielle Romandichtung lesen. Frauen, Männer. Im United Kingdom denke ich, dass es eher Menschen sind, die ein Interesse an Gothic Horror haben.
Meine Absicht bestand allerdings darin, ein Buch zu schreiben, für das jeder einen Grund finden könnte, es zu lesen. Ich denke, da gibt es ein breites Spektrum hinsichtlich ihres Alters und ihrer Bildung. Wenn dein Buch genauso von einem 16-jährigen wie von einem 60-jährigen gemocht wird, hast du alles richtig gemacht.
Michaela Boland:
Wurden die Bücher auch in Japan verkauft?
Justin Cronin:
Ja, sie wurden überall verkauft. Jedenfalls überall dort, wo man entweder in englischer Sprache lesen oder wo zumindest aus dem Englischen in die jeweilige Landessprache übersetzt werden und dann gelesen werden kann. Da blieben nicht viele Länder übrig, in denen das nicht der Fall war.
Michaela Boland:
Sind sie als ehemaliger Universitätsdozent eigentlich auch mit deutscher Weltliteratur vertraut?
Justin Cronin.
Ich wurde in amerikanischer und englischer Literatur ausgebildet, daher fürchte ich, dass meine Kenntnisse in deutscher Literatur recht begrenzt sind, was wirklich sehr peinlich ist. Aber, das hat mich, ehrlich gesagt, auch noch niemand gefragt.
Michaela Boland:
Was nicht ist, kann ja noch werden.
Justin Cronin:
Ich habe jede Menge französische und auch russische Romane gelesen. Und ich erinnere mich dunkel daran, dass ich einmal ein langes Schriftstück mit dem Thema "Der Tod in Venedig" (Anm. d. Red.: Novelle von Thomas Mann aus dem Jahre 1911) gelesen habe. Also, gilt es jetzt, auch mal wieder etwas Deutsches zu lesen. Ich muss ja auch ein wenig Deutsch lernen. Ihr bringt mir das schon näher.
Michaela Boland:
Haben sie sich denn schon unsere Hauptstadt Berlin ansehen können?
Justin Cronin:
Nein, sie haben mich noch nie dorthin geschickt. Ich würde gerne mal dorthin fahren.
Michaela Boland:
Ich hörte, dass sie immerhin schon mal der Stadt Wiehl die Ehre geben werden. (Anm. d. Red.: Stadt im Oberbergischen Kreis, 41 km Luftlinie östlich von Köln mit ca. 26.000 Einwohnern)
Justin Cronin:
(lacht) Ich habe keine Ahnung, warum sich dieser Umstand unter sämtlichen Kollegen aus meinem deutschen Verlag zu einem solchen Running Gag entwickelt hat.
Michaela Boland:
Sind sie ein ausgeprägter Familienmensch?
Justin Cronin:
Ja, das würde ich durchaus sagen. Die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, etwas mit meinen Kindern zu machen und meiner Arbeit nachzugehen.
Michaela Boland:
Besitzen sie auch ein Interesse an bildender Kunst?
Justin Cronin:
Nicht besonders, muss ich bekennen, denn mein Leben fokussiert sich tatsächlich in erster Linie auf meine Familie und meine Arbeit. Ich versuche in Form zu bleiben und lese jeden Tag die Zeitung. Bücher zu schreiben ist darüber hinaus auch eine extrem harte Arbeit und fordert viel Zeit. Ich finde, man sollte absolut ehrlich zu sich selbst sein, was die Dinge anbelangt, für die man sich interessiert oder eben nicht interessiert. Wenn man älter wird, muss man sich auch mal ein wenig herunterfahren, besonders, wenn ich bedenke, dass ich ohnehin nur so wenig Zeit in der Woche habe.
Wenn mein Sohn mit der High-School fertig ist, werde ich bereits 60 sein. Als ich damit fertig war, war mein Vater gerade mal 44. Das lässt mich vielleicht nun wie ein Kunstbanause wirken, aber als einige Leute hörten, dass ich nach Köln reisen würde, sagten sie mir, dass es hier einige wunderbare Museen gäbe. Aber, um ehrlich zu sein, war es das Letzte, was ich mir in der kurzen Zeit hätte vorstellen können, in irgendwelchen Museen umherzuwandeln.
Ich liebe es, draußen zu sein, Häuser anzuschauen. Vor zehn Jahren hätte ich das bestimmt gemacht, hätte Museen besucht und probiert, mich damit glücklich zu fühlen. Jetzt ist mir wichtig, zu wissen, was mich wirklich glücklich macht, was nicht und das auch zu artikulieren. Man sollte nicht immer nur nach den Wünschen anderer Menschen handeln, wenn man es selbst eigentlich gar nicht möchte.
Jetzt frage ich mich immer, was mich wirklich interessiert und nur darauf konzentriere ich mich. Am Anfang war es richtiggehend schwer, diese eigenen Impulse zu verteidigen. Es ist schließlich vordergründig immer viel einfacher, nachzugeben und bei dem mitzumachen, was sämtliche Leute toll finden und von dem sie dich dazu drängen, es ebenfalls toll zu finden. Jetzt tue ich glücklicherweise nur noch, was ich wirklich möchte und darauf bin ich auch ein wenig stolz.
Michaela Boland:
Wie reagiert ihr Umfeld darauf?
Justin Cronin:
Ich glaube, ganz gut. Ich wünschte, ich hätte das schon früher so gehandhabt. Ich kenne auch einige Menschen, die das schon viel früher so gemacht haben. Und ich bitte eben jetzt mein Umfeld, meine Wünsche zu respektieren. Man sollte sein Leben nutzen und nicht nur Konformität üben. Bei meiner Frau war es so, dass sie mit ihrer Promotion begonnen hatte, bis sie irgendwann bemerkte, dass sie das eigentlich gar nicht interessierte. Sie wollte nämlich ein weiteres Baby.
Michaela Boland:
Wie alt ist ihre Frau?
Justin Cronin.
47. An einen Punkt in ihrem Leben hat sie sich dann dafür entschieden, sich ganz intensiv um ihre Pferde zu kümmern, denn das ist, was sie wirklich aus vollem Herzen gerne tut. Sie arbeitet jetzt nicht mehr. Das interessiert sie nicht. Für mich ist es auch wichtig, dass sie nicht arbeitet, da ich ja nun sehr viel umherreisen muss und daher war es wichtig, dass sie zuerst mal ihren Job kündigt, damit sich jemand um die Kinder kümmern kann. Sie hat ja zuvor als Lehrerin gearbeitet und irgendwann hatten wir drei Personen in unserem Haushalt, die morgens zur selben Zeit an drei unterschiedlichen Schulen sein mussten. Das konnte auf Dauer ohnehin nicht funktionieren. Daher ist es jetzt gut. Meine Frau macht das, was sie ausfüllt.
Michaela Boland:
Haben sich die Menschen in ihrem Umfeld seit ihrem kometenhaften Aufstieg in der Welt der Literatur durch den Bestseller "Der Übergang" in ihrem Verhalten ihnen gegenüber verändert?
Justin Cronin:
Die Antwort ist ja. Aber nicht meine wahren Freunde. Wenn man ein Buch schreibt und Menschen es lesen, dann meinen viele, den Autor zu kennen. Sie machen eine ganz intime Erfahrung mit dir, die du aber nicht mit ihnen machst. Sie empfangen all diese Übertragungen aus deinem Gehirn, die sich mit ihren Gedanken vermischen. Ich kenne das, denn ich bin ja auch ein Leser. Wenn ich Jim Salter`s Bücher lese, denke ich auch manchmal, dass ich ihn gut kenne.
Aber so ist es ja nicht. So glauben eben viele, auch mich zu kennen und wenn sie mich dann treffen, sind sie wahrscheinlich enttäuscht. Also, insoweit macht es schon einen Unterschied, wenn du plötzlich eine Art öffentliche Figur bist. Ich merke das auch immer durch die sozialen Netzwerke. Ich nutze Facebook. Die Verleger wollen immer gerne, dass man diese Netzwerke nutzt, aber ich hätte es sowieso genutzt.
Ohne so etwas würde man gar nicht derart wahrnehmen können, was so geschieht. Früher machte man seine Lesungen, traf dort 50 bis 100 Menschen, ging anschließend wieder heim und das war es. Heute kann ich mit den Lesern, der Öffentlichkeit interagieren. Viele wollen gerne mit einem in Kontakt treten. So hat man im Prinzip zwei Leben. Ein öffentliches und ein privates.
Michaela Boland:
Lieber Justin Cronin, vielen Dank für dieses ausführliche Interview. Viel Erfolg beim Schreiben des dritten Teils der Passage-Trilogie, den wir mit großer Spannung erwarten, gute Reise zurück nach Houston und alles Gute für sie und ihre Familie.
Michaela Boland ist Journalistin und TV-Moderatorin. Bekannt wurde sie als Gastgeberin der Sommer-Unterhaltungsshow „HOLLYMÜND“ des Westdeutschen Rundfunks Köln. Seit 1988 schrieb sie für die Rheinische Post, unterschiedliche Publikationen der WAZ-Gruppe Essen, Bayer direkt und Kommunalpolitische Blätter.
Außerdem präsentierte sie die ARD-Vorabendshow „STUDIO EINS“ und arbeitete als On-Reporterin für das Regionalmagazin „Guten Abend RTL“. Auf 3-Sat, dem internationalen Kulturprogramm von ARD, ZDF, ORF und SRG, moderierte sie die Kulturtalkshow „Doppelkopf“, sowie für TV NRW, die Casino
Show „Casinolife“ aus Dortmund-Hohensyburg. Michaela Boland arbeitet auch als Veranstaltungsmoderatorin und Synchron- sowie Hörspielsprecherin.
Infos unter: www.michaela-boland.de
Für die Gesellschaft Freunde der Künste moderiert sie den Kaiserswerther Kunstpreis sowie alle großen Kulturveranstaltungen der Gesellschaft.
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