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23.01.2010 "Nur in der Musik fühle ich mich zu Hause“

Chopin reloaded - Alice Sara Ott und ihr Verhältniss zu Frédéric Chopin

von: KlassikAkzente

Spielt man Chopin, muss man sich erst einmal von der Generation Horowitz und Rubinstein freimachen. Schließlich gehörten Polonaisen und große brillante Walzer zu deren Glanzstücken und haben sich in dieser heroischen Form in das kulturelle Bewusstsein eingebrannt.

Alice Sara Ott jedoch gehört, wie auch Rafał Blechacz, zu einer neuen Generation, die sich nicht nur mit unglaublicher Virtuosität den Werken des polnischen Meisters nähert, sondern ihm darüber hinaus auch mit veränderter Spielhaltung begegnet.

Hier steht nicht mehr der Salonlöwe oder der große Nationalmusiker im Mittelpunkt, sondern Chopin, der Mensch, der seine persönlichen emotionalen Kämpfe in klingende Form gebracht hat, sich hinter einer für seine Epoche ungewöhnlichen, umfassenden gestalterischen Könnerschaft verbirgt und vor allem in der kleinen Form immer wieder zu rhapsodischer Genialität aufläuft.

Die wiederum lässt sich weder aus seiner Ära noch aus der Biografie heraus erklären, sondern stellt schlicht einen Link zum Zeitlosen, Numinosen dar. Natürlich ist Alice Sara Ott nicht die erste, die sich mit den Walzern“ von Frédéric Chopin befasst.

Aber ihr Zugang zu den Werken ist ungewöhnlich. Nachhaltig, um ein Modewort im ursprünglichen Sinn zu verwenden. Denn Otts Walzer klingen nach - egal, ob es sich um dunkle Impressionen wie op.34/2 oder ein Kabinettstückchen wie op.64/1 handelt.

„Chopins gesamtes kompositorisches Schaffen ist hier zusammengefasst“, meint die junge japanisch-deutsche Pianistin im Gespräch mit dem Musikjournalisten Michael Church. „Außerdem zeigen die Walzer seine gespaltene Persönlichkeit – zwischen Polen und Frankreich hin und her gerissen war Chopin zeitlebens auf der Suche nach seiner Identität.

Genau so geht es mir mit Japan und Deutschland. Nur in der Musik fühle ich mich zu Hause“. Dort allerdings bewegt sich Alice Sara Ott mit einer Souveränität, die staunen lässt.

Im Alter von fünf Jahren gewann die Tochter einer japanischen Mutter und eines deutschen Vaters den ersten Wettbewerb, mit dreizehn galt sie in Hamamatsu bereits als „Most Promising Artist“ und beinahe zur gleichen Zeit entschied sie als jüngste Bewerberin mit der höchsten jemals in diesem Rahmen vergebenen Bewertung den renommierten Silvio Bengalli-Wettbewerb für sich.

Preise sind die eine Sache. Musikalisches Verständnis ist eine andere. Gehört eine gewisse Fingerfertigkeit inzwischen international zum Standard, unterscheiden sich interpretatorische Vorstellungen hingegen in großem Maße.

Gerade im Fall von Chopin, dessen Geburtstag sich in wenigen Wochen zum 200.Mal jährt, ist das Spektrum der darstellerischen Variationen immens. Alice Sara Ott hat sich die Werke des polnischen Klavierpioniers in einer Art und Weise zu eigen gemacht, die rundum fasziniert.

„Chopins Musik“, meint sie, „ist kein offenes Buch. Chopin stellt seine Gefühle niemals offen zur Schau, immer bewahrt er seine Würde. Es ist so, als würde er sich nur eine einzige Träne gestatten – doch hinter der Maske ist er tieftraurig.

Nach außen hin ist er charmant, im Grunde seines Herzens jedoch melancholisch. Diese Stücke rufen bei mir weniger Bilder hervor, sondern eher Erinnerungen. Wenn ich traurig bin, spiele ich op. 64 Nr.2 in cis-moll, das tröstet mich.

Ich spiele den Walzer in der Abenddämmerung, ohne das Licht anzumachen.“Vielleicht ist das überhaupt das Geheimnis einer herausragenden Interpretation.

Sobald ein Künstler es schafft, das Werk eines Komponisten zu einer eigenen Stimme umzuformen, die sich des ursprünglichen Notentextes vor allem als Sprachrohr bedient, mit dem die persönlichen Innenwelten ausgedrückt werden können, schafft er den Sprung vom Spielen zum Nachempfinden und lässt Werke in einem Glanz erstrahlen, der sich aus der eigenen Aura speist.

Die großen Pianisten des vergangenen Jahrhunderts haben Chopin als Pathetiker und Heroen geliebt. Alice Sara Ott hingegen sucht nach dem individuellen Kern der Werke. Würde sie den Komponisten heute treffen können, würde sie vor allem das rätselhaft Menschliche interessieren, das hinter seinen Stücken steckt:

„Er war ein Dichter. Ich würde ihn nicht nach Interpretationen fragen, sondern ihn bitten, für mich zu spielen, damit ich hören kann, ob ich den Duft jedes Stückes richtig erschnuppert habe.“

Und Chopin, der ja nie wirklich zufrieden mit seinen Schülern war, würde sich womöglich zurücklehnen und einfach überrascht vernehmen, was ihm die „Next Generation“ durch die Musik zu erzählen hat.

Biografie Alice Sara Ott

Längst hat sich Alice Sara Ott, die junge Pianistin deutsch-japanischer Abstammung, mit Autritten in den großen Konzertsälen in Europa und Japan einen Namen gemacht. Im Alter von 13 Jahren erhielt die Schülerin von Karl-Heinz Kämmerling am Salzburger Mozarteum die Auszeichnung „Most Promising Artist“ beim Internationalen Klavierwettbewerb in Hamamatsu und gewann zwei Jahre später den ersten Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb Silvio Begalli als jüngste Teilnehmerin.

In der Saison 2009/10 wird Alice Sara Ott Solokonzerte im Auditorium du Louvre, in der Berliner Philharmonie, im Konzerthaus Wien und im Palais des Beaux-Arts in Brüssel geben. Zu ihren Orchesterdebüts in den USA gehören Konzerte mit dem Cincinnati Symphony Orchestra unter Paavo Järvi und dem San Francisco Symphony Orchestra unter Pablo Heras-Casado.

In Europa debütiert sie mit dem Dänischen Radio-Symphonieorchester unter der Leitung von Robin Ticciati, dem Königlichen Philharmonischen Orchester Stockholm unter Sakari Oramo, dem NDR Sinfonieorchester unter Alan Buribayev und den Münchner Philharmonikern unter Thomas Hengelbrock.

In den vergangenen Jahren begeisterte Alice Sara Ott das Publikum mit zahlreichen Auftritten in Tokyo, unter anderem mit dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra in der Opera City Hall und mit dem Kiev Philharmonic Orchestra in der Suntory Hall.

Sie tritt regelmäßig mit dem Sapporo Symphony Orchestra auf und wurde von Hiroko Nakamura eingeladen, im Rahmen der 10-jährigen Serie „The 100 Pianists“ zu konzertieren.

Zu ihren Engagements in Europa zählten Konzerte mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman, den Düsseldorfer Symphonikern unter Norichika Iimori und eine Tour in Deutschland mit dem St. Petersburg Symphony Orchestra und Alexander Dimitriev.

Neben ihrer Solokarriere ist Alice Sara Ott als Kammermusikerin regelmäßig zu Gast bei Festivals in Heimbach, Zürich, Davos sowie in Schwetzingen. Sie spielt zusammen mit Künstlern wie Lars Vogt, Gustav Rivinius, Tadjana Masurenko und Peter Sadlo.

Sie gastiert zudem häufig beim Klavier-Festival Ruhr, Schleswig-Holstein Musik Festival, bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern und beim Braunschweig Classix Festival.

Seit 2008 ist Alice Sara Ott Exklusivkünstlerin bei Deutsche Grammophon. Ihre erste Aufnahme mit den zwölf Études d’exécution transcendante von Franz Liszt erschien im Frühjahr 2009.

Die internationale Veröffentlichung eines zweiten Albums mit den kompletten Walzern von Frédéric Chopin ist Anfang 2010 geplant. Für Alice Sara Otts Debüt-Aufnahme mit Orchester sind die jeweils ersten Klavierkonzerte von Liszt und Tchaikovsky mit den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Thomas Hengelbrock vorgesehen.

Quelle: www.klassikakzente.de

Ihr aktuelles Album wurde am 15.1.2010 von der Deutsche Grammophon veröffentlicht. http://www2.deutschegrammophon.com/

 

 

 

 

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