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05.12.2012 “Ich wäre ein schlechter Giermann-Darsteller“

Christopher Lesko im Gespräch mit Max Giermann - Bunt getrieben - Max Giermann war bei Streichen in der Klasse immer weit vorne

von: GFDK - Christopher Lesko

Wenn Bohlen oder Beckmann, Lagerfeld, Lanz oder Lafer in Spiegel schauen möchten, bietet er bei “Switch Reloaded“ Alternativen: Max Giermann, 37, parodiert bis in den inneren Kern der Person mit erschütternder Präzision TV-Größen. In Köln sprach Giermann in einem zweiteiligen Interview mit Christopher Lesko über Stationen seines Weges. Im ersten Teil des Gespräches spricht Giermann über die Jugend in Freiburg und die zentrale Bedeutung seiner Beziehung zu Freund und Mentor Georgo Peugot.

Max Giermann, können Sie mir drei kurze Geschichten über sich erzählen? Eine davon muss gelogen sein.


Die Antwort wäre: Nein. Ich kann nicht gut lügen. Es wäre schon schwierig, die beiden wahren Geschichten aus dem Hut zu zaubern.

Echt?


Vielleicht fallen mir im Laufe des Gespräches noch welche ein.

Gut, belügen wollen Sie mich nicht, das ist aggressiv. Können Sie mir in ein paar Sätzen beschreiben wer genau hier vor mir sitzt


(Lachend) Ich dachte, es wäre jetzt Ihre Aufgabe, das rauszufinden. Damit wir danach beide klüger sind.

Das Bild, welches man von sich selbst hat, ist doch nicht nur langweilig. Ich kann es ja anreichern, wenn mir unterhalb der Ebene gesprochener Worte etwas auffällt.


Ich glaube, das ist mit die schwierigste Frage, sich selbst innerhalb einer Antwort zusammen zu fassen: Ich denke, ich bin ein relativ bodenständiger, normaler Typ, der aus Freiburg kommt und in sehr behüteten Verhältnissen aufgewachsen ist. So, wie man sich das eigentlich erträumt. Der als Kind mit Freunden im Wald spielen konnte. Der einen eigentlich sehr geradlinigen Lebenslauf hat, der nicht einmal drei Geschichten hergibt. Das ist nicht kokett gemeint: Ich bin ein normaler Typ, dem es wichtig ist, ein ganz normales Leben zu führen. Das ganze Drumherum, das der Job mit sich bringt, ist letztlich nicht so wertvoll.

Nun hält man möglicherweise in Frauengefängnissen andere Dinge für normal, als in Kölner Hotels. Obwohl, wenn ich mich hier so umschaue…


(Lachend) Da gibt es bestimmt Überschneidungen…

 …wenn Sie also den Blick auf sich richten, was finden Sie? Sind Sie Börsenfanatiker, Mountainbiker, Vieltrinker, Familienvater, ein aggressiver oder gründlicher Mensch?


Sie merken ja, dass ich mich sehr schwer tue. Mich selbst zu betrachten, finde ich unangenehm. Was bin ich? Ich könnte Ihnen jetzt ein paar Hobbies aufzählen…

Eigene?


Ja, aber das ist es dann auch nicht. Wäre ich Familienvater, würde ich sagen, ich sei in erster Linie Familienvater, weil das sicher jedem Familienvater so geht. Bei mir wäre das auch der Fall, aber soweit ist es ja noch nicht. Hmmhh: Ich bin frisch verheiratet.

Seit heute?


Nein, wir haben im Juli geheiratet.

Darf ich noch gratulieren, oder hat die Ehe schon gelitten?


Nein, die Gratulation nehme ich gerne an.

Herzlichen Glückwunsch, ich wünsche Ihnen beiden ein gutes Leben miteinander.


Vielen Dank. Es war eine tolle Hochzeit, und es fühlt sich gut an. Man fragt sich ja vorher: Ändert eine Heirat überhaupt irgendetwas? Nein, es ist schön, ich kann es nur empfehlen. Auch ein blöder Spruch.

Natürlich ändert Heirat etwas.


Ja, das gibt mir schon mehr das Gefühl, irgendwo hin zu gehören. Das klingt vielleicht auch wieder banal, aber an diesem sprichwörtlichen Hafen ist etwas dran. Man bekennt sich in anderer Art dazu, und es ist nicht mehr so austauschbar, wie es vielleicht vorher hätte sein können. Das ist sehr schön. Ansonsten bin ich ein relativ genervter, verzweifelter Haussuchender. Sie merken, es geht alles mehr in Richtung Sesshaftigkeit.

Warum genervt?


Weil wir nichts finden hier in Köln. Ich bin auch nicht der ganz große Köln-Liebhaber, aber ich habe mich hier langsam nach dreieinhalb Jahren eingelebt. Köln ist schwierig für Haussuchende: Entweder schweineteuer, oder uns fehlt der Garten, der schon dabei sein sollte. Zwei, drei Jahre, so Bekannte, muss man suchen. Es ist nicht so einfach, hier etwas Schönes zu finden.

MEEDIA als Brot-und-Butter-Portal für medienaffine Hausbesitzer und Immobilienmakler könnte den entscheidenden Schritt einleiten. Vielleicht wird ja unser Gespräch entsetzlich öde, aber Sie können sich auf der anderen Seite vor Häusern mit Garten oder gar Gartenhäusern nicht mehr retten.


Och ja,  gerne. Ja, und sonst bin ich ein Mensch, der sich auch sehr über seinen Beruf definiert. Ein Beruf, der mich sehr umtreibt: Kein normaler Bürojob, bei dem man abends und am Wochenende einfach so abschalten kann. Vieles arbeitet sehr in mir weiter, und immer wieder muss ich mich als Schauspieler neu orientieren.

Kommt Ihre Frau aus dem phantastischen Umfeld der TV-Medien?


Nein. Sie steht dem Ganzen auch relativ kühl gegenüber. Sie hat eine vernünftige Distanz und ist beispielsweise niemand, der gerne auf roten Teppichen umhergeht. Fassadenhaftes interessiert sie nicht so. Sie mag von den Kollegen auch jene besonders, die natürlich und mit den Füßen auf dem Boden geblieben sind.

Klingt so, als hätten Sie es gut getroffen. Wenn Sie nicht aufpassen, hält die Ehe.


Ich hoffe! Ich war auch schon zusammen mit Frauen, die meinen Beruf ausübten, das war immer schwierig.  Man tritt schnell ungewollt in ein Konkurrenzverhältnis: Einer bekommt ein Engagement beim Theater, der andere nicht, das kann anstrengend werden. Meine Frau hat auch überhaupt keine Ahnung von meinem Beruf, dadurch ist sie mir immer die liebste Kritikerin. Eigentlich die einzige, die im Vorfeld etwas zu meinen Sachen sagen darf, und es ist sehr angenehm, jemanden an seiner Seite zu haben, der abends im Fernsehen einfach nur die Serie sehen will. Ohne diesen komischen Blick, den man als Teil der Medien nur noch schwer ablegen kann.

Welche Frage sollte ich Ihnen innerhalb dieses Gespräches auf gar keinen Fall stellen?


Bitte nicht die Frage, die in jedem Interview gestellt wird, wie denn die Opfer auf meine Parodien reagieren.

Opfer?


Ein Ausdruck, den Journalisten geprägt hatten, und den die Parodie-Szene ein wenig übernommen hat. Stimmt, da schwingt etwas Schräges mit. Ich gehe nie mit dem Anspruch an die Arbeit, andere zu zerfleischen.

Die Frage nach Opfer-Reaktionen interessiert mich nicht. Im Gegensatz zu den von Ihnen Parodierten wären Sie dafür ohnehin der falsche Ansprechpartner. Ich will Sie zu Ihren Parodien übrigens gar nichts fragen.


Das gefällt mir. Diese Frage jedenfalls wurde bis jetzt in jedem Interview gestellt. Interessant, dass andere als Erstes interessiert, wie Parodierte auf Parodien reagieren. Eigentlich richtig: Bei einer guten Parodie sollte man nicht über den Parodisten, sondern den Parodierten sprechen.

Soll ich Ihnen die Frage doch noch stellen?


Nein - stimmt: Jetzt rede ich so darüber, als hätte ich die Frage gerne gehabt.

Wie schaffe ich es denn, mir innerhalb unseres Gespräches schnell Ihren größtmöglichen Ärger zuzuziehen?


Sie müssten unhöflich werden. Aufgesetzt provokant sein und Provokation als Technik benutzen. Ich mag generell eher Harmonie, auch beim Arbeiten und nicht, wenn man sich so anstachelt.

Ihr Management hat mir freundlicherweise vorab Ihre Vita geschickt. Waren Sie einer der Autoren?


Ich habe da auf jeden Fall drübergeguckt.

Mir ist außerordentlich positiv aufgefallen, dass vermerkt ist, Sie hätten den Führerschein Klasse 3. Der Hinweis darauf befindet sich in der Rubrik "Fähigkeiten" neben  Fechten; Akrobatik; Pantomime; Clownerie. Allerdings an letzter Stelle. Das hat mich misstrauisch gemacht.


(Lachend) Ich bin nicht so ein guter Autofahrer, das stimmt. Deshalb steht es am Schluss. Ich bin noch unfallfrei, aber ich habe auch keinen eigenen Wagen. So gesehen ist das keine Kunst. Auf diesen Setcards müssen diese Dinge angegeben werden. Also eine Rolle als Taxifahrer können Sie ohne Pappe abschreiben.

Sie teilen Ihren Geburtstag mit Kevin Cline…


Au! Nicht schlecht.

…Christoph Schlingensief, Bill Wyman und Mickey Rooney, aber auch mit Hippolyte Mège-Mouriès, dem Erfinder der Margarine und Schneemann Christoph Daum, dem mit den Augen. So für eine Woche Urlaub zu zweit auf den Bahamas, was wären Ihre Top 3?


Das mit der Margarine finde ich super!

Weil die Schmierfähigkeit gut zur TV-Kultur passt?


Nein: Margarine ist gesund. Gegen Margarine kann man eigentlich nicht viel Schlechtes sagen. Außer, dass sie nicht so gut schmeckt wie Butter. Sie taugt zum Backen und ist immer streichzart.

Ein in Urlauben weitgehend tabuisiertes Thema.


In der Tat. Ansonsten,  Mit Christoph Schlingensief würde ich es mir allein deswegen wünschen, um ihm diesen Tag zu vergönnen. Kevin Cline würde ich in jedem Fall nehmen, den finde ich großartig. Man hofft ja immer, dass Kollegen, die vor dem Bildschirm sehr lustig sind, auch privat lustig sind. Das haben Sie wahrscheinlich auch gehofft.

Ich hätte jederzeit gerne mit Ihnen über das eine oder andere Thema zusammen geschwiegen. Auch das verbindet. So ganz tief innen drin. Glaube ich.


Ich käme nie auf die Idee, mich selbst als unglaublich geselligen Typen zu bezeichnen. Das entwickelt sich im Gespräch. Ich bin eher ein wenig scheuer. Das wird von Journalisten gerne mal so dargestellt, als hätte ich auf Partys nie Spaß gehabt. Manchmal wird man ja, wenn man nicht jede Party rockt, schnell mal als Sanostol-Kind, das in der Schule nie Spaß hatte, abgestempelt. Das stimmt nicht. Aber ich habe zum Glück nicht diesen Drang, mich immerzu selbst darzustellen. Ich habe das auch bei meinem Bühnenprogramm gesehen: Dieses Gen: Leute, ich bin der Lustigste, hört mir mal alle zu, das habe ich gar nicht. Ich denke dann eher, na ja, behalt es mal lieber für Dich. Ich kenne viele Schauspieler, die eher ein wenig zurückgezogen, selbstreflektierend oder sogar ein wenig selbstzweifelnd unterwegs sind. Bei Comedians ist dies oft umgekehrt.

Sich mit Parodien oder Schauspiel den Raum einer Rolle, eines anderen zu eigen zu machen und ihn zu füllen, bindet ja immer wieder neu viel kreative Energie und fordert ganz besondere Fähigkeiten der Identifikation. Dies privat nicht ebenso zu gestalten, finde ich eher naheliegend. Das ist wie bei zwei Seiten einer Münze, die ebenso zusammengehören, wie sie sich voneinander unterscheiden.


Ja, das stimmt: Privat in Talks-Shows zu sitzen oder in Foto-Shootings finde ich als Teil des Berufes viel schwieriger, als eine Rolle zu spielen. In Rollen geht es nicht vordringlich um mich selbst. Ich genieße es schon, beruflich etwas zu machen, wo man weit von sich selbst weg geht. Ich wäre ein schlechter Max-Giermann-Darsteller. Ich bin ein besserer Lanz-Darsteller glaube ich.

Das verbindet Sie beide. Lanz ist auch ein schlechter Lanz-Darsteller. Switch: Sie sind in Freiburg geboren und aufgewachsen. Wie lief denn Ihr Start ins Leben?


Es war nicht so, dass ich es schwer hatte als Kind, und ich mir eigene Wege durchkämpfen musste. Ich hatte eine sehr straighte und behütete Kindheit, Es war alles schön, ich war sogar ein guter Schüler. Ich hatte Freunde, und meine Eltern hatten wenig Stress mit mir.

Was haben Ihre Eltern denn beruflich gemacht?


Sie waren beide Lehrer – Kunsterzieher, so bin ich mit der bildenden Kunst früh in Berührung gekommen. Ich habe schon als kleines Kind viel gezeichnet und gemalt. Seit dem Studium mache ich das nicht mehr so viel. Eigentlich war das der vorgezeichnete Weg, ich hatte sogar einen Studienplatz für Medienkunst am ZKM in Karlsruhe bekommen. Aber irgendwie dachte ich, jetzt versuchst Du doch noch die Schauspielschule.

Haben Sie über Malen hinaus irgendetwas von Ihren Eltern gelernt, dass Ihnen für Ihr späteres Leben geholfen hat?


Na ja, das mit dem Malen war schon deutlich mehr. Meine Eltern haben das ja hobbymäßig gemacht, meine Mutter hat abstrakt gemalt. Dieser Blick hat mir dabei geholfen, generell zu abstrahieren. Mit künstlerischen Themen frei umzugehen. Meine Eltern haben viel zugelassen, mich meine Wege suchen und finden lassen und mich nie zu etwas gezwungen. Manchmal finde ich es im Nachhinein etwas schade, dass sie mich nicht zwangen, etwa ein Musikinstrument zu lernen. Aber als Kind war es toll, weil ich frei war. So hatte ich später auch keine Schwierigkeiten, einen künstlerischen Beruf einzuschlagen. Ich glaube, meine Eltern hätten es eher problematisch gefunden, wenn ich hätte Jura studieren wollen. Da hätten sie wahrscheinlich gesagt: Oh, muss das sein, das ist doch langweilig. Es war immer alles sehr einfach für mich.

Was waren Sie denn für ein Kind: Lebendig, still, reflexiv? Haben Sie Fußball gespielt oder Autos der Nachbarn angezündet?


Ein gewisses Quantum an Rebellion hatte ich schon auch in mir. Autos habe ich zwar nicht angezündet, aber ich hatte meine Heavy-Metal-Phase: Lautes Musik-Hören in Guns ´n Roses T-Shirts. Später dann die Hip-Hopper-Phase, in der ich mir jede Woche eine andere Haarfarbe zulegte und mit weiten Hosen in die Schule ging. Und, wenn es um Streiche in der Klasse ging, war ich immer weit vorne. Aber ich konnte es mir auch leisten. Wir haben es teilweise schon bunt getrieben.

Gibt es denn irgendeinen Streich, den Sie jungen Menschen heute empfehlen könnten?


Wir haben z.B. mal eine Lehrerin im Klassenzimmer eingeschlossen, die Klasse ist aber draußen geblieben. Einerseits war ich ein ordentlicher Schüler, und andererseits habe ich viel Unsinn gemacht. Unsinn ist mir ja später auf besondere Art zum Beruf geworden.

Wie genau ist denn Ihr Bezug zu Clownerie, Schaupiel und Rollen gewachsen?


Meine ältere Schwester war Mitglied der Theater AG unserer Schule. Sie wollte, dass ich dort mitmache, aber ich habe mich gewehrt. Ich war dafür zu schüchtern damals. Sie hat mich solange beackert, bis ich es gemacht habe. Dort bin ich in einer Improvisation total aus mir herausgegangen, was super funktionierte und auch viel Beachtung fand: Der Adrenalin-Kick, meine eigene Angst überwunden zu haben, setzte Positives frei. Alle haben gelacht, und von da an war ich total begeistert.

Das wurde dann mein liebstes Hobby. Und so ist es heute noch: Ich habe auch heute noch fürchterliches Lampenfieber. Dieser Kick, die eigene Angst überwunden zu haben, fühlt sich einfach gut an. Das ist dieses Fallschirmspringer-Feeling. Kurz vorher denkst Du: Warum mache ich das hier eigentlich alles? Und wenn es dann gut geklappt hat, ist es ein Hochgefühl. Wie gesagt: Bis heute neige ich sehr zu Lampenfieber, gerade im Fernsehen vor großem Publikum. Das gehört dazu.

Lassen Sie uns noch einmal zurück zu Ihrer Entwicklung gehen. Theater AG, dann haben Sie irgendwann Abi gemacht. Wahrscheinlich gut, oder?


Ja. So zwischen Eins und Zwei.

Geht es noch ein wenig abstrakter – “zwischen Eins und Zwei“? Ach, Sie lächeln…


Ja, es ist so blöde…natürlich weiß ich es. Ich tue jetzt so, als wüsste ich es nicht…: 1,6.

Ja, Sie machen das schauspielerisch geschickt. 1,6 – nicht schlecht!


(Lachend) Ja! Hätte ich mir schenken können. Mensch, mich hat noch nie jemand danach gefragt, Sie sind der Erste.

Skandal, erschütternder. Wie war nochmal Ihre Abitur-Note? Und wie ging es dann weiter?


Eins-Sechs. Nicht schlecht, oder? Im Ernst: Der entscheidende Grund für meine spätere Berufswahl war die Begegnung mit Georgo Peugot. Er war ein amerikanisch-stämmiger Clown, der in Freiburg lebte und arbeitete. Er gab damals im Schultheater-Rahmen Workshops. Ich nahm teil und war total begeistert von ihm als Mensch und von dieser Arbeit. Vorher fand ich Clowns immer schrecklich. Ich wurde eines Besseren belehrt. Er hat mir dann später angeboten, mit ihm zusammen eine Gruppe für junge Nachwuchstalente zu gründen.

Das fand ich total reizvoll. Wir haben das gemacht. Mit dem Ergebnis, dass ich zehn Jahre lang Clownerie betrieben habe. Man durfte so viel machen, was man im echten Leben nie machen durfte: Wir sind mit unserer Truppe zu Straßen-Festivals gefahren, man ging in die Menge, konnte die Passanten hochheben und ihnen die Taschen wegnehmen. Das war schön und hatte zugleich so ein bisschen einen therapeutischen Effekt, glaube ich. Während meines Studiums habe ich das weitergemacht und mir ein wenig damit dazuverdient. Ich habe später für die Clownerie sogar beim Theater gekündigt und bin zurück zu Georgo.

Den wahren Bezug Thema gewinnt man ja nicht alleine durch das Thema. Lebendig werden Themen ja durch die Personen, die das Thema repräsentieren. Was war denn Georgo Peugot damals für ein Mensch, als Sie ihm begegneten?


Georgo konnte toll mit jungen Menschen umgehen, weil er sie auf eine sympathische Art ernst nahm: Nicht so aufgesetzt, er war selbst noch ein wenig jung geblieben. Das ist natürlich toll, in einer eigentlich blödsinnigen Sache so ernst genommen zu werden: Man macht sich da zum Affen, macht lustige Übungen mit roten Nasen. Wir alle fanden diese Mischung aus Leichtigkeit und Ernst toll, die er ausstrahlte. Professionell, aber mit wahnsinnig viel Spaß. Mit Georgo hatte man immer Spaß, er war ein so positiver Mensch. Er kannte keinen Neid. Sah er jemanden, der erfolgreicher war als er, hat er ihn eher bewundert. Von ihm konnte man sich viel abschneiden. Ich habe mir wahrscheinlich gar nicht genug abgeschnitten.

Er ist gestorben?


Ja, er ist später gestorben. Rückblickend fand ich das Tollste: Er wollte einfach nur spielen. Wenn wir einen Gig hatten, und es gab Ärger mit dem Auftraggeber, dem Vertrag oder der Kohle, sagte er: “Komm, ich habe keine Lust mehr auf den ganzen Quatsch. Lass uns spielen.“ Dann ging er raus und spielte. Wir sind oft auf dem Berliner Gauklerfest aufgetreten, und das war wirklich anstrengend. Das ging über viele Tage. Man spielte viermal für eine halbe Stunde und  improvisierte in der Menge. Jeden Tag, über den ganzen Tag verteilt. Das war wirklich anstrengend und kraftraubend, auch psychisch. Wir hatten nichts, woran wir uns festhalten konnten und mussten immer wieder völlig frei Neues erfinden. Ich erinnere mich gut: Wir waren alle kaputt und hielten uns relativ strikt an unsere Zeiten. In einer Pause kam uns Georg entgegen:

Er hatte so eine blöde Mr. Bean-Plastikmaske in der Hand und sagte: “Bean is gonna show them how to dance!“ Wir alle waren froh Pause zu haben, und er ging in seiner Pause Mr. Bean spielen. Er war Clown seit über dreißig Jahren, und er ging in seiner Pause spielen. Ich fand es großartig, dass Spielfreude so überwiegen kann bei allem anderen, was da mitschwingt. George hat auf eine ganz direkte Art alle, die mit ihm arbeiteten, beeinflusst. Er war kein intellektueller Mensch, alles kam aus dem Herzen.

Er war wirklich ein ganz großer Clown, war gut in dem, was er tat und tat es aus dem Herzen. Anders geht es auch nicht: Clown zu sein, ist wirklich kein leichter Beruf, das habe ich damals noch nicht so gesehen. Heute weiß ich das: Immer alleine bei irgendwelchen Hochzeits-Gigs den Comedy-Kellner zu geben, ist nicht immer nur schön. Ich habe Georgo immer als ebenbürtigen Freund verstanden, obwohl er älter war. Er war so etwas wie ein Mentor für mich.

Das ist wirklich schön. Sie hatten Glück.


Absolut. Wäre er nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich meinen Beruf nie ergriffen. George hat immer gesagt: „Mensch, geh doch zur Schauspielschule, dann wirst Du auch als Clown noch besser. Das bringt uns bestimmt auch etwas!“ Ich glaube, hätte er das nicht vertreten, hätte ich es bestimmt nicht getan. Und am Anfang der Schauspielschule war das für mich auch immer ein wenig ein Stempel – dass ich Clown war. Ich wurde oft kritisiert deswegen.

Der zweite Teil des Gesprächs kommt hier in 2 Tagen:

 www.leadership-academy.de

www.pferdeakademie-berlin.de

meedia.de



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