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26.09.2008 Exklusiv fur GFDK

Exklusivinterview: Professor Hermann-Josef Kuhna im Gespräch

von: Heribert Brinkmann

Interview mit Professor Hermann-Josef Kuhna

 „Die Postmoderne ist weitgehend eine einzige Enttäuschung über sich selbst.“ 

Heribert Brinkmann: Was unterscheidet Ihre Malerei vom Pointillismus?

 

Hermann-Josef Kuhna: Der Pointillismus existierte aus der Überzeugung, dass die einzelnen Farbpunkte gesehen werden und ihr Zusammenspiel die Intensität der Farbwirkung steigert. Das war ein physiologischer Irrtum. Gerade bei größerem Abstand wirken pointillistische Bilder oft wie von einem atmosphärischen Schleier eingehüllt. In meinen Bildern ist – vielleicht nicht sofort erkennbar – sehr viel Zeichnung enthalten.

Die einzelnen Punkte, besser Flecken, sind verschieden groß, das geht bis zur Größe einer Zigarettenschachtel. Ich komme von der Landschaftsmalerei. Mir geht es um Rhythmus und Fließen der Farbe, maßgebend ist, wie sich die Farbe in der Fläche verändert. Nehmen Sie das Gemälde Seine-Ufer von Seurat. Es lebt unter anderem von der Geometrie, von der Staffelung der Ebenen.

Meine Bilder haben selten lineare räumliche Abgrenzungen. Ob ich eine erogene Zone oder eine Landschaft meine, beim Malen vermeide ich Gegenständlichkeit, was aber nicht auf Kosten der Wirklichkeit geschieht. 

Heribert Brinkmann: Wie sind Sie auf diese Art der Malerei gekommen? 

Hermann-Josef Kuhna: Den eigentlichen Anstoß gab ein Bild von van Gogh. Wie er Grasnarben mit wenigen Farbtupfen realisierte und wie der Betrachter das eigentlich abstrakte Geschehen für sich übersetzt, hat bei mir zu einem Schlüsselerlebnis geführt. Wenn sich jemand in meine Bilder einsieht, wird er nicht nur bunte Punkte sehen, sondern zum Beispiel eine Schlange ausmachen.

Mir ist es dabei gleich, ob man ein Slalom-Bild als nervöse Bewegung empfindet, sich an den Äskulap-Stab erinnert fühlt oder über den direkten Umweg philosophiert. Ich bin aber nicht allein durchs Malen und Beobachten zu meiner Art der Malerei gekommen. Mich hat Ethnologie interessiert, heute noch mehr Paläontologie. Das Strukturelle kommt für mich aus den Naturwissenschaften, das ist für mich wichtiger als beispielsweise die Gedankengebäude, die etwa Joseph Beuys vermittelte. 

Heribert Brinkmann: Wo steckt Kuhna im Streit zwischen Abstraktion und Figuration? 

Hermann-Josef Kuhna: Ich bin schon ein Abstrakter. Aber auch jeder gegenständliche Maler abstrahiert in einem gewissen Maße. Der Expressionismus war eine große Abstraktion, wie die Fläche in Spannung gehalten wurde. Das Problem für den Künstler heute ist, dass bei fortschreitender Abstraktion Inhalt und Sinn verloren gehen können.

Das ist die Schnittstelle, an der ich balanciere. Meine Bilder entstehen weder aus einem formalen Interesse, noch sind sie manisch-literarisches Tagebuch. Ich setze Empfindungen um. Prüde Menschen sehen nicht, was ich in meinen Bildern versteckt habe. Die begnügen sich schon mit den Punkten als bunten Farbtupfen. 

Heribert Brinkmann: Also haben Ihre Bilder geheime Botschaften? 

Hermann-Josef Kuhna: Nein, leider nicht. Ich übe keine Mission oder Bekehrung aus. Bei mir ist alles Narzissmus und Hingabe, eine artifizielle Befriedigung. Dabei male ich nie dasselbe Bild. Vielleicht wäre ich schon längst verrückt geworden, hätte ich nicht meine Fossilien-Sammlung. Seit meinem zwölften Lebensjahr sammle ich Fossilien.

Ein Mal im Quartal verschwinde ich auf Exkursion in einen Steinbruch, etwa in der Paffrather Mulde bei Köln, die urzeitliche Korallenriffe beinhaltet. Das bedeutet stundenlanges Hämmern, danach ist jede intellektuelle Verquetschung weg. Das wollte mir als Schüler schon mein Nachhilfelehrer beibringen, als er mich nach anderthalb Stunden Altgriechisch mit einer Schachpartie belohnen wollte. Aber da finde ich Steineklopfen doch entspannender. 

Heribert Brinkmann: Was haben Sie denn in Ihrem größten Außenbild am Düsseldorfer Rathausufer am Burgplatz versteckt? 

Hermann-Josef Kuhna: Da müssen Sie schon auf die andere Rheinseite hinübergehen. Von Oberkassel aus sind abstrahierte Körperformen zu sehen, Menschen am Strand, aber nicht so deutlich. Letztendlich soll das Ganze einfach eine Farborgie sein, satt in C-dur, keine Moll-Bilder. Dass ich am Rheinufer circa 360 Quadratmeter ausmalen durfte, war eine Idee des Architekten Professor Niklaus Fritschi, ich war begeistert. 

Heribert Brinkmann: Ihr Werk akzentuiert jetzt ausgerechnet das Joseph-Beuys-Ufer. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm? 

Hermann-Josef Kuhna: Als Student hatte ich großen Respekt vor ihm als Person, aber seine Ideen konnte ich nicht akzeptieren. An der Kunstakademie bekam ich weiche Knie und Herzrasen, wenn ich mit ihm zu tun hatte, aber ich stand nie in der Gefahr, ein Beuys-Jünger zu werden. Ich wusste auch, an den kommst du nie dran.

Aber muss Beuys denn wegen seiner Kunst geliebt werden, reicht es nicht zu verstehen, was Beuys will und was ihm wichtig ist? Johannes Stüttgen war so ein unbedingter Beuysianer. Als Stüttgen alle AStA-Mitglieder in der DSP, Beuys’ Studentenpartei, versammelt hatte, entsprach das nicht meinem Demokratieverständnis.

Ich habe damals den AStA der Akademie gespalten, indem ich einen Anti-AStA gegründet habe, der von Prof. Dr. Eduard Trier, dem damaligen Rektor, sofort als zweiter AStA akzeptiert wurde. Das ideologische, zusammenhanglose, oft pseudoreligiöse Gewäsch von Stüttgen konnte ich nicht ertragen, ebenso wenig auch die Figürchen von Mataré.

Damals durchlitt ich die Scheidung von meiner ersten Frau, ich steckte voller Hass und Wut, die ich los werden musste. Ich kann Ideologien und Heuchelei einfach nicht ertragen. Vor Joseph Beuys habe ich nach wie vor größten Respekt, heute habe ich ihn sogar sehr, sehr gern, unter anderem, weil er die Toleranzschwelle für die Kunst sehr hoch angesetzt hat. 

Heribert Brinkmann: Ihre eigene Studienzeit liegt gut 40 Jahre zurück. Wie beurteilen Sie die Düsseldorfer Akademie heute? Überhaupt: Ist Düsseldorf 2008 noch eine Kunststadt? 

Hermann-Josef Kuhna: Die Akademie lebt bis heute gut von ihrem legendären Ruf aus den 60er/70er Jahren. Viele Studenten kommen heute aus dem Ostblock oder aus Korea und Japan. Viele verstehen die Sprache ihrer Professoren nicht, erst recht sind Shakespeare und Surrealismus Fremdwörter für viele dieser Studenten.

Die ersten drei Nachkriegsjahrzehnte waren in der ganzen Kunstszene spannend, danach wurde alles in der Kunst zynischer, größer, bunter. Die Postmoderne ist weitgehend eine einzige Enttäuschung über sich selbst. Heute sind Gags, das Komische und Witziges wichtig. Das war früher völlig verpönt. Es galten Ironie und schwarzer Humor.

Seit 15 Jahren ist Kunst öfter mal eine Party, mit kleinen Wichsern, die sich gern zur reichen High Society gesellen. Düsseldorf ist unbedingt eine Kunststadt, aber ich sehe den Schwerpunkt eindeutig bei den Museen. Was wäre Düsseldorf ohne K 20 und K 21, ohne Ehrenhof, Kunsthalle und Kunstverein?

Aber ich nenne auch ausdrücklich das wunderbare Filmmuseum mit der Black Box und das Theater. Wir dürfen auch nicht die vielen Galerien in der Stadt vergessen, von denen viele am Rande der Existenz arbeiten. 

Heribert Brinkmann: Sie arbeiten an der Außenstelle der Akademie in Münster. Wie fällt Ihr Vergleich zwischen Rheinland und Westfalen, zwischen Düsseldorf und Münster aus? 

Hermann-Josef Kuhna: Münster ist eine tolle Stadt. Dort leben allein 60000 junge Menschen – bei insgesamt 240000 Einwohnern. In den Semesterferien dagegen ist Münster eine traurige Stadt. Im Gegensatz zu Düsseldorf. Da merkt man den Campus überhaupt nicht. Es gibt Proletenkneipen, aber keine richtigen Studentenlokale. Bis 1970 war die Ratinger Straße Zentrum des Punks.

Heute haben die Yuppies die Straße fast übernommen. Die Altstadt ist immer noch dem Mythos des Rheinischen verhaftet. Das westfälische Münster dagegen steht nicht für sich allein, sondern schöpft aus einem riesigen ländlichen Einzugsbereich. Man darf nicht vergessen, dass Münster früher auch einmal für die Wehrsportgruppe Hoffmann stand.

Heute sind die Grünen eine wichtige politische Kraft. In Münster hat sich eine Kulturszene etabliert, auch wenn es dabei ohne Kiffen nicht gegangen wäre. Heute gibt es 25 Galerien in der Stadt, das ist unter anderen auch der Akademie zu verdanken. Die Düsseldorfer Akademie platzte ja aus allen Nähten. Als eine Entlastungsakademie geplant wurde, haben sich Dortmund, Soest und Münster beworben.

Münster war bereits Universitätsstadt. Ich halte viel davon, wenn die jungen Menschen parallel Verschiedenes studieren können. Münster bekam 1972 eine Kunstakademie. Noch eine Besonderheit gilt für die Kunstakademie Münster: Von Anfang an gab es eine Filmklasse. 

Heribert Brinkmann: Wie steht die deutsche Kunst international da? 

Hermann-Josef Kuhna: Im Kunstaustausch über die Grenzen verändert sich was. Früher, denken Sie in Düsseldorf nur an Ruhrberg und Harten, gab es überall eine große Neugier, was international passiert. Heute erleben wir die Regionalisierung des gesamten Kunstbetriebes – trotz Internet und internationaler Messen.

Österreich öffnet sich dem Ostblock, wofür wir uns nicht besonders interessieren. Frankreich blockt deutsche Kunst ab. Aber auch, was in München gilt, stößt im Rheinland auf weniger Interesse. Dieser Zug zur Provinzialisierung läuft völlig konträr zur Entwicklung der Europäischen Union. 

Heribert Brinkmann: Hermann-Josef Kuhna: Was die Museen anbetrifft, eine sehr große. Die Besucherzahlen der Museen sind höher als bei der Bundesliga. Das war vor 20 Jahren noch nicht so. In Münster erlebe ich häufig, wie katholische Hausfrauenvereine aus der Umgebung nach Münster reisen, um dort zu shoppen und anschließend eine Ausstellung zu besuchen.

Eine Macke-Ausstellung in Münster hatte 480000 Besucher. In Nordrhein-Westfalen haben wir eine der größten Museumsdichten weltweit. Ich sehe heute so gut wie keine Picasso-Witze mehr, kaum jemand vergleicht die Moderne mehr mit entarteter Kunst. 

Heribert Brinkmann: Werden diesem Rollenwandel die Feuilletons und das Fernsehen gerecht? 

Hermann-Josef Kuhna: Überregional ist Titel-Thesen-Temperamente wichtig, Westart sehe ich mir gern an. Ansonsten kann ich nur für Düsseldorf reden, wo ich lebe, nicht für Hamburg, München oder Berlin. Die Feuilletons der Tageszeitungen sind zu mager. Völlig Belangloses wird dort aufgebauscht. Eine große Tageszeitung bringt im Lokalteil regelmäßig viertelseitig mit Farbabbildung den größten Künstler: Stuss natürlich von Laien. 

Heribert Brinkmann: Wie erleben Sie die jungen Künstler heute? 

Hermann-Josef Kuhna: Auch hier hat sich alles sehr gewandelt. Früher konnte nach großen Ausstellungen wie Donald Judd oder Henry Moore an der Akademie eine große Imponierwelle feststellen. Heute lernen die Studenten zu 80 Prozent voneinander, nicht mehr nur von den Profs. Die jungen Künstler heute sind besser informiert und vernetzt, das Internet spielt eine wichtige Rolle. Der Geniekult der 70er und 80er Jahre ist vorbei. Wichtig sind Ausstellungen in internationalen Museen. 

Heribert Brinkmann: Verdirbt Geld den Künstler? 

Hermann-Josef Kuhna: Nein, kommt auf den Künstler an. Bei mir? Ich habe lieber Ölfarben als Essen gekauft. Geld hat mich nicht verdorben, sondern mir eher neue Möglichkeiten eröffnet. Ich habe die schönsten Museen Europas besucht, ich unternahm Reisen nach Ostasien. Auch für die unbedingt notwendigen dicken, fetten Kataloge braucht ein Künstler Geld.

Es ist das Geld, das es mir ermöglicht, mich auf einem wunderbaren Niveau zu bewegen. Auf der anderen Seite ist Geld ein relativer Wert. Die Preise von Kunstwerken haben nichts mit Qualität zu tun. Für was manchmal 100000 Euro verlangt und gezahlt werden, ist schon traurig und deprimierend. 

Heribert Brinkmann: Was haben Sie sich für die Zeit nach der Akademie vorgenommen? 

Hermann-Josef Kuhna: Mein Ruhestand steht erst in anderthalb Jahren an. Ich hoffe dann, mehr malen zu können und weiter auszustellen. Zwei, drei Ausstellungen im Jahr reichen mir völlig. Mein letztes Lebens-Fünftel ist angesagt, da möchte ich in erster Linie mein Werk abschließen. Ich verliere die Lust, mich um den Nachwuchs zu kümmern.

Mit der Arbeit an der Akademie stoße ich jetzt an meine Grenzen. Ich bin froh, wenn der Spuk vorbei ist. Wenn ich zwei Tage lang Mappen von Bewerbern ansehen musste, träume ich danach von Katastrophen. Ich möchte wieder besser träumen, reisen, Kunst genießen können. Vor allem gilt, wie Ben Vautier es so schön formulierte: „I don’t want to do art. I want to be happy.“ 

Professor Hermann-Josef Kuhna: Der „Kölner“ Kuhna studierte von 1964 bis 1969 an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei den Professoren Bobek, Arnscheidt und Weber. 1969 legte er seine erste philologische Staatsprüfung ab, 1971 seine zweite. Danach arbeitete er als freier Künstler und jobbte als Kellner. 1972 wurde er Dozent am Institut für Kunsterzieher der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, Abteilung Münster.

1979 wurde er dort an der mittlerweile selbstständigen Kunstakademie Münster zum Professor ernannt. Sein Atelier behielt er die ganzen Jahre über in Düsseldorf. Doch die Düsseldorfer Kunstszene hat den aktiven, experimentierfreudigen Künstler noch zu entdecken – das Interview will dazu beitragen, eine interessante Künstlerpersönlichkeit mit einem individuellen Werk einer großen Öffentlichkeit bekannt zu machen.  

Über den Autor:

Dr. Heribert Brinkmann, geboren 1956 in Düsseldorf, Kunsthistoriker, Studium in Köln, Dissertation 1981 über „Wassily Kandinsky als Dichter“. Werbetexter, Journalist und Buchautor, zurzeit Redakteur der Rheinischen Post, lebt in Kaarst bei Düsseldorf. 

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