Michaela Boland im Interview mit HA Schult, Fotos (c) GFDK
HA Schult hat Spass mit freunde der künste Redakteurin Michaela Boland
Aktionskünstler HA Schult mit seinen Müllmännern
Die Müllmenschen von HA Schult stehen gerade vor den “Höhlen von Matera”. Hier noch einmal das Gespräch was wir 2014 mit HA Schult geführt haben. Michaela Boland trifft HA Schult für die Gesellschaft Freunde der Künste zu einem sehr ausführlichen Interview: Den Müll hat er schon lange als reale Bedrohung der modernen Industriegesellschaften entlarvt.
Im Rahmen seiner Aktionskunst schafft er seit Jahrzehnten ein Bewusstsein für das leichtfertige Verhalten der Wegwerf-Society. Doch nicht immer hat er sich mit seinen außergewöhnlichen Aktionen nur Freunde gemacht.
So zählte Franz Josef Strauß wohl eher nicht zu seinen Bewunderern als dieser versuchte, Museumsdirektoren ihrer Ämter zu entheben, nur weil sie IHN ausstellten: HA Schult.
Der Ausnahme- und Medienkünstler der ersten Stunde, der durch seine bekannten 1000 Trash-People zu Weltruhm gelangte, hat sich längst lautstark gegen mangelnde Nachhaltigkeit und reine Konsumorientierung positioniert. Ob seine Botschaft nach mehr als 50 Jahren kontinuierlicher Arbeit in der Kunst angekommen ist, habe ich ihn gefragt.
Michaela Boland: Sowohl auf Deiner Hompage als auch auf Deinem Facebook-Profil ist zu lesen, "Art is Life". Ist das eine im Laufe Deines Arbeitslebens von Dir gezogene Conclusio oder war das schon immer Dein Credo?
HA Schult: Das ist schon mein Lebensmotto.
Michaela Boland: Als einem der bedeutendsten Objekt- und Aktionskünstler Deutschlands kommen einem bei Deinem Namen unweigerlich schnell die berühmten "Trash People" in den Sinn, die schon weltweit für Furore gesorgt haben.
Sie standen nicht nur auf dem Roten Platz in Moskau, vor den Pyramiden von Gizeh oder im ewigen Eis der Arktis, sondern auch an der Chinesischen Mauer, in New York, Rom, Barcelona oder Kairo, sowie im April 2014 auf dem Recycling Hill des Ariel-Sharon-Parks im israelischen Tel-Aviv. Kann man sagen, dass gerade jene Schrott-Armee in den Augen vieler Menschen im Laufe der Zeit zu einer Art Sinnbild für HA Schult geworden ist?
HA Schult: Nicht für mich, sondern für den Zustand unseres Planeten. Wir leben ja auf einem Müll-Planeten. Wir haben ihn zu diesem Müll-Planeten gemacht. Und so sind diese 1000 Skulpturen unser aller Ebenbild. Sie reisen wie Asylanten um die Erde.
Sie leben in 20 Seefracht-Containern, so wie die Asylanten, die dort am Mittelmeer ankommen oder die an den Küsten angeschwemmt werden. Deshalb sind sie ein Sinnbild für den Zustand dieser Erde.
Michaela Boland: Ungeachtet der Tatsache, dass du für ausgesprochen viele bemerkenswerte Kunstwerke verantwortlich zeichnest, sind die Müllmenschen jedoch dennoch etwas, dass die Öffentlichkeit häufig zuerst mit dir assoziiert, sobald dein Name fällt.
HA Schult: Naja, es ist so, wenn ein Kölner am Tresen steht, dann sagt er: "Das ist der mit dem Flügelauto." Wenn er über einen etwas größeren intellektuellen Radius verfügt, dann sagt er schon mal: "Wo ist denn meine Kugel geblieben?
Wer hat mir die denn weggenommen?" (Anm. d. Red.: HA Schult schuf eine Weltkugel, die 1996 in rund 70 Metern Höhe auf dem Pylon der Kölner Severinsbrücke befestigt und zum festen Bestandteil des Rheinpanoramas wurde.
Im Jahre 2000 sollte die Kugel sodann auf Anordnung der Stadt ihren bisherigen Standort verlassen. Anschließend fand das beliebte Kunstwerk auf dem Dach der Zentrale des Versicherungsunternehmens DEVK ein neues Zuhause). Und wenn er dann noch über die Stadtgrenze guckt, dann sagt er: "Wo ist denn das Hotel Europa?
Das ist ja gesprengt worden. Warum?" So sagte der damalige Bundeskanzler seinerzeit zu mir: "Sieh zu, dass das Hotel Europa stehen bleibt!" Und ich erwiderte ihm: "Bist du hier der Kanzler oder ich? Die wollen das sprengen." So hat eben jeder seinen Blickpunkt.
Wenn ich nämlich in München bin, dann wird ein Münchener sagen: "Hör mal, das ist doch der, der damals die Straße vermüllt hat." Wenn ich dagegen in China bin und Menschen deiner Generation treffe, dann sagen sie mir: "Ich habe etwas über dich im Schulbuch gelernt.
Viele, die zwischen 25 und 30 Jahren sind und in China Abitur oder ihr Examen machten, haben in ihren Büchern von mir gehört. Also, man kann sagen, dass alle Projekte regionalbezogen jeweils für sich bekannt sind.
So weiß man beispielsweise auch in St. Petersburg, dass ich das Auto von Lenin, von dem aus er im Jahre 1917 die Oktoberrevolution ausgerufen hat, gegen ein zu Marmor gewordenes Auto ausgetauscht habe, das vorher auf dem Heinrich-Böll-Platz in Köln stand.
Und in Ludwigshafen wird man sich daran erinnern, dass ich irgendwann mal bei dem besten Italiener der Stadt gegessen habe (lacht). Also, was solls, die Kunst ist heute global. Es gibt Künstler, die im Atelier leben und die wunderbare Bilder machen und es gibt Künstler, die haben die Welt zur Leinwand erklärt und so einer bin ich.
Michaela Boland: Schon 1972 hast du mit der Biokinetischen Landschaft auf der Documenta 5 die Besucher der Ausstellung in großes Erstaunen versetzt. Dabei stand das Verhältnis zwischen natürlicher Zersetzung und zivilisatorischer Zersetzung im Vordergrund.
Zu diesem Zeitpunkt warst du gerade mal Anfang 30. Seit wann genau spielte das Thema Umwelt und vor allem der menschliche Umgang mit derselben eine entscheidende Rolle in deinem Leben?
HA Schult: Seit den 50er Jahren. Als ich auf die Kunstakademie in Düsseldorf ging, war diese noch ziemlich vermieft. Man hatte Paul Klee in den 30er Jahren ja bekanntermaßen verjagt. Gründgens lief noch durch die Stadt, Gerling finanzierte immer noch Arno Breker, der in Düsseldorf lebte und die Professoren dort waren ein ziemlich müder Haufen. Inklusive Matare, der hier in Köln die Dom-Türen gemacht hat.
Inspiriert von Künstlern wie Yves Klein oder Jackson Pollock, Georges Mathieu und Karl Otto Götz, dachte ich damals, nachdem sie alle zu ihrer Zeit so eine Art Schallmauer der Künste durchbrochen hatten, man könne danach nicht weiter mit dem fortfahren, was zuvor gemacht wurde.
Und so kam ich auf die Idee, die Welt durch sich selbst darzustellen. So habe ich die Welt nicht abgepinselt, sondern ich habe sie stattfinden und sich sodann in den Medien wiederfinden lassen.
Damit gehöre ich zu den Medienkünstlern der ersten Stunde. Das, was du gerade erwähnst, das biokinetische Labor auf der Documenta 1972, war ein Altarbild. Sozusagen ein Medienaltar über den damaligen Zustand der Welt, als es noch keine grüne Partei in der Form gab und als der Club of Rome noch kein Wort über das ökologische Ungleichgewicht verloren hat. Wir Künstler waren es, die damals dieses Thema in die Umlaufbahn der Menschen gebracht haben.
Michaela Boland: Hat es zur damaligen Zeit eigentlich ausschließlich Zuspruch oder auch kritische Stimmen im Hinblick auf deine Arbeiten gegeben?
HA Schult: Es gibt bis heute, Gott sei Dank, nicht nur Zuspruch, denn sonst wäre ich ja überflüssig. Ich glaube, das geht jedem Künstler so. Ob man nun ein Bild malt oder eine Skulptur herstellt, je besser der Künstler ist, desto mehr Ärger hat er.
Michaela Boland: Was war deine ursprüngliche Motivation dafür, Künstler werden zu wollen?
HA Schult: Ich bin in einer Trümmerlandschaft in Berlin aufgewachsen. Mein Vater war erst bei Adolf Hitler, dann bei Stalin und letztendlich in der SPD. Ich wollte so etwas nicht sein. Ich wollte mich nicht anpassen.
So habe ich in dieser Stadt, die ja wirklich ein Spiegelbild des Krieges war, sehr früh gelernt, mich als kleiner Junge zu behaupten. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, mich nie so einzuordnen wie meine Eltern oder die Umgebung, in der ich war, es getan haben.
Michaela Boland: Wie kam das bei deiner Familie an? Hast du ihnen ganz direkt gesagt, dass du auf die Kunstakademie wolltest?
HA Schult: Ich war immer auf Internaten und habe mir meine Freunde stets woanders gesucht. Zum Entsetzen solcher Leute, die ihre Eltern sehr lieb hatten, habe ich immer gesagt: "Ich kann ja nichts dafür, dass ich meine Eltern nicht sonderlich schätze."
Später war das dann egal, aber in der Zeit habe ich mich von meinem Elternhaus getrennt, bin auf die Kunstakademie gegangen und habe meinen Lebensunterhalt selbst verdient. Ich habe 56 unterschiedliche Jobs gemacht.
Michaela Boland: Was war alles dabei?
HA Schult: Natürlich Taxifahrer. Ich habe Autos nach Teheran und Kairo überführt. Wahrscheinlich saß ich letztes Jahr sogar noch in einem Taxi, das ich damals, 1958, selbst dahin gefahren habe, denn die scheinen da immer noch zu fahren.
Heute ist es leider nicht möglich, so leicht nach Kairo zu reisen, weil sich seitdem sehr viel dort getan hat. Aber, wenn du dich umguckst, dann siehst du, dass dort unterhalb der Pyramiden schon die 1000 Skulpturen standen, dass da Rommel stand und zuvor auch schon Napoleon. Doch die beiden sind nicht so heil wieder weg gekommen wie ich und, Gott sei Dank, auch meine Skulpturen.
Michaela Boland: Nach welchen Kriterien entscheidest Du eigentlich, wohin die Skulpturen reisen? Sie waren ja weltweit an geschichtsträchtigen Plätzen in den Metropolen dieser Welt.
Doch zuletzt standen sie in Monschau in der Eifel und genauso reisten sie auch schon an den Fuß des Westerwaldes nach Wissen an der Sieg.Ist das so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit, Motto: Nach einigen Hotspots auch immer mal wieder ein kleines Nest?
HA Schult: Naja, ich habe am Anfang meine Aktionen an Orten durchgeführt, die signifikant für die Menschheit sind. Das war damals natürlich New York, die größte Müllhalde der Welt, Staaten Island. Da habe ich im Rahmen eines Crashs das Flugzeug zur Documenta 1977 abstürzen lassen. Es war die erste Satellitenübertragung einer Kunstaktion.
Das konnte natürlich nicht auf der Müllkippe in Paderborn oder Krefeld stattfinden, denn die Menschen gucken natürlich eher nach New York als nach Braunschweig. Wenn man sich dann überlegt, was das für einen Radius hat.
Von der CIA und dem FBI wurden die Reste des World Trade Centers später alle auf jene Müllkippe geschafft, auf der ich 1977 den Crash veranstaltet hatte. Es sind insoweit immer Schauplätze gewesen, die von der Geschichte der Menschheit geprägt oder auch von ihrem Blut getränkt waren.
Sei es der Rote Platz in Moskau oder der Schlossplatz in St. Petersburg oder die Chinesische Mauer bei Jiinshanling oder auch Rom auf der Piazza del Popolo. Ich bin jetzt auch auf dem Weg nach Israel, ebenfalls zu einem sehr wichtigen Ort, genauso wie auf dem Weg nach Lhasa zu einem wichtigen Ort.
Ich suche mir diese Orte also schon sehr gezielt aus. Alle zwei bis drei Jahre einen dieser großen Plätze, die Geschichte geschrieben haben und dazwischen gehe ich aber auch nach Monschau.
Michaela Boland: Warum gerade Monschau?
HA Schult: Monschau hat Kunstgeschichte geschrieben, weil die erste internationale Straßenkunstaktion, die je auf diesem Planeten stattgefunden hat, in Monschau war. Das wissen nur wenige.
Doch damals, im Jahre 1970, hat Klaus Honnef die seinerzeit aktuelle Avantgarde als Kurator nach Monschau geholt. Dazu zählten Günther Uecker ebenso wie Dipiz oder Daniel Büren und unter anderem eben auch ich.
Als ich nun kürzlich zu einem Jubiläum in Monschau eingeladen war und dort mit den ganzen Künstlern, die bis dahin überlebt haben, zusammenkam, hat sich herausgestellt, dass von den ursprünglich 30 Künstlern, die 1970 dabei waren, 15 heute noch weltberühmt sind.
Daraufhin hat die Stadt mich dazu eingeladen, noch einmal als Solist wieder zu kommen und so bin ich der Einladung gefolgt. Wir haben sehr viele Besucher in Monschau gehabt. Auch waren nie zuvor derartig viele Chinesen dort, was dadurch kam, dass ich in China sehr populär bin.
Da haben die Reisegruppen aus China auf dem Weg nach Trier extra einen Umweg über Monschau gemacht. Es ist ja letztendlich eine globale Skulptur, die sowohl den Menschen und vor allem den Kindern, sowohl in China als auch denen in Ägypten oder in Russland, das Thema, das die Zukunft und die Politik entscheidend beeinflussen wird, vor Augen führt. Nämlich, die Luft, die wir atmen, darzustellen.
Michaela Boland: Zu China hast du eine besondere Verbindung, denn du hast dort auch eine Professur inne. Wie kam es dazu?
HA Schult: Ich habe in China deshalb eine hohe Popularität, weil es diese Art von Kunst zu dem Zeitpunkt als ich sie machte, dort noch nicht gab. Das hat sich dann zwar, so wie alles in China, in rasendem Tempo entwickelt.
Aber in den 80-er Jahren, als ich dort antichambrierte und mich darum bemühte, in China ein Projekt zu machen, war diese Kunst genauso wie in der damaligen DDR kaum vorstellbar.
Das hielten die gar nicht für Kunst. Beim ersten Mal als mir während der Besuche ein Minister zur Seite gestellt wurde, war das der Maschinenbauminister, denn sie haben gesagt, "der Kultusminister kann für so einen Irren nicht zuständig sein.
Aber, da er wahrscheinlich zu Hause einen elektrischen Rasierapparat haben wird, geben wir ihm mal den Maschinenbauminister als Begleiter mit". (lacht) Damals war Picasso ja sogar noch verpönt.
Als ich in den 80-er Jahren schon einmal eine Gastprofessur in China hatte, hat eine meiner Studentinnen dort beispielsweise eine Aktion durchgeführt, bei der sie eine Telefonzelle rekonstruierte, darin eine Puppe aufgestellt und mit einer Schrotflinte auf dieselbe geschossen hat.
Die Studentin wurde daraufhin verhaftet und ging für zwei Jahre ins Gefängnis, denn sie hatte mit ihrer Aktion die Unterdrückung der Meinungsfreiheit dargestellt. China ist ein Land, das alles in rasender Eile macht und das versucht, all diese Probleme, die wir in Europa haben, auf einmal zu bewältigen.
Da gibt es jetzt, überspitzt gesagt, genau die gleichen Formen von Gefangenenlagern wie in den USA, es gibt sie sogar vielleicht so wie bei uns noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt aber genauso gut auch eine Freiheit exzessivster Art wie in Moskau.
Also, dieses Land ist so vielbödig wie kaum ein anderes Land auf dieser Erde. Und das, was derzeit an moderner Kunst in Shanghai oder auch in Peking geschieht, macht heute das Klima der Weltkunst aus, so wie in den 70er Jahren in New York.
Michaela Boland: Wie oft bist du für deine Aktivitäten in China?
HA Schult: Oft. Ein paar Mal im Jahr. Ich bereite gerade ein Projekt in Shenzhen vor. Auch bin ich in Tsingtao. Als ich das erste Mal in dieser Stadt war, einer ehemaligen deutschen Kolonie, hatten sie dort gerade mal 100.000 Einwohner. Jetzt haben sie 8 Millionen Bewohner.
Dort gibt es ein Bier, das auf Platz 10 der meistverkauften Biere der Welt steht. Auch gibt es dort Kartonagen-Fabriken, die hier alles beliefern, was du bei der Deutschen Post kaufen kannst. All diese Dinge spielen in meine Kunst hinein, nämlich im Hinblick auf die Globalisierung eines Planten, der im Augenblick zu Tode globalisiert wird.
Michaela Boland: Allenthalben wir dem Land China aus unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen vorgeworfen, heimlich ausgesprochen viel von anderen Ländern zu kopieren. Erlebst du das auch und wenn ja, bedeutet das, dass eigene Kreativität dort eher Mangelware ist?
HA Schult: Nein, die Kreativität in China ist sehr ausgeprägt. Nur sind sie eben sehr tüchtig im Kopieren. Ich leide ja auch darunter, denn ein Weiwei ist eine Kopie von mir.
All das, was ich und Joseph Beuys oder Wolf Vostell gemacht haben, kopiert derzeit ein chinesischer Künstler, der, als ich ihn kennenlernte, noch gar kein Künstler war, sondern ein Werbeunternehmer und der nun weltweit als Aktionskünstler gehandelt wird, wie Spiegel, Bild oder Stern berichten.
So gesehen werde ich da also auch kopiert und das ist nur gut so. So ist zum Beispiel auch eine Skulptur von mir, die gefälscht war, dort für 20.000 Dollar verkauft worden, während das Original nur 8000,- Euro kostet.
Also, ich finde es sehr anerkennenswert, dass die Fälschung schon teurer ist als das Original. Das ist noch nicht mal Picasso zu Lebzeiten passiert. Insofern sind die Chinesen in Allem Vorreiter.
Michaela Boland: Nachahmung soll ja die höchste Form der Anerkennung sein.
HA Schult: Ja, richtig. Eine Fälschung ist die einfachste Form und wichtiger als eine gute Kunstkritik. Denn die Fälschung multipliziert den Gedanken des Künstlers ja wieder weiter.
Außerdem sind die Museen voller Fälschungen. Auktionshäuser und Museen würden ja gar keinen Zulauf mehr haben, wenn sie keine Fälschungen zeigen würden, dann wäre ja nichts los.
Sie haben darüber hinaus auch viel Müll. Was die römische Scherbe heute ist, wird die Coca Cola Dose in wenigen Jahren sein. Das wissen wir ja schon von der Pop Art, dass die Cola-Dose eine vorweggenommene Archäologie ist, so wie meine Skulpturen eben auch.
Michaela Boland: Wenn es darum geht, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass beispielsweise die Müllberge weltweit immer mehr wachsen, lässt sich dann heute womöglich im Rückblick messen, inwieweit gerade deine Trash People in den vergangenen Jahren für ein Umdenken gesorgt haben? Vermag die Kunst, Leute in dem Sinne wachzurütteln, dass sie tätig werden?
HA Schult: Nein, das lässt sich alles nicht messen. Es lässt sich ja auch nicht messen, warum die Mona Lisa ein besonders wichtiges Bild ist, warum sich van Gogh das Ohr abgeschnitten hat oder warum Richter immer wieder Kerzen malt.
Kunst ist, Gott sei Dank, im Vergleich zu anderen Dingen wie Mathematik oder andere Formen von Wissenschaften nicht messbar. Alchemie ist vielleicht noch mit der Kunst vergleichbar.
Wir wissen überhaupt nicht, warum ein bestimmter Sänger uns mehr fasziniert als ein anderer, der dasselbe Lied singt. Auch können wir nicht ausmachen, warum das Lächeln eines Schauspielers oder einer Schauspielerin mehr Faszination in uns auslöst als das Lächeln aller anderen Schauspieler zusammen.
Das sind glücklicherweise immer Werte, die die Welt verändert haben, von denen wir selber in allen Epochen überrascht wurden und die eigentlich den Wert der Kunst ausmachen.
Aber, es ist bewiesen, dass das, was wir Künstler gesagt haben, in das Denken der Kunstpädagogen, in viele Seminararbeiten, Abiturarbeiten oder Doktorarbeiten, die ja auch häufig über meine Kunst geschrieben worden sind, miteingeflossen sind.
Insofern haben sie dann später sehr viel im Denken der Menschen bewirkt. Viel mehr als Politiker. Nehmen wir ein Beispiel. Ich habe eine Skulptur beim Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland stehen. Jetzt ist es eine Ministerin.
Dieser Müllmann, diese Skulptur stand erst bei Minister Trittin, dann bei Minister Gabriel, anschließend bei Minister Röttgen, danach bei Minister Altmaier und jetzt bei einer Ministerin (Anm. d. Red: Barbara Hendricks).
Wenn da nun Besucher kommen, dann denken die, der Müllmann ist der Minister, denn die Minister kommen und gehen, aber der Müllmann steht da und der ist auch ein Botschafter für den Zustand unserer Zeit.
Wenn du einen Müllmann in einer Bank, bei einem Vorstandsmitglied oder beim Zahnarzt stehen hast, dann ist zunächst mal das Thema Umwelt in Diskussion.
Viele meiner Sammler haben mir genau das erzählt. So ist jede einzelne Skulptur, ob in Moskau oder in Kairo, ein Botschafter dieser Message, sich mit dem Thema Umwelt einmal kritischer auseinander zu setzen als man es vielleicht sonst tut.
Aber, das ist eine kollektive Entwicklung. Jeder Müllmann ist natürlich ein Beweger. Doch im Vergleich kann man auch sagen, die eine Dom-Tür von Matare hat mal irgendetwas bewirkt. Mir ist das zwar nicht ganz klar, was sie bewirkt hat, aber sie muss ja auch einen Sinn gehabt haben (lacht).
Michaela Boland: Ist es für dich ausreichend, wenn die Leute, die zur Ausstellung kommen, deine Werke bewundern, darüber nachsinnen und denken, "aha, wir müssen wohl mal etwas tun“ und wieder gehen. Oder ist dir wichtig, auch tatsächlich Ergebnisse bei den Menschen zu erleben?
HA Schult: Die Menschen haben schon reagiert. Während wir als Künstler so etwas gemacht haben, wie beispielsweise die Stadt mit Müll zuzuschütten, bevor es dann wirklich alle taten, um darauf aufmerksam zu machen, was wir Menschen im Begriff sind, anzurichten, hat durchaus der eine oder andere reagiert. Allerdings nicht immer zum Guten.
Als Franz Josef Strauß noch bayerischer Landesvater war, hat er zum Beispiel so gegen meine Kunst polemisiert, dass er Museumsdirektoren abberufen wollte, nur weil sie mich ausstellten. Ich bin politischer Flüchtling, denn ich bin über die Mainlinie vor der CSU nach Nordrhein Westfalen geflüchtet.
(lacht) Insofern findet das nicht nur in China statt. Das Denken der Leute und vor allem der Irrtum, dass Kunst etwas schmücken soll, wogegen ja grundsätzlich nichts zu sagen ist, wenn man mal ein Bild an die Wand hängt. Aber, das Bild an der Wand bewegt ja nichts in den Köpfen der Menschen.
Das hat sich abgenutzt. Genauso wie in der Formel Eins die ganzen Autos, die da im Kreis herumfahren, ja auch nichts bewirken, so ist es auch mit der modernen Kunst, die bewirkt sehr wenig. Das, was ich tue, bewirkt sehr viel. Ich habe vor 40 Jahren ein ganz neues und breites Publikum für die Kunst entdeckt.
Hier in Köln leben eine Million Menschen, davon sind einige Hunderttausend in irgendeiner Form mit meiner Kunst in Berührung gekommen und sprechen mich darauf an.
Das ist bei Ai Weiwei so, das ist bei mir so, das war bei Beuys vielleicht so. Dann ist allerdings die nächste Frage, ob diese Kunst in den Köpfen der Leute überhaupt etwas bewirkt oder ob sie nur sagen, "da geht der Irre vom Dienst"? Dann trennt sich schon langsam die Spreu vom Weizen.
Michaela Boland: Worin siehst du heute die Problematiken von bildender Kunst?
HA Schult: Eins der größten Probleme von heute ist, dass die Kunst, die in den Museen oder bei den reichen Sammlern ist, auch dazu missbraucht wird, um Steuern zu hinterziehen, um im wirtschaftlichen Bereich Landesgrenzen zu verwischen und dass sie eigentlich zu einer Art Ersatzwährung hochgefeatured wurde. Diese Kunst, die heute so teuer ist, bewirkt überhaupt nichts.
Wenn, höchstens eins, nämlich, dass sie, Gott sei Dank, in drei bis vier Jahrzehnten einem Verfall unterliegt. Derart, dass sie nichts mehr wert ist. Insofern bewirkt sie dann doch noch etwas und zwar eine ziemliche Ebbe im Portemonnaie der Erben.
Michaela Boland: Gerade erwähntest du bereits, dass du in den Trümmern Berlins aufgewachsen bist. Welche konkreten Erinnerungen hast du noch an deine Kindheit?
HA Schult: Ich kann mich an alles erinnern. Zum Beispiel daran, dass ich meine erste Lehrerin aus der Badewanne zog, weil sie Morphinistin war. Aber, das musste man auch verstehen, denn ihr Bruder war der Leibarzt von Hitler. So gesehen waren das üble Zeiten. Da kann man sich schon dran erinnern.
Michaela Boland: Hat dich das geprägt?
HA Schult: Wahrscheinlich prägt das auch. Es hat mich aber davor bewahrt, Drogen abhängig zu werden, denn ich habe in frühester Kindheit an anderen Menschen gesehen, wie das die Leute zerstört hat. Es war auch eine Zeit, die mit dieser Zeit heute gar nicht zu vergleichen ist, die aber leider in der Zeit, in der wir uns jetzt unterhalten, sehr stark mit dem zu vergleichen ist, was beispielsweise gerade in der Ukraine passiert.
Von Beirut und all diesen Schauplätzen gar nicht erst zu sprechen. Genauso wie von Afrika, Mexiko und anderen Grenzbereichen. Uns geht es in diesem Land im Vergleich zu vielen Menschen auf diesem Planeten enorm gut. Das lernt man natürlich besonders gut kennen, wenn man, so wie ich, in all diesen Ländern beruflich zu tun hat.
Michaela Boland: Findest du, dass die Menschen aus der Geschichte lernen oder eher nicht?
HA Schult: Ja, das sind so Wellen der Geschichte. Natürlich machen wir Erfahrungen. Es gibt Menschen, die machen das mit Tieren, dass sie diese immer wieder in Versuchsreihen schicken, bei dem sie zu so einem Elektrozaun laufen und untersucht wird, ob die Tiere endlich kapieren, dass sie dort einen Schlag kriegen. Die Tiere merken das. Und nach einiger Zeit merken es sogar die Menschen.
Michaela Boland: Es gibt also Hoffnung. Hast Du Geschwister?
HA Schult: Nein.
Michaela Boland: Gibt es bei dir noch Verbindungen zu deinem einstigen Geburtsort, Parchim?
HA Schult: Ja, ich habe eine Verbindung zu diesem Geburtsort, weil ich ihn immer verheimlicht habe. Dieser Ort war so schäbig und meine Mutter hat sich lediglich zur Entbindung dort hinbegeben. Ich bin ja in Berlin aufgewachsen, aber die Schwiegereltern meiner Mutter wohnten in Parchim in Mecklenburg.
Dann fuhr meine Mutter dorthin, was ich ihr nie verziehen habe, und dort wurde ich auf dem Esszimmertisch geboren. Deshalb steht in meinem Pass Parchim.
Michaela Boland: Statt Berlin.
HA Schult: Ja, und das war in der Schule in Berlin natürlich erst mal ganz schrecklich, wenn ich immer diesen Namen sagen musste. Dafür war es aber während des Krieges ganz gut, denn dort gab es etwas zu essen.
So wurde man dann als Kind von Berlin, wo es nichts zu essen gab, nach Parchim gebracht und da gab es Spargel und Eier und Erdbeeren. So gesehen war Parchim natürlich ganz toll.
Ich war dann eigentlich undankbar, dass ich meinen Geburtsort später immer verheimlicht habe. Nun kam aber 2001 der Bürgermeister von Parchim zu einem großen Projekt, das ich in Berlin machte und sagte: "Herr Schult, Sie sind ein ganz unangenehmer Mensch.
Wir mögen Sie alle nicht in Parchim, weil Sie uns verheimlichen." Da erwiderte ich: "Ja, dann muss ich das wohl ändern, aber dann müsst Ihr was kaufen."
Da haben sie etwas gekauft, ich bin hingefahren, habe ihnen eine Skulptur von mir gebracht und als ich sie auslieferte, erhielt ich vor dem Rathaus ein Strafmandat. Für fünf Euro. Ich kann daher nur jedem empfehlen, in Parchim falsch zu parken.
Es ist billiger als in Köln richtig zu parken. (lacht) Für den ganzen Tag fünf Euro, was ist das? Im Vergleich zu Köln, wo man in einer halben Stunde oder Stunde fünf Euro bezahlt.
Michaela Boland: Wie ging die Geschichte weiter?
HA Schult: Das Kuriosum an der Sache war, dass ich in einem Halteverbot innerhalb eines Bereichs stand, der eigens für mich eingerichtet worden war. Nur die Politesse wusste das nicht.
Dann gab ich jenes Strafmandat dem Bürgermeister signiert zurück und drei oder vier Wochen später las ich in einem Presseclip auf Seite drei der Schweriner Volkszeitung - also ganz prominent - wie klug doch die Parchimer seien, da sie für fünf Euro einen HA Schult erworben hätten.
Denn, nachdem ich es signiert hatte, haben sie das Mandat dann gerahmt und ins Museum gehangen. Insofern habe ich an diese Stadt sehr angenehme Erinnerungen. Das führte allerdings zu einer Kettenreaktion. Ein in der Gegend ansässiger Sender nämlich rief alle dazu auf, ihre Strafzettel doch künftig nach Parchim zu schicken.
So kamen hunderte von Strafmandaten in der Stadt an. Das nahm eine solche Eigendimension an, dass sogar der jetzt amtierende Bundespräsident mir einmal bei irgendeinem Empfang vorwarf, dass ich ja gar kein echter Mecklenburger sei, zumal ich die Stadt immer wieder verheimlicht hätte. Also auch nachtragend, er war ja Pfarrer in der Region.
Michaela Boland: Bist du denn mittlerweile Ehrenbürger dort?
HA Schult: Ich befürchte, dass sie die Plakette von meinem Geburtshaus wieder abnehmen, wie sie mir gedroht haben, wenn ich nicht endlich zugebe, dass ich aus Parchim bin. Aber jetzt hat es sich ja herumgesprochen.
Michaela Boland: Dein Studium hast du, wie erwähnt, an der Kunstakademie Düsseldorf unter anderem bei Karl Otto Götz, einem der führenden Vertreter des Art Informel absolviert.
Da ging es ja eher um Stilrichtungen der abstrakten, insoweit nicht geometrischen, gegenstandslosen Kunst in den europäischen Nachkriegsjahren mit Ursprung im Paris der 1940er und 1950er Jahre.
Wie absehbar war insofern, dass du dich am Ende in eine ganz andere Richtung, nämlich der Aktionskunst entwickeln würdest?
HA Schult: Doch sehr schnell. Ich war der erste Student bei Karl Otto. Er war relativ unbekannt, denn die Düsseldorfer konnten damals nur bis nach Köln oder bis zum Niederrhein gucken. Paris war schon ein bisschen zu weit. Doch Karl Otto Götz war ein Weltmann.
Der kam von überall her. Er ist genauso alt wie Willy Brandt jetzt wäre. Auch hat er den Zweiten Weltkrieg in Norwegen überlebt wie Willy Brandt und besitzt noch eine weitere Parallelqualität: Er hatte schon damals ein Netzwerk, das international war.
Das hat auch Willy Brandt gehabt und ist dadurch zu der Politikergestalt geworden, weil er mit Leuten wie Olof Palme und wie sie alle hießen, sehr früh eine internationale Sprache pflegte.
So ging ich zu diesem Professor, weil er der einzige war, von dem ich annahm, dass er mir Informationen geben konnte. Und das hat er auch getan. Gleichzeitig waren Yves Klein und Georges Mathieu in Düsseldorf.
Alles Größen der damaligen Zeit, die für einen seinerzeit 20-jährigen jungen Künstler natürlich ganz wichtig waren. Düsseldorf war für einige Jahre die Keimzelle der Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gruppe-Zero bis heute, die weltberühmt wurde.
Dann die Künstler die dorthin kamen. Außerdem die Nähe zu Paris, zu Brüssel, zu Amsterdam und Antwerpen. Berlin war demgegenüber ja kurz vor Moskau, München war schon damals eine Rentnerstadt und Hamburg hat bis heute von Kunst keine Ahnung. Insofern war Düsseldorf damals die Startbasis für einen Künstler.
Heute ist das nicht mehr so in dem Maße. Heute leben wir ja auch durch soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook alle miteinander. Wir korrespondieren ja mit Australien oder Singapur genauso wie mit Bielefeld oder mit Wattenscheid. Damals aber kannte man die internationale Kunst gar nicht.
Die zweite Documenta 1959 hat dann erst den westlichen Künstlern, denen das ja durch den Zweiten Weltkrieg zunächst vorenthalten wurde, die Augen für die Realität geöffnet. Und da war Karl Otto Götz federführend. Dann kam nach mir, zu dem Zeitpunkt war es vielleicht noch die Ostzone, auch Gerd Richter dahin, der ein paar Jahre älter ist als ich.
Michaela Boland: Trafst du dort auch Sigmar Polke?
HA Schult: Ja, dann kam auch Polke aus Köln dazu. Eigentlich kam bei Karl Otto Götz die größte Dichte an Schülern, die einmal als Künstler prominent werden würden, zusammen, die ein Professor nur haben kann.
Michaela Boland: Karl Otto Götz hat vor kurzem seinen 100.sten Geburtstag gefeiert. Hast du noch Kontakt zu deinem ehemaligen Lehrer?
HA Schult: Vor zwei oder drei Jahren habe ich ihn das letzte Mal gesehen. Seine Frau habe ich jetzt zu einer Eröffnung in Berlin getroffen. Sie war seine zweite Studentin.
Als ich ihn 1969, zehn Jahre nachdem ich bei ihm gewesen war und zwischenzeitlich als Künstler schon bekannt war, einmal besuchte, da machte sie mir die Tür auf und ich fragte: "Studierst du immer noch?" Da antwortete sie, "nein, ich bin seine Frau".
Michaela Boland: Wie ist dein Verhältnis zu Gerhard Richter als ehemaligem Kommilitonen?
HA Schult: Wir essen meistens in denselben Restaurants. Dann grüßen wir uns oder kommen zueinander an den Tisch. Oder sein Kind läuft mal zu mir herüber.
Michaela Boland: Du hast die Kunstakademie 1961 verlassen. Hast du das eigentlich als Meisterschüler getan?
HA Schult: Nein, nein. Ich war erst bei Meistermann und dann bei Fassbender. Das waren Regionalgrößen. So richtig im besten Sinne deutsche Künstler. Dann war ich längere Zeit bei Karl Otto Götz. Den Begriff Meisterschüler gibt es überhaupt nicht.
Michaela Boland: Obwohl es in vielen Lebensläufen von Künstlern renommierter Schulen ausgewiesen ist?
HA Schult: Den gibt es nirgendwo. Da sagt der Professor, "Du bist mein Meisterschüler". Das ist Unsinn. Das mag vielleicht für Maler gelten, die schon acht Jahre studiert haben. Ich kann mir das auch bei mir nicht vorstellen.
Das ist ein Begriff, der geistert so bei den Leuten herum. Und vielleicht gibt es auch Maler, die da nicht widersprechen. Graubner war bei Karl Otto Götz Meisterschüler, weil er so alt war.
Und Richter war auch schon so alt. Der Beuys war Meisterschüler bei Matare, weil er ihm beim Arbeiten geholfen hat, aber, was heißt das? Nein, das ist ja kein Gesellenberuf, wo es dann eine Meisterprüfung gibt.
Ich war ein Künstler, der die Kunstakademie benutzte, um sich aller Medien zu bedienen, die damals zugänglich waren. Und als ich 1959 beim ersten Happening auf deutschem Boden stand, war Nam June Paik dabei, ein Klavier zu zerlegen, es kaputt zu machen.
Das fand ich natürlich viel spannender als nur Klavier zu spielen. Parallel war in London jemand, der ein Theaterstück mit einem Pressluftbohrer darstellte, also ein Konzert gab. Ungefähr zehn Jahre später kam dann Vivian Westwood und hat die Klamotten alle zerschnitten.
Daraus entstand dann das, was man Punkmode nennt. Insofern war das eine Zeit, in der man etwas zerlegte, um es dann wieder neu zusammenzubauen. Das ist bis heute auch meine Kunst: Bei mir entstand dann daraus das, was man heute Aktionskunst nennt. Das war ja damals kein Begriff.
Michaela Boland: Dann hast du den Begriff des Aktionskünstlers überhaupt erst geprägt?
HA Schult: Ja, ich war ohne Zweifel der erste Aktionskünstler, der sich von dem Begriff "Happening" gelöst hat und den Alltag, die Aktion zur Kunst gemacht hat.
Michaela Boland: Könnte Beuys auch in einer ähnlichen Richtung eingestuft werden?
HA Schult: Beuys ist ein Fluxus Künstler. Während ich als junger Künstler bei Karl Otto Götz davon träumte, mich von der herkömmlichen Kunst zu lösen und es, Gott sei Dank auch mit Hilfe von Götz, vielen Freunden und auch selbst geschafft habe, war Beuys noch ein traditioneller Künstler, der sehr traditionelle Zeichnungen angefertigt hat.
Beuys hat bei Matare, einem Bildhauer als, nennen wir es dann mal "Meisterschüler" geholfen und mitgearbeitet.
Er war damals auch bei diesem Happening von Nam June Paik und hat gesehen, welche Aufmerksamkeit Paik in der Öffentlichkeit erreichte, indem er dieses Klavier zertrümmerte.
Da hat er gesagt, das sei viel besser. Dann hat er sich eine Angelweste gekauft, den Hut aufgesetzt, so eine Charlie Chaplin Nummer, denn vorher hat er keinen Hut aufgehabt, und hat daraus die Kunstfigur Beuys gemacht. Das verlief alles parallel zu mir.
Nur Beuys war einige Jahre älter und er lebte im Rheinland, wo sich die Kunst entwickelte, während ich in München eine starke existenzielle Phase durchmachte. Nämlich von irgendetwas leben zu müssen und mich in 56 Berufen herumzuschlagen bis ich dann 1969 schlagartig berühmt wurde, indem ich eine Straße zumüllte.
Dann war ich 1972 als sehr junger Künstler ein Shootingstar auf der Documenta und konnte mit meinen Picture Boxes sehr viel Geld verdienen.
Michaela Boland: Konntest du das verdiente Geld gut anlegen?
HA Schult: Dieses Geld habe ich dann in meine Aktionskunst investiert, was oft nicht mehr ausreichte, weil die Projekte ja viele Hundertausende kosteten. Dann konnte ich allerdings meine Projekte mit Sponsoren und Freunden, die Kunstsammler sind, in die Tat umsetzen.
Michaela Boland: Hat sich deine Auffassung von Kunst von heute im Vergleich zu der von früher verändert?
HA Schult: Nein, da hat sich überhaupt nichts verändert. Ich habe eigentlich schon immer gedacht, man müsse das Leben durch sich selber darstellen. Das ist auch ganz im Sinne des Existentialismus und der französischen Bewegung.
Michaela Boland: Sind die Vertreter dieser Bewegung in gewisser Weiser Vorbilder für dich gewesen?
HA Schult: Damals als ich auf vielen verschiedenen Internaten war, waren Francoise Sagan und Jean Cocteau für mich die Idole. Oder auch Sartre und Camus, die Vereinsamung des Menschen. Wenn du dir nochmal die Weltkugel auf dem Pylon der Severinsbrücke vergegenwärtigst, erinnerst du dich, dass dort ja nur ein Mensch drauf war.
Unser aller Stellvertreter. Ebenso wie die Skulpturen, die um die Welt reisen, unser aller Stellvertreter sind. Das ist auch das, was bei Beckett in der Literatur und ebenfalls bei Brecht auf eine andere Art vorkommt.
Das waren meine Lehrmeister. Das Leben darzustellen, wie das auch ein Maler will. Aber eben nicht, indem ich einer mehr bin, der da pinselt, sondern indem ich einer bin, der es durch sich darstellt.
Michaela Boland: Welche besonderen Dinge hast du im Rahmen deiner Arbeit bereits erlebt?
HA Schult: Eines der wunderbarsten Ereignisse fand gerade in New York statt. Ich habe ja dort als Kunstaktion vor vielen Jahren einen Crash mit einem Flugzeug durchgeführt, das ich abstürzen ließ und einer meiner Fans war damals Roy Lichtenstein. Er hat sofort verstanden, dass der Crash stattfand, während er ihn in vielen seiner Bilder umgesetzt hat.
Das Kuriosum ist, dass der Fotograf, Harry Shunk, der bis heute als einer der berühmtesten Fotografen der Kunstgeschichte gilt, und der den Crash damals für mich fotografiert hat, vor wenigen Jahren jämmerlich in seiner Dunkelkammer verstorben ist.
Man hat ihn dann lange nicht gefunden, doch aufgrund des Gestanks hat man irgendwann die Bude geräumt. Ein schwarzer Kunsthistoriker, der zu der Zeit gerade bei der Müllabfuhr arbeitete, sollte die Hinterlassenschaft von Shunk dann entsorgen. Er ist dabei allerdings auf die Negative der Fotos von meinem Crash gestoßen.
Und zwar eine riesige Fotosequenz. Der Fotograf, der wie eine Kakerlake in seinem Labor gelebt hatte, ist immerhin weltberühmt gewesen, obwohl er dort vermodert ist.
Mit der Fotostrecke wandte sich der Müllmann-Kunsthistoriker an die sehr reiche Nachlass Stiftung von Roy Lichtenstein, der zwischenzeitlich auch längst verstorben war.
Diese Stiftung hat nun für zwei Millionen Dollar das ganze Material gekauft. Und wie das Schicksal so spielt, schrieb mir gerade eine Kritikerin der New York Times, stellen sie derzeit meinen Crash aus.
In der Straße, die direkt auf das World Trade Center zuführte, und die ich wiederum 1983 einmal mit hunderttausend Zeitungen zugeschüttet habe, und in der sich heute die Roy Lichtenstein Foundation befindet.
Michaela Boland: Anscheinend schließt sich der Kreis wieder in jener Straße, die du in New York einst mit Altpapier zugestopft hast.
Die Fotografie jener Aktion von damals mutet übrigens beinahe so an wie die Bilder, die man von genau derselben Straße aus dem Jahre 2001 kennt, kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center.
HA Schult: Nicht nur dich, sondern alle, die es gesehen haben, erinnert es daran. Durch genau diese Straße sind die Menschen später vor der Staubwolke geflohen, die sich nach dem Zusammensturz der Gebäude entwickelt hatte. In dieser Straße leben viele Künstler. Arman hat dort gelebt, Roy Lichtenstein und auch Claes Oldenburg um die Ecke.
Insofern ist völlig verrückt, dass genau in dieser Straße gerade eine Ausstellung von meinem Crash stattfindet. Ich habe mich immer gewundert, warum sie mir zu Weihnachten und Ostern immer so nette Karten schicken. Die haben schon lange die Aktion Crash in ihre Sammlung aufgenommen. Das ist schon verrückt, wie Kunst nicht kaputt zu machen ist.
Michaela Boland: Besteht hinsichtlich der ausgestellten Bilder deiner Aktion ohne deine vorherige Kenntnis und vor allem der Hinterlassenschaft des toten Fotografen keine Rechteproblematik?
HA Schult: Nein, das ist doch in Ordnung. Schließlich ist es auch eine Anerkennung, denn dass sie eine Ausstellung von mir machen, ist doch prima. Ich habe es nur nicht gewusst und jetzt sehe ich es gerade.
Auch die Frau Christo, die sich zu Beginn ihrer gemeinsamen Karriere darüber aufregte, dass die Leute das fotografierten, hat da völlig falsch gedacht.
Kunst ist nun mal öffentlich und das gehört jedem und das ist auch gut so. Kunst ist schließlich für alle da. Nur Kunst hat ja die Welt bewegt, die Politiker tun es wenig.
Michaela Boland: Wann und wie kommen dir deine Ideen?
HA Schult: Die Ideen, die kommen gar nicht mehr, denn die sind schon alle gekommen als ich zwölf oder 18 war. Und indem ich all die Ideen, die ich als Kind hatte, noch immer aufarbeite, habe ich noch so viel zu tun. Bei jedem guten Künstler ist das so.
Der Fassbinder hat immer denselben Film gemacht, der Picasso hat immer dieselben Bilder gemalt, nur mehr variiert. Das läuft dann durch dich durch. Ein guter Künstler muss nie nachdenken und warten.
Das kommt von allein. Wenn du dann schon anfängst, dich hinzusetzen und darauf wartest. Das kann natürlich sein, wenn du Schriftsteller bist und du das Blatt füllen musst und dies natürlich nicht einfach ist. Oder wenn du als Bildhauer den Stein behandeln musst.
Ich habe sicherlich auch, während ich hier sitze, hundert Probleme im Hinblick auf den Transport oder mit der Versicherung und der Hotelbuchung, wenn es darum geht, die Skulpturen in Israel, Ägypten oder China auftreten zu lassen. So etwas bedeutet in der Regel ein Jahr Arbeit. Da muss man sich natürlich Gedanken machen und dran bleiben.
Michaela Boland: Glücklicherweise kannst du diesbezüglich auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen, wobei dir deine Muse und Ex-Gattin, Elke Koska, ja in puncto Organisation immer sehr viel abgenommen hat.
HA Schult: Elke tut das bis heute. Sie hat ja diese Sache mit mir aufgebaut. Es ist wie ein Betrieb oder wie ein Film, den man macht. Ich bin der Filmregisseur und der Buchautor.
Dann gibt es den Produzenten, da würde ich Elke benennen, denn über sie laufen die finanziellen Abwicklungen, sie macht die Buchhaltung und auch Teile der Öffentlichkeitsarbeit.
Natürlich muss man dann in anderen Ländern Leute für die Öffentlichkeitsarbeit und für das Financing dazu nehmen. Bei Elke lief früher alles zusammen. Jetzt machen wir das alle im Team.
Michaela Boland: Ein Zitat von dir lautet: "Die Freiheit einer Gesellschaft ist so groß wie die, die sie ihrer Kunst gibt." Wie groß ist demnach die Freiheit unserer Gesellschaft zur Zeit?
HA Schult: So groß wie nie zuvor. Die einzigen, die sich im Wege sind, sind wir selber. Ansonsten können wir diese Freiheit jeden Tag erleben. Vielleicht mit Geschwindigkeitsbegrenzungen, die womöglich für manche Leute ein bisschen hemmend sind, aber danach kann man sich ja richten.
Also, ich sehe keine Einschränkung der Freiheit in dieser Gesellschaft. Die beginnt natürlich schnell jenseits der Landesgrenzen. Und sie beginnt durch uns selbst durch Abhängigkeit, Hörigkeit, Suchterscheinungen und Konsum.
Michaela Boland: Bist du auch konsumabhängig?
HA Schult: Nein. Ich habe kein eigenes Auto und auch ansonsten keine großen Konsumabhängigkeiten. Außer der, dass ich gerne besser als schlechter Esser gehe. Doch, es ist ja keine Abhängigkeit, wenn man einfach einen besseren Wein trinken will als einen schlechten Wein.
Aber, wenn man zu viel trinken will, fängt die Abhängigkeit dann an oder wenn man sich das Rauchen nicht abgewöhnen kann, beginnen gewisse Unfreiheiten, die sich summieren können.
Die darf man jedoch nicht irgendeiner politischen Situation zuschieben. Ich finde beispielsweise Amerika jetzt viel unfreier. Ich war acht Jahre lang in Amerika zu einem Zeitpunkt als das die freieste Nation der Welt war.
Michaela Boland: In New York?
HA Schult: Ja. New York war die freieste Stadt der Welt. Mittlerweile bleiben die alle bei Rot an der Ampel stehen. Das ist ja wie in Bielefeld. Das hat dieser Bürgermeister erreicht.
Michaela Boland: Du hast schon an unzähligen Orten auf der Welt ausgestellt und in unterschiedlichsten Ländern gelebt. Gibt es für dich einen Ort, an dem Kunst mehr Spaß macht als in Deutschland?
HA Schult: Israel.
Michaela Boland: Warum?
HA Schult: Weil das Wetter besser ist.
Michaela Boland: Das ist natürlich ein Argument und wenn mal etwas schief geht, ist die Klagemauer ja auch direkt in der Nähe. Hast du einen Ratschlag für Künstler, wie man in der Szene erfolgreich werden kann?
HA Schult: Aufpassen! Immer auf das, was passiert reagieren! Ich denke, dass das das Wichtigste ist. Sich nicht unbedingt einmischen, aber registrieren und dann umsetzen.
Michaela Boland: 1986 hast du das HA Schult-Museum für Aktionskunst in Essen gegründet, seit 1992 ist es in Köln beheimatet. Ist das nun deine Gallery?
HA Schult: Ja.
Michaela Boland: Ist sie denn für Besucher zugänglich?
HA Schult: Um Gottes Willen. Das Schlimmste in Museen sind ja die Besucher. Das sieht man ja am Louvre. Da kommt ja überhaupt niemand mehr zur Ruhe. Besser ist, ein Museum zu machen, das imaginär ist, das im Kopf stattfindet und wo keiner rein darf.
Michaela Boland: So etwas würde gewiss die Spannung erhöhen. Du wirst in diesem Jahr 75. Bist du jemand, der sagt, ich ziehe mich irgendwann aus der Kunst zurück oder würdest du das niemals tun?
HA Schult: Nein, ich glaube, das hat noch kein Künstler gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Künstler in Rente geht. Das Abschreckenste für mich war neulich ein Bekannter, der seit zehn Jahren Rentner ist und zu mir sagte, "Ich fahr in Urlaub".
Da antwortete ich ihm: Wieso fährst du in Urlaub? Du bist doch Rentner." Ich verstehe nicht, wieso ein Rentner in Urlaub fährt. Das ist doch ein unmögliches Ding. Wovon macht der denn Urlaub?
Michaela Boland: Gäbe es für dich eigentlich einen würdigen Nachfolger, den du dir exakt in deinem Bereich vorstellen könntest?
HA Schult: Weiß ich nicht. Werden wir schon merken. Es gibt ja keinen Nachfolger von
Picasso, es gibt keinen Nachfolger von Chagall oder von Beuys. Es gibt keinen Nachfolger von mir. Warum soll man denn einen Nachfolger haben?
Dann wäre man ja austauschbar. Epigone. Ein Weiwei ist mein Nachfolger (lacht), der hat mich aber nicht gefragt, hat alles falsch verstanden. Meistens sind die Nachfolger der dritte Teebeutelaufguss. Frag mal einen Teebeutel, wer sein Nachfolger ist.
Michaela Boland: Die Kopisten sind ja offenbar auf dem Vormarsch, wie du vorhin ausgeführt hast.
HA Schult: Das sind ja Fälscher. Das muss man unterscheiden. Nachfolger oder Fälscher.
Michaela Boland: Seit mehr als 20 Jahren lebst Du nun in Köln. Was bietet dir die Stadt im Vergleich zu anderen?
HA Schult: Die Menschen. Die sind doch nett hier. Berlin ist näher an Moskau und Warschau. Köln ist näher an Paris. Hier ist ja vielmehr los. Berlin ist ja ein Ghetto.
Am Wochenende ist die Stadt voller Touristen und in der Woche sind alle Aschaffenburger und Stuttgarter da, weil sie vom Volk gewählt wurden, dahin zu müssen.
Sie kommen alle mit ihrem Rollkoffer rein, fahren dann wieder mit ihrem Rollkoffer raus, verbringen die Abende in komischen Schachteln, gehen meistens abends weg, betrinken sich und morgens müssen sie wieder neu anfangen. Berlin hat überhaupt keine Identität.
Dazwischen laufen Japaner und Chinesen herum, die die Mauer suchen, denn das war die größte Attraktion. Die wurde dummerweise weggeschafft. Die hätte man auch stehen lassen können, war doch eine wunderbare Skulptur.
Michaela Boland: Du warst 2009 Gründungsdirektor des Öko-Globe Instituts an der Universität Duisburg-Essen. Der Öko-Globe ist ein Preis für Nachhaltigkeit, mit dem wegweisende Innovationen zur nachhaltigen Mobilität, wie ökologisch fortschrittliche Fahrzeuge und sonstige Mobilitätskonzepte ausgezeichnet werden. Wie kam es zur Allianz zwischen dir und der Universität?
HA Schult: Ich habe 17 Jahre für die Automobilwirtschaft einen Autopreis inszeniert. Der war in Insiderkreisen sehr berühmt. Das war mehr so ein Happening. Aktionskunst. Da sind alle Manager der Automobilwelt einmal im Jahr bei mir durchgelaufen. Nach 16 Jahren war ich es leid.
Ein paar Jahre später sprach mich die Versicherung an, die meine Kugel gekauft hat. Sie fragten, ob ich nicht für sie noch einmal so etwas machen wolle.
Da habe ich es gemacht. Nun brauchte ich eine Jury: Umweltminister, Professor. Da habe ich den Dudenhöfer genommen. Da gab es noch keinen goldenen Engel. Den gibt es erst seit vier oder fünf Jahren.
Dann haben wir dafür ein Institut an der Uni gegründet, wo der Dudenhöfer Professor ist. Das war alles. Jetzt erweitere ich das gerade, aber durch diesen ganzen Rummel um den ADAC bin ich ein wenig geschockt.
Michaela Boland: Was sagst du zum Skandal rund um den ADAC?
HA Schult: Den hat mein Hauptjuror ausgelöst. Vom ADAC werde ich immer abgeschleppt.
Michaela Boland: Du hast selbst keinen eigenen Wagen, aber du fährst Auto. Besitzt du einen Leihwagen oder wie fährst du?
HA Schult: Nein, so wie die Fußballspieler. Die fahren auch. Als Boris Becker berühmt wurde, bekam er ein Auto, dafür, dass er damit fährt. Das ist alles. Und so habe ich mein Auto. Und ich habe schließlich das Auto von Lenin gegen einen Ford ausgetauscht.
Michaela Boland: Du bist gerade in vierter Ehe mit der russisch-stämmigen Violinistin, Anna Zlotovskya, verheiratet.
HA Schult: Glücklich. Eigentlich war ich meistens glücklich. Das liegt ja an einem selbst.
Michaela Boland: Das ist besonders schön. Nach drei vorangegangenen Ehen scheinst du immerhin noch an die Ehe als Institution zu glauben.
HA Schult: Das ist ja bei Reisen, beim Finanzamt und bei der Bank mit gewissen Privilegien verbunden, wenn man verheiratet ist. In Bayern, wenn man in einem Dorf wohnte, war gar nicht denkbar, dass ich nicht verheiratet war mit Elke. Also haben wir geheiratet. Das sind Rituale. Glauben muss man ja nicht daran. Ich glaube, ich zahle auch immer noch Kirchensteuer.
Michaela Boland: Ist deine jetzige Gattin, Anna, nach wie vor als Violinistin aktiv?
HA Schult: Ja, Anna stand bereits mit fünf Jahren auf der Bühne in Moskau und war Jahre lang erste Geige des Bolschoi-Theaters. Wow. Das ist wie ein Libero beim FC Bayern. Das Bolschoi-Theater ist die Nummer Eins.
Michaela Boland: Sie lebt ja bereits seit ungefähr zehn Jahren in Köln. Wo habt ihr euch getroffen?
HA Schult: Auf der Straße oder bei Freunden. Wie das so ist.
Michaela Boland: Schafft man es, zu den Events des anderen zu gehen, wenn zwei Menschen in einer Beziehung jeweils eine eigene Karriere im Kunstbereich haben?
HA Schult: Man meint, man muss mehr Geld für das Flugzeug ausgeben als man als Gage einnimmt.
Michaela Boland: Man muss wohl Prioritäten setzten, wenn man liebt, oder?
HA Schult: Als ich in Madrid war, hatte sie ein Konzert. Beim Konzert verdiente sie weniger als die Flugreise kostete, aber sie wollte eben zum Konzert und das ist völlig in Ordnung. Das kann man schon arrangieren. Und als erste Geige hat sie schon auf der ganzen Welt gespielt.
Vor jedem Präsidenten, vor jedem Minister und im Weißen Haus. Nach dem Dirigenten ist die erste Geige eben die Erste Geige, Das macht sie nicht mehr.
Wenn du so etwas Jahrzehnte machst, das ist ja wirklich eine Galeere: Morgens proben und dann mittags irgendwo hinfliegen. Nach Sibirien oder Los Angeles. Das erfährst du oft erst Tage vorher. Und gleich, wenn du aus dem Flieger fällst, vielleicht um 17.00 Uhr, wird geprobt und dann spielst du da irgendwo.
Das ist ein ganz harter Job. So wie auch Schauspielerin. Ich habe ja meistens Frauen gehabt, die eigene Berufe hatten. Oder Freundinnen, die Ärztinnen waren. Das ist auch schlimm, wenn die ganze Nacht der Pieper geht, und sie dann als Anästhesistin auf die Entbindungsstation muss. Jeder hat so sein Schicksal mit Berufen.
Michaela Boland: Gehörst du eigentlich zu den Männern, die auch etwas im Haushalt machen?
HA Schult: Ja, alles. Ich war ja nach der Trennung von Elke jahrelang Single. Ich hatte zwar wechselnde Freundschaften, habe aber 20 Jahre lang in einem Singlehaushalt gelebt. Meine Freundinnen haben nie bei mir gewohnt. Und meine Frauen auch nicht.
Die haben eine eigene Wohnung gehabt. Ich habe dann selbst gekocht und alles selbst gemacht. Innerhalb von 22 Jahren habe ich noch zwei Mal geheiratet, aber die Putzfrau war immer dieselbe.
Michaela Boland: Und bügeln und Ähnliches machst du auch selbst?
HA Schult: Bügeln, das kann man ja lassen. Heute hat man ja Sachen, die man nicht zu bügeln braucht. Das macht man in der Reinigung. Ich habe wieder ein bisschen Geld, da kann ich morgen einen neuen Pullover kaufen.
Den, den ich gerade trage, der übrigens sehr fotogen ist, habe ich 2011 in der Arktis gekauft. (Anm. d. Red.: HA trägt während unseres Interviews einen schwarzen Langarm Sweater mit ausgewachsenem Eisbären auf einer Eisscholle auf der Brust) Mit dem war ich neulich im teuersten Restaurant von Paris.
Die haben mich damit reingelassen. Am Nebentisch saß jemand aus Norwegen. Die sind ja da alle sehr reich. Der sprach mich dann wegen des Pullovers an. Dabei stellte sich heraus, dass er noch nie in Norwegen in dem Ort gewesen ist. In der Arktis. Dieser Pullover hat fotografisch einen sehr hohen Wiedererkennungswert und kommt immer gut an.
Michaela Boland: Du bist auch Vater. Wie viele Kinder hast du?
HA Schult: Ja, zwei Söhne
Michaela Boland: Dein Sohn Kolin Schult ist als Film-Regisseur tätig?
HA Schult: Ja, er ist Grimme-Preisträger.
Michaela Boland: Wie alt ist er?
HA Schult: Älter als Anna. So in der Richtung. Irgendwas mit 40.
Michaela Boland: Deine Anna ist 1967 geboren, wenn ich richtig recherchiert habe.
HA Schult: Da bist du die erste, die das sagt. Denn ich habe nie in die Ausweise meiner Frauen geguckt. Davor habe ich mich immer gescheut.
Michaela Boland: Warum? Gibt es ein Alters-Limit für dich in puncto Frauen?
HA Schult: Nein, aber ich habe mich nie für das Alter interessiert.
Michaela Boland: Bist du ein gläubiger Mensch?
HA Schult: Nein. Ich glaube an die Kunst. Das reicht auch.
Michaela Boland: Wie hältst du dich fit?
HA Schult: Ich habe einen Physiotherapeuten und bin früher mal ins Sportstudio gegangen.
Michaela Boland: Du hast dich 2009 im Bundestagswahlkampf für Angela Merkel engagiert. Wie sah das Engagement konkret aus?
HA Schult: Dass ich gut über sie geredet habe. Reicht doch. Die anderen Künstler sind immer bei Schröder gewesen. Da gab es dicke Zigarren und Rotwein. Und als er dann ging, habe ich gedacht, da gehe ich lieber zur Merkel, da gibt’s noch `ne Stulle.
Michaela Boland: Auf einem deiner Fotos auf deiner Seite sieht man dich in jungen Jahren beim Shaking Hands mit Willy Brandt. Vertreter einer anderen Partei als Frau Merkel. Hatte es damals etwas mit der politischen Gesinnung zu tun?
HA Schult: Ja.
Michaela Boland: Dann gab es diesbezüglich zwischenzeitlich offenbar einen Wechsel?
HA Schult: Die politische Gesinnung kommt durch die Persönlichkeiten, die diese Politik vertreten, Das war Willy Brandt während der 70er Jahre. Aber ich habe mich auch für die FDP eingesetzt. Ich bin als Künstler nicht an irgendeine Partei gebunden.
Nachdem ich sah, was der Schröder da angerichtet hatte, das sieht man ja auch an seinem jetzigen Zustand, das war ja ein Parvenü. Der kam aus einfachen Verhältnissen und so habe ich ihn kennengelernt. Als Anwalt, da war er schon mein Sammler. Und später hat er sich da als Kanzler aushalten lassen.
Das ist nicht mein Stil. Du kannst dir nicht vorstellen, dass Frau Merkel oder Willy Brandt sich von Gazprom einkaufen ließen. Aber Schröder hat es getan.
Wenn ich Politiker bin, dann muss ich mich entscheiden, Politik zu machen und nicht Geld zu verdienen. Wenn ich ein bisschen was in der Birne habe, kann ich dann die Welt bewegen, weil ich Einfluss habe. Das Schlimmste ist Joschka Fischer. Ich war mit ihm mal in einer Kommune als Gast in Frankfurt.
Da war er auch Taxifahrer. Metzger-Sohn, einige Jahre jünger. Ich schlief da in der Kommune und morgens war der Kühlschrank immer leer. Da sagten die Mädchen“, ah, Joschka war hier. Da hat er schon wieder den Kühlschrank leer gefressen". Und heute hat er einen vollen Kühlschrank, weil er bei REWE als Repräsentant arbeitet. Das ist doch absurd. Repräsentant bei REWE.
Michaela Boland: Könntest du dir vorstellen, dich auch aktiv parteipolitisch zu engagieren?
HA Schult: Nein, das ist mir zu blöd. Was soll ich denn da? Und da ist man meistens mit ziemlich durchschnittlichen Leuten zusammen. Wer macht das schon?
Michaela Boland: Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
HA Schult: Meins. Korrektur.
Michaela Boland: Wie sieht es mit Fernsehen aus?
HA Schult: Ich zappe. Alle Programme gleichzeitig. Nachts kann ich zwei bis drei Stunden alles durchzappen. Ab Mitternacht ist es am besten. Dann zeigen die lauter Sachen, die die Leute nicht sehen dürfen
Michaela Boland: Hast du den Dschungel verfolgt?
HA Schult: Nein.
Michaela Boland: Sagst du kategorisch "Nein" zum Dschungel?
HA Schult: Nein, ich bin ja der Böse, der das alles mit bewirkt hat. Mit meinen Aktionen. Das, was da heute geschieht, das haben wir vor 30 Jahren gemacht. Ich habe 1980 einen lebenden Gärtner ausgestellt. Da gingen die Leute gleich hin, um den Gärtner schlafen zu sehen.
Ich habe auch im Ruhrgebiet den Alltag der Familie Masslabai einen Monat lang in den Vorgarten übertragen. Da kamen die ganzen Nachbarn um zu gucken, was die machen.
In jedem Zimmer waren Kameras. Das war das Medienhaus. Das war das, was heute bei RTL dauernd geschieht. Damals war das Kunst. Diese Unterhaltungssender leben alle von uns. Früher habe ich Autos zerhauen, heute machen sie das in der Werbung. Das brauche ich mir nicht anzugucken.
Michaela Boland: Lieber HA, für dieses ausführliche Gespräch und den schönen Abend recht herzlichen Dank und viel Erfolg für deine anstehende Kunstaktion in Israel.
Michaela Boland ist Journalistin und TV-Moderatorin. Bekannt wurde sie als Gastgeberin der Sommer-Unterhaltungsshow „HOLLYMÜND“ des Westdeutschen Rundfunks Köln. Seit 1988 schrieb sie für die Rheinische Post, unterschiedliche Publikationen der WAZ-Gruppe Essen, Bayer direkt und Kommunalpolitische Blätter.
Außerdem präsentierte sie die ARD-Vorabendshow „STUDIO EINS“ und arbeitete als On-Reporterin für das Regionalmagazin „Guten Abend RTL“. Auf 3-Sat, dem internationalen Kulturprogramm von ARD, ZDF, ORF und SRG, moderierte sie die Kulturtalkshow „Doppelkopf“, sowie für TV NRW, die Casino
Show „Casinolife“ aus Dortmund-Hohensyburg. Michaela Boland arbeitet auch als Veranstaltungsmoderatorin und Synchron- sowie Hörspielsprecherin.
Für die Gesellschaft Freunde der Künste moderiert sie den Kaiserswerther Kunstpreis sowie alle grossen Kulturveranstaltungen der Gesellschaft.
Seit Mitte 2009 ist sie verantwortlich für die Ressorts:
© Michaela Boland und Gesellschaft Freunde der Künste
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