Michael Boland traf sich für die Freunde der Künste mit Konrad Beikircher.
35 Jahre auf der Bühne, Konrad Beikircher hatte Michaela Boland viel zu erzählen.
Konrad Beikicher "Ich habe in den Gesprächen über Mord oder Sexualdelikte, einfach über die Abgründe der Seele, einiges über mich erfahren und kennengelernt"
Seit 35 Jahren begeistert er ein Millionenpublikum vor den Bildschirmen und auf den Bühnen Deutschlands. Als "Spezialist für das Rheinland" hat es sich der Kabarettist Konrad Beikircher u.a. zur Aufgabe gemacht, den Menschen in puncto Mundart einen Spiegel vorzuhalten. Dabei schaut der hochgebildete Südtiroler den Leuten nicht nur ganz genau "aufs Maul", sondern seziert und analysiert deren Verhaltensweisen auf derart charmante Weise, dass sie ihm selbst das eigene Vorgeführt-werden höchst gern verzeihen.
Der 67-Jährige, der sein rheinisches Dialekt-Basiswissen einst als Gefängnispsychologe auch bei inhaftierten Analphabeten erwarb, hält den Boden für politisches Kabarett dank des Privatfernsehens für tot. Dennoch ist er sich sicher, dass es auch in 500 Jahren noch Menschen geben wird, die die Odyssee in griechischer Sprachen lesen wollen. Warum es den Kabarettisten nach Bonn verschlug, aus welchem Grund er größten Respekt vor Kinderpublikum hat und wie er sein Zusammentreffen mit Jürgen Bartsch empfand, hat er mir im Kölner Gürzenich erzählt.
Michaela Boland: "Das Beste aus 35 Jahren" präsentieren sie heute einer geschlossenen Gesellschaft, nämlich den Mitgliedern eines "Grund- und Boden-Vereins. Bereiten sie sich auf ein spezielles Publikum grundsätzlich auch in spezieller Weise vor?
Konrad Beikircher: Nein, das trage ich heute genauso vor wie sonst auch. Es ist ja sozusagen "normales Publikum", wenn auch aus einem eingeschränkten Pool. Etwas anderes ist es, wenn man so etwas wie eine Gala hat. Wenn beispielsweise der Deutsche Übersetzer-Preis verliehen wird, bin ich im Vorfeld schon etwas nervös. Deutschland ist ja das Mekka aller Übersetzer, was wenige wissen. Gleichzeitig wird den Übersetzern ausgerechnet in Deutschland mit am wenigsten Honorar bezahlt. Ich glaube, pro Seite Literatur gibt es ungefähr 80 Cent. Bei Sachtexten ist es noch viel weniger.
Bei Gedichten liegt es, wie ich meine, ungefähr bei einem Euro zehn. Wenn man weiß, was Übersetzen heißen sollte, ist das natürlich ganz furchtbar. Es gibt einen ganz tollen Satz, der lautet: "Ohne Übersetzer gäbe es keine Weltliteratur." Denn ohne jene Übersetzer hätten wir ja nur nationale Literatur. Jedenfalls existiert ein Übersetzer-Preis, der mit 25.000 Euro dotiert ist.
Wenn ich dann engagiert bin, um im Düsseldorfer Schauspielhaus einen zweistündigen Abend zum Thema "Übersetzen am Beispiel einer Mozart-Arie aus Figaros Hochzeit", die im Original italienisch ist, jedoch immer wieder übersetzt wurde, zu machen, dann ist das natürlich schon etwas Besonderes.
Auch wenn ich bei internen Firmen-Festakten als "Experte für das Rheinland" gebucht werde, schreibe ich dann natürlich extra etwas. Das läßt man sich dann auch gut bezahlen, da kriegt man auch Schmerzensgeld. Du nimmst Versatzstücke von dem, was passt und schreibst natürlich nicht nur verbindende Worte, sondern man muss da dann auch ein wenig zu der entsprechenden Gesellschaft sagen.
Michaela Boland: Das klingt nach einer längeren Vorbereitungszeit für besonderes Publikum.
Konrad Beikircher: Wenn es um so etwas wie das Übersetzen geht, durchaus. Ich habe selbst einiges übersetzt und kenne die Stolperfallen. Also, zwei Wochen bin ich insgesamt schon damit beschäftigt.
Michaela Boland: Sind sie bilingual aufgewachsen?
Konrad Beikircher: Ja, Italienisch und Deutsch. In Südtirol hatten wir eine italienische Nachbarschaft und ungefähr ab meinem dritten Lebensjahr wuchs ich dann entsprechend zweisprachig auf. Das heißt, eigentlich hatte ich Dialekt, Hochdeutsch und Italienisch. Da der Dialekt ganz anders ist als Hochdeutsch, bin ich eigentlich sogar dreisprachig aufgewachsen.
Michaela Boland: Die Sprachbegabung scheint vorhanden. Wie sah es denn in Mathematik aus?
Konrad Beikircher: Bis zur Matura (Anm.d. Red: Abitur in Österreich) war ich immer schlecht in Mathematik Das lag aber ganz offensichtlich an den Unterrichtenden. Das kann ich deshalb sagen, weil ich Psychologie studiert und währenddessen drei Semester Statistik gemacht habe. Obwohl ich davon zuvor quasi nie etwas gehört hatte, ging mir das leicht von der Hand. Mein Vater war ein guter Mathematiker, also offensichtlich bin ich dann eben doch mathematisch begabt gewesen. Doch leider zu spät. Was willst Du machen?
Michaela Boland: Ist es nach ihrem Dafürhalten ein Vorurteil, dass Menschen, die eine sprachliche Begabung haben, angeblich häufig Defizite in Mathe aufweisen.
Konrad Beikircher: Bei mir kommt eher die andere Verwandtschaft zum tragen. Musik und Mathematik. Musiker haben immer ein Gefühl für rhythmische Strukturen und für Gebilde. Ich habe es zwar nie erlebt, doch ein Freund von mir hat fünf Jahre lang Musik in Indien studiert und ist auch immer noch von der sechs- bis siebentausend Jahre alten Tradition fasziniert. Für viele Inder ist Beethoven ja ein zeitgenössischer Komponist.
Da gibt es in den klassischen Ragas, die mit großen Symphonien vergleichbar sind, Takteinheiten, die bis zu 800 Takte beinhalten, dann kommt die nächste Einheit mit ebenso vielen Takten. Das Ganze geht dann vier bis fünf Mal so. Da sitzt dann ein Fussballstadion voll mit hunderttausend Indern, die Musik läuft und plötzlich schreien sie alle. Das tun sie deshalb, wie mein Freund mir erklärt hat, weil im Takt 799 die Musiker das Richtige getan haben. Der kleine Change ist erfolgt und Schwupp, die neue Einheit wurde wieder angebahnt. Genau das hören sie eben heraus.
Michaela Boland: Klingt nach gut geschulten Ohren.
Konrad Beikircher: Ja, einerseits geschult, doch das bedeutet auch, dass musikalische Strukturen zu erkennen auch die Fähigkeit des Erkennens von mathematischen Strukturen voraussetzt.
Michaela Boland: Ob das grundsätzlich so sein muss?
Konrad Beikircher: Naja, es ist ja kein Muss. Von Einstein hieß es das ja immer, aber Einstein war immerhin ein schlechter Musiker und da gibt es eine schöne Geschichte. Nämlich die, die er mit dem großartigen Weltgeiger, Fritz Kreisler, erlebt hat. Wenn der in die USA reiste, dann kam er nach Princeton, denn die beiden waren gut befreundet. Dann haben sie gerne Streichquartett gespielt. Einstein hat Geige gespielt und dann haben sie ihn halt die zweite Geige spielen lassen.
Fritz Kreisler hat die erste Geige gespielt. Außerdem gab es noch jemanden für die Bratsche und einen Cellisten. Also haben sie sich mit einem Haydn Quartett, einem Menuett im Dreiviertel Takt abgeplagt. Einstein ist immer wieder rausgeflogen und dann hat Fritz Kreisler den legendären Satz gesagt, " aber Herr Professor Einstein, bis drei werden sie wohl noch zählen können". Aber, man muss natürlich sagen, dass Einstein in der Tat kein guter Musiker war.
Michaela Boland: Sprache ist ihr Arbeitsmittel. Was bedeutet sie Ihnen?
Konrad Beikircher: Sprache ist neben den Urlauten, also den Schmuse- und Ablehnungslauten, natürlich die engste und früheste Beziehung zur Mutter. Sprache ist ein unglaublich wichtiges Instrument, sich vertraulich mitzuteilen. Gerade die Zärtlichkeits,- Zuwendungs- und Liebessprache, empfinden ja viele auch als Erwachsene als gar nicht so einfach. Insoweit als man erst einmal lernen muss, sich auch in der Paarbeziehung fallen zu lassen. Nehmen wir einmal folgendes Beispiel:
Ich kam ja aus Südtirol, habe mich dann unsterblich in eine Kommilitonin verliebt und wir haben dann auch geheiratet. Sie kam aus "Meenz", also Mainz, sprach allerdings ansonsten Hochdeutsch. Ich habe zu der Zeit noch stark südtirolerisch gesprochen. Ich hätte natürlich gesagt, "i mog di", denn das wäre in meinem Idiom die richtige kleine Liebeserklärung gewesen, bzw. die Steigerung, "i mog di so viel gern". Das wäre, "ich hab dich ganz doll lieb" gewesen. Das ging aber nicht. Ich habe dann zu ihr gesagt, "Ich habe dich lieb" oder "ich liebe dich", aber, ich kam mir immer vor wie ein Lügner, obwohl das Gefühl stimmte.
Trotzdem war es ganz eigenartig, irgendwie wie eine ganz gespaltene Zunge. Also, Sprache ist unglaublich wichtig als ursprünglichste Kommunikation nach den Lauten. Auch ist sie nunmal die Möglichkeit, die Welt, in der du lebst, rational zu beschreiben und sie damit zu bewältigen. Das geht nämlich ansonsten nicht. Autisten können es vielleicht mit Malen oder Ähnlichem bewerkstelligen.
Aber üblicherweise brauchen die Menschen die Sprache, um effektiv mit anderen kommunizieren zu können. Das kannst du sachlich oder poetisch machen, kannst ein Rilke sein oder ein Kleist. Auch kannst du Sprache mit einem messerscharfen Verstand übersetzen oder wie ein Mörike mit wundervollen Gemütsgedichten. Das ist der Bereich, wo Sprache bereits ein bisschen an die Musik heranreicht.
Michaela Boland: Sie haben 35 Jahre ihres kabarettistischen Programms zusammengefasst und sind ebenso lange im Geschäft. Sind sie da vor Auftritten noch aufgeregt?
Konrad Beikircher: Das ist ganz unterschiedlich. Bei Abenden, die Routine sind, z.B. "Routine heisst mein Sprachprogramm" oder wenn ich mit `meinen Musikern` aus Frankfurt ein Programm spiele, "Apropos schön drauf sitzen", dann freue ich mich nur darauf und es ist wunderbar. Da gibt es Lampenfieber im klassischen Sinne eigentlich nicht mehr. Höchstens eine Minute bevor es los geht. Wenn es andere Dinge sind, wie beispielsweise die Moderation eines Klassik-Konzerts oder Kinderkonzerte, die ich auch häufiger moderiere, dann habe ich wahnsinniges Lampenfieber.
Da kann man mich schon zwei Tage vorher vergessen, weil ich kein Publikum mehr schätze als Kinder. Es ist das ehrlichste Publikum, aber es vergibt dir keinen falschen Zungenschlag. Kinder sind unglaublich sensibel. Du trittst falsch auf, vielleicht ein bisserl arrogant oder so, Kinder reagieren sofort darauf und dann hast du verspielt wie sonst etwas. Ich habe relativ viel Erfahrung, denn ich habe eine ganze Reihe Kinderhörspiele geschrieben. Mitte der Neunziger Jahre habe ich Sonntags Nachmittags eine Reihe in der Philharmonie in Köln gehabt, bei der immer 2000 Leute anwesend waren.
Das war der Wahnsinn. Es ging um zeitgenössische Musik für Kinder. Da war es in der Regel so, dass die Erwachsenen "buh" geschrien oder getobt haben und die Kinder haben großen Spaß gehabt, weil ich versucht habe, sie eben in eine ganz andere Art von Musik einzuführen. Bei Globoca, dem Laboratorium, ist es ganz brutal gewesen. Da sind Bohrmaschinen und Mischer auf der Bühne und damit wird Musik gemacht, dazwischen ist eine Geige. Das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Aber, du kannst es Kindern erklären, weil es etwas Spielerisches hat. Und schon glänzen die Augen und sie sind dabei.
Außerdem haben wir auch solche Dinge wie einen Verkehrsunfall gemacht. Dabei waren sie die Bremsen und sie waren der Crash. Dann kam die Straßenbahn und wir haben das alles durchstrukturiert. Also, man kann mit Kindern sehr viele hübsche Dinge machen, aber Lampenfieber habe ich da immer tierisch. Ansonsten eigentlich nur kurz vor einem Auftritt. Das ist auch gut so, denn das muss sein.
Ich gucke allerdings schon, wenn eine Umgebung ungewohnt ist. So zum Beispiel in Saarbrücken vor einem Konzert. Im letzten Jahr habe ich für einen Staatsakt die Festrede gehalten, "100 Jahre Staatsorchester". Da war ich aber nie zuvor und solche Dinge sind ja dann immer so erdrückend offiziell. Da schaue ich mir dann schon vorher an, wie die Leute ausschauen und wie sie sitzen. Das ist dann natürlich durchaus Lampenfieber.
Michaela Boland: Macht man sich bei einem derartigen Publikum dann auch Gedanken darüber, ob man "sie auch kriegt"?
Konrad Beikircher: Die Gedanken habe ich mir, ehrlich gesagt, noch nie gemacht, "Gekriegt" habe ich sie immer. Das ist mir überhaupt noch nie passiert, dass ich sie nicht gekriegt hätte. Ich bin auch noch nie von der Bühne gepfiffen worden. Ein einziges Mal habe ich selbst das Handtuch geworfen.
Michaela Boland: Was ging dem voraus?
Konrad Beikircher: Das war in Aachen. 7000 Leute standen auf dem Katschhof und es ging um Alemania Aachen. Die haben eine Jubelfeier veranstaltet. Ich glaube, weil sie in die Bundesliga aufgestiegen waren. Die hatten mich im Vorfeld für eine Open-Air Veranstaltung engagiert und direkt vor mir waren die Kolibris-"und-dann-die-Hände-zum-Himmel" dran. 7000 Leute waren voll auf der Welle und sie sangen eine halbe Stunde und danach kam ich.
Michaela Boland: Die waren wohl nicht mehr ruhig zu bekommen?
Konrad Beikircher: Das kann man vergessen. Da sind 7000 Leute wirklich einfach ganz woanders und auch völlig zu Recht. Da können weder die noch ich etwas dafür. Da hast du einfach keine Chance. Also, bin ich raus und habe gratuliert. Allerdings hatte ich der Band hinten schon vorher gesagt, dass sie gleich dran seien, weil mein Auftritt nämlich keinen Sinn mehr gemacht hätte. Dann war das ein netter Applaus und ich bin von der Bühne herunter gegangen und ein paar Leute, die davor standen, sagten zu mir, "Ja, dat hätte auch nisch mehr jeklappt.
Dat wär ja furschtbar jewesen". Aber, das war auch das einzige Mal und da habe ich die Entscheidung getroffen. Ansonsten gab es da nur mal eine unsägliche Karnevalsendung, die der WDR gemacht hat, bei der ich umgeswitcht habe. Ich sollte ab 21.00 Uhr live für eine Produktion von WDR 3 mit meinen Sprachspielereien auftreten. Hinter der Bühne waren sie schon alle hacke. Der Moderator, von einer großen Kölner Karnevalsgesellschaft, ebenfalls. Der ist dann rausgeschmissen worden und wohl nach Berlin gegangen. Die haben dem Affen Zucker gegeben. 700 Leute im Publikum haben nur Ramba Zamba gemacht und waren um zwölf auch breit.
Dann kannst du denen natürlich nicht mehr mit dem "Rheinischen Genitiv" kommen. So etwas geht einfach nicht. Vor mir war die Band Brings dran. Ich kam dann raus und habe nur gesagt, "Singen ist schön, mitsingen ist auch schön. Aber, am schönsten ist selber singen und dat könne mer och". Und dann haben wir a capella gesungen und die Leute waren außer Rand und Band.
Das waren aber die beiden einzigen Situationen, in denen es anders als geplant lief. Aber, Angst, sie nicht zu kriegen, habe ich nicht. Da bin ich ein verwöhntes Kind, habe auch nie darüber nachgedacht, was man tun könnte, um sie zu bekommen. Das würde auch nicht funktionieren. Du kriegst die Leute mit Authentizität. Bei dem, was ich mache, musst du raus gehen und du sein. Bei Florian Silbereisen ist es wahrscheinlich wurst.
Michaela Boland: Sie sind seit mehreren Jahrzehnten im Rheinland und haben das rheinische Herz und seine Sprache sozusagen assimiliert. Verzeiht man ihnen bei Besuchen in der alten Heimat, Südtirol, dass sie der Sprache in professioneller Hinsicht ein wenig abtrünnig geworden sind?
Konrad Beikircher: Na, (Anm. d. Red.: fährt im Dialekt Südtirols fort) der Sproche bin i nid abtrünnig geworden. Das kann ich noch (lacht). Ach, das ist wie immer. Auf diese Dinge ist man in Südtirol stolz. Das erfahre ich oft genug. Sie freuen sich, dass ein Brunecker aus dem Pustertal da draußen so ein Star geworden ist. Alles prima, wunderbar.
Das merke ich auch immer an der Resonanz, wenn ich selbst mal da bin. In Südtirol zählt aber etwas anderes und da habe ich die A-Karte gezogen: Denn ich habe viele italienische Lieder geschrieben, komponiert und immer wieder gesungen. Das sind Lieder, die Dinge aus meiner Jugend in Bozen zum Thema haben. Meine Klassenkameraden und ich waren eine sehr italophile Generation.Wir haben ein positives Verhältnis zu Italien gehabt.
Das hast du in Südtirol nicht ungestraft, wenn du es öffentlich machst. Und es ist immer noch so. Als ich das letzte Mal mit der Band da war, haben wir auch italienische Lieder gesungen, beispielsweise etwas von Celentano, da habe ich es auch bei den Jüngeren wieder gemerkt. Es gibt ja auch die CDs, also die wissen in Südtirol natürlich alle, was ich so treibe. Das verzeiht man mir nicht. Natürlich nicht alle.
Michaela Boland: Gestaltet sich dieser Umstand nach all den Jahren seines ernsten Ursprungs mittlerweile ähnlich wie die historisch bedingte Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf bei uns im Rheinland?
Konrad Beikircher: Nein, eher wie das Verhältnis zwischen dem Elsass und Frankreich oder dem zwischen Basken und Spaniern. Es ist schon kämpferischer. Das tut man eben nicht. Man ist nicht ein deutschsprachiger Südtiroler und singt walsch, also italienisch. Das ist in der Wertigkeit unanständig. Kürzlich war ich wieder für eine Woche dort und habe eine Lesung über meine Kindheitserinnerungen abgehalten. An einem Tag habe ich mich mit meinen ehemaligen Klassenkameraden, mit denen ich Abi gemacht habe, getroffen.
Dabei haben wir auch über diese Problematik gesprochen und sie sagten, "für uns ist es kein Problem, denn du hast ja immer schon Celentano gesungen. Aber, du musst dich nicht wundern, wenn ansonsten keiner kommt". Ich antwortete, dass ich das wisse. Das wird als politisches Statement gesehen. Insofern stehe ich auch dazu, weil es natürlich auch so ist. Wir sind bei uns zu Hause drei Brüder. Ich bin der jüngste, mein ältester Bruder ist acht Jahre älter und da ist bei diesem Thema schon die Mauer vorhanden. Der kann es nicht begreifen, dass wir aus einer Familie sind und sein jüngerer Bruder italienisch singt. Der war ganz tief getroffen.
Michaela Boland: Aber, man versteht sich doch hoffentlich wieder?
Konrad Beikircher: Das schon, die Basis bleibt natürlich unberührt.
Michaela Boland: Sie sind 1965 nach Bonn gekommen?
Konrad Beikircher: Ja, ich bin am 19. Oktober 1965 nach Bonn gekommen. Um 16.04 Uhr.
Michaela Boland: Das wissen sie aber noch sehr genau.
Konrad Beikircher: Das ist ein Zufall. Ich weiß nicht, warum man sich so einen Blödsinn merkt. Doch da war die Bahnhofsuhr in der Bahnhofshalle von Bonn und ich stand dort plötzlich in einer fremden Welt. Deshalb hat sich das vermutlich so eingeprägt.
Michaela Boland: Sie sind seinerzeit für das Studium der Psychologie, Musikwissenschaften und Philosophie hier her gekommen. Wie lange hat es gedauert, bis sie als Südtiroler mit dem rheinischen Dialekt, den sie heute zum professionellen Werkzeug gemacht haben, zurechtkamen?
Konrad Beikircher: Es hat natürlich lange gedauert. Die ersten drei Tage war ich bei einer Zimmerwirtin aus Ostpreußen eingemietet. Das ging nicht. Sie war sehr traumatisiert, sprach ständig von Kinderärmchen. (Anm. d. Red.: Imitiert den ostpreußischen Dialekt in hoher Stimmlage) "Ich werde die Bilder nicht los, wie die Kinder beim großen Dreck da runterjefallen sind", so hat sie mich schon empfangen. Dann hat sie mir das Ganze eine Stunde lang Handhaltend erzählt.
Da fragte ich mich, in welcher geschlossenen Abteilung ich hier wohl gelandet sei und habe dann zwei Tage später ein anderes Zimmer gefunden. Da war ich dann drei Jahre bei Frau Münch. Sie war eine ganz einfache Frau, sehr streng, ein regelrechter Dragoner, aber, dafür auch sehr witzig. Sie sprach jedenfalls kein Hochdeutsch.
Die hät nur Bönnsch jeschwaat. Und wohl oder übel musste ich lernen, es zu verstehen. Ich weiß noch, dass ich während der ersten vier bis fünf Wochen täglich überlegte, ob ich die Koffer packen sollte, da ich nichts verstand und es beinahe nicht aushielt. Und dann kam ich über Frau Münch langsam doch ein Bisschen in die Anfänge hinein. Nachdem ich mein Studium abgeschlossen und angefangen hatte, im Knast zu arbeiteten, kam dann der zweite Schub.
Michaela Boland: Aufbaukurs "Mundart" im Gefängnis?
Konrad Beikircher: Ja. In Siegburg habe ich mich dort morgens immer sehr intensiv um die inhaftierten Analphabeten gekümmert. Da waren regelmäßig zwischen vierzig und fünfzig jugendliche Analphabeten, die fast ausschließlich aus Köln-Kalk und Köln-Poll kamen. Da wurde so richtig Kölsch "jeschwaat". Darunter waren oft ganz goldige Gemüter, einige waren auch hoch intelligent, aber sie konnten eben nicht lesen und schreiben. Einer ist heute Abteilungsleiter bei den Stadtwerken.
Michaela Boland: Dank ihnen?
Konrad Beikricher: Nein, (lacht), das hat er schon sich selbst zu verdanken.
Michaela Boland: Ging ihnen die Tätigkeit dort leicht von der Hand?
Konrad Beikircher: Die Arbeit mit den Leuten hat großen Spaß gemacht. So kam ich an die rheinische Mundart. Doch, natürlich spielte auch meine Liebe zum Beobachten eine Rolle. Ich schaue auch einfach gerne in die Welt und in die Menschen. Das finde ich immer spannend.
Michaela Boland: War das auch die Motivation für den Schritt zum Psychologiestudium?
Konrad Beikircher: Nein, das war Wahrnehmung. Als ich 17 Jahre alt war, schrieb mein Bruder bereits seine Dissertation, hätte aber eigentlich noch Vorlesungen gehabt. Also habe ich zuzüglich der Sommerüberlappung ganze zwei Monate in der Schule frei bekommen und für ihn die Vorlesungen mitgeschrieben. Hierdurch war ich auch in einer Psychologievorlesung und darin ging es um Wahrnehmung. Mich hatte von jeher das ganze Naturwissenschaftliche und Experimentelle interessiert.
Wie funktioniert es, dass ich genau weiß, welcher Ton am Anfang war, ein weiterer als dritter, siebter oder noch später kam, wenn ich eine Melodie höre? Wie erkennt man das? Wie geht das? Wird im Ohr schon gerechnet? Damals hat man noch nicht so gedacht, es gab ja noch keine Computer. Das hat mich unglaublich interessiert, das wollte ich genauer wissen und deshalb habe ich Psychologie studiert. Heute würde das als Motiv wohl nicht mehr ausreichen, weil man sich vorstellen kann, wie ein Rechner funktioniert.
Michaela Boland: Heute würde man wahrscheinlich ein Fach wie Neurowissenschaften auswählen?
Konrad Beikircher: Das würde ich heutzutage machen. Damals war das völlig apart. Es hat mich immer interessiert, deshalb habe ich auch vier Semester Physiologie belegt, obwohl ich kein Mediziner werden wollte. Die hatten natürlich eine neurale Abteilung in der Physiologie, was ich als wahnsinnig spannend empfand. Doch das war zum damaligen Zeitpunkt alles noch gar nicht vernetzt, das gab es noch nicht. So etwas wie Kybernetik kam erst während meines Studiums auf. Man nannte es Kybernetik und hat versucht, mittels elektrischer Schaltkreise Denk-und Synapsenvorgänge zu erklären. Wenn ich das mit heute vergleiche, war das natürlich absolut steinzeitlich.
Michaela Boland: In welcher Fachrichtung ist ihr Bruder, dem sie das Psychologiestudium quasi "verdanken", promoviert?
Konrad Beikircher: Er ist Altphilologe und hat über die Satire von Persius Flaccus promoviert. Er ist ein riesen Wissenschaftler geworden. Er war lange Zeit Chefredakteur des Thesaurus Latinus bei der Akademie der Wissenschaften in München. Das ist die Erfassung des gesamten lateinischen Wortschatzes mit allen Stellen, wo jedes Wort vorkommt. Ein irrsinniges Unterfangen. Seit hundert Jahren läuft das insgesamt. Sie sind jetzt beim Buchstaben V, wenn ich mich nicht täusche. Mein Bruder ist allerdings nun seit einem dreiviertel Jahr pensioniert.
Michaela Boland: Ihr Bühnenprogramm wird auch als "hochprofessionelle, manchmal atemlose Büttenrede" bezeichnet. Können sie das unterschreiben?
Konrad Beikircher: (prustet) Wer schreibt denn so etwas?
Michaela Boland: Die Rheinische Post unter anderem.
Konrad Beikircher: Die Rheinische Post? Ach, wie schön, meine Güte. Das liegt an einem wundervollen Vorurteil. Jenes Vorurteil besteht darin, dass wenn etwas rheinisch ist und vielleicht auch noch kölsch gefärbte Töne beinhaltet, und wenn das auch noch etwas zu lachen ist, muss es ja Karneval sein. Das geht ja gar nicht anders. Die Rheinländer tun sich ein bisschen schwer damit, rheinisches Kabarett als Kabarett zu akzeptieren.
So etwas ist gleich in dieser Schiene drin. Das ist immer ein bisschen "gefährlich". Wobei das ja auch nichts Schlimmes ist. Es ist nicht jeder Trachtenanzug in Bayern ein Bekenntnis zu Bayern. Die Austauschbarkeit sieht man daran, wenn die Kölschen beim kölschen Oktoberfest in bayerischen Trachten herumlaufen. Das hat wohl ein bisschen damit zu tun. Was die "Büttenrede" anbelangt, so könnte ich natürlich auch ernsthaft reagieren. Mich schmerzt das natürlich schon ein wenig, obwohl ich Respekt vor Büttenrednern habe. Das ist völlig etwas anders. Die Büttenrede ist ein anderer Humor.
Du musst bei Büttenreden nämlich einen ganz linearen Humor haben, dieser muss ganz klar nach vorne gehen, er darf keinen Knick und keine Kurve haben. Da geht sonst nichts. Ich kenne keinen Kabarettisten, der als Büttenredner reüssiert hätte. Ein paar haben es probiert. Andreas Etienne und Michael Müller von der Springmaus haben es letztes Jahr versucht und sind grandios baden gegangen.
Michaela Boland: Zu intelligent?
Konrad Beikircher: Ja, klar. "Intelligent" ist aber nicht das richtige Wort, denn es gibt auch intelligente Büttenreden. Bei der Büttenrede darfst du nicht um eine Ecke, anschließend um noch eine Ecke gehen, dann auf die Assoziation warten und dann haben sie es. Das geht nicht. Im Kabarett ist das die Voraussetzung, ohne die gar nichts geht. Mein absoluter Favorit in puncto Büttenredner ist "Die Doofnuss" . Jetzt ist er Mitte 80. Das war ganz klassische kölsche Büttenrede. Das hat so funktioniert: Der hat sich mit tief ernstem Gesicht hingestellt und Witze erzählt. In langsamem Tempo.
Es reicht ein halber Satz, selbst, wenn er Wort- und Interpunktionsgenau immer dasselbe erzählt, selbst, wenn der ganze Saal jedes Wort kennt, ist es egal. So etwas wird zelebriert und erwischt meinen Humornerv dann sehr, wenn es derart gekonnt gemacht ist. Ich habe also schon Respekt vor Büttenrednern- und -Rednerinnen, wenn sie gut sind. Doch, was mich selbst betrifft, so ist dies überhaupt nicht meine Art des Humors.
Ich bin eigentlich immer eher recht assoziativ in meinem Humor, manchmal auch ein bisschen drastisch, denn da hat ja auch jeder Spaß dran. Hin und wieder bewege ich mich auf Kantinenebene, wo ich mir manchmal denke, "jetzt musst du da aber mal wieder raus". (lacht). Auch bin ich schon einmal, wie jede Rampensau, die da oben auf der Bühne steht, in der Gefahr, einen Lacher nur um des Lachers Willen produzieren zu wollen. Aber, Büttenredner würde ich für mich jetzt nicht unbedingt gelten lassen.
Michaela Boland: Sie unterstützen den Verein "Leben mit Krebs". Ihre erste Frau haben sie bedauerlicherweise schon vor langer Zeit verloren. Gibt es da einen Zusammenhang?
Konrad Beikircher: Nein, sie war sehr depressiv und ist im Suizid gestorben. Zur Unterstützung des Vereins kam es als ich von Frau Schürheck von der Organisation angesprochen wurde. Ich habe von Anfang an die Einstellung gehabt, dass, wenn man etwas bekannter ist, es eine Verpflichtung darstellt, öffentlich Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört, dass man sich für Dinge auch öffentlich engagiert, denn das finde ich ganz wichtig.
Du musst Vorbild sein, wenn du bekannt bist. Ich finde, um diese Verpflichtung kommt man gar nicht herum. Es tun aber nicht viele. Ich habe es aber immer schon gemacht, mit unterschiedlichem Erfolg natürlich. Für ungefähr fünf Jahre habe ich im Rahmen eines Kölner Projektes eine Schule in Guinea-Bissau unterstützt. Da bin ich dann auch immer mit der Büchse herumgelaufen und habe gesammelt, gemacht und getan, aber seit ungefähr anderthalb Jahren kann ich das nicht mehr machen.
Michaela Boland: Aus welchem Grund geht es nun nicht mehr?
Konrad Beikircher: Es wird fast nicht mehr akzeptiert und das nicht wegen Afrika, sondern, weil die Zeiten schlechter geworden sind. Ich spiele ja auch viel in kleinen Orten und die Veranstalter sagen dann, "nein, wir haben gerade eine Sammlung für unseren Kindergarten", oder sie haben eine Sammlung für dieses oder jenes. So haben sie dann Angst, dass man ihnen etwas abschöpft. Das kann ich ja dann auch nicht machen. Die Zusammenarbeit mit dem Verein "Leben mit Krebs" in Siegburg läuft jetzt ungefähr seit 1995.
Michaela Boland: Wie sieht ihre Unterstützung für den Verein konkret aus?
Konrad Beikircher: Ich spiele dort, trete umsonst oder lediglich für einen Unkostenbeitrag auf. Das Problem ist, du zahlst doppelt, denn du hast dort 700 bis 1000 Leute in der Halle, für die du umsonst spielst und kannst dann jedoch mindestens für ein halbes Jahr da nicht mehr auf Kasse spielen, weil sie dich da ja schon alle gesehen haben und das Programm kennen. Das heißt, Siegburg ist für mich eigentlich seit 1995 als bezahlter Auftrittsort gestorben. (lacht). Daran denkt man auch nicht immer.
Michaela Boland: Sie sprachen gerade ihre Tätigkeit in der Siegburger Justizvollzugsanstalt an. War ein solcher Job als Gefängnispsychologe von Anfang an im Bereich ihres Vorstellungsvermögens?
Konrad Beikircher:Ja, natürlich, schon nach meinem Vordiplom. Ich war ein sehr bewegter 68er, habe die Hand immer schon zum Rot-Front-Gruß erhoben. In der Zeit damals musste das ja sein. Ich war politisch links zu orten, meine damalige Frau auch. Nach dem Vordiplom haben wir uns überlegt, vielleicht an der Uni zu bleiben. Ich wollte aber eigentlich nicht an der Universität bleiben und dann war klar, wenn man daraus einen Beruf macht, muss es ein sozial-verantwortlicher sein. Unsere Deduktion war dann, dass es nur Psychiatrie oder Knast sein könne.
Daraufhin haben wir uns für den Knast entschieden. Danach haben wir noch ein paar juristische Vorlesungen besucht, um uns in dieser Hinsicht in allem, was man so braucht, vor allem im Strafrecht, ein wenig kundig zu machen. Dann kamen wir als völlig überqualifizierte Überflieger, denn wir hatten beide das Diplom mit sehr gut und Auszeichnung gemacht, weil wir nunmal gut waren - was willst`e machen - (lacht) beim Düsseldorfer Justizministerium an. Wir waren somit im November 1971 die ersten Psychologen dort, die mit sehr gut aufgetaucht sind.
Die sind da beinahe von den Stühlen gekippt. Bis dahin haben die Grobzeug gekriegt. Da gab es sieben oder acht Psychologen. Wer wollte denn in der Zeit als Psychologe schon in den Knast gehen? Das war politische Überzeugung und ein Bekenntnis zur sozialen Verantwortung und ich habe es nie bereut. Das war mein Motiv, dort hinein zu gehen. Ich habe zunächst in Köln-Ossendorf angefangen. Übelster Knast. Der war damals ganz neu.
Der alte Klingelpütz wurde abgerissen und in Ossendorf neu gebaut. Gänge 240m lang, 2m hoch, man bekam schon die Paranoia, wenn man nur hinein ging. Ich bin dann anderthalb Jahre später nach Siegburg gekommen, weil ich mit Jugendlichen arbeiten wollte. Anschließend habe ich dann jede Menge Ausbildungen gemacht, also Leute ausgebildet und unterschiedlichste Gebiete abgedeckt.
Michaela Boland: Kann man den Job als "hartes Brot" bezeichnen?
Konrad Beikircher: Das denkt man immer. Aber, das stimmt so nicht. Es ist innen dann immer noch mal etwas anderes. Es ist in jedem Fall ein intensives Berufsfeld. Gerade in einem Beruf wie Geistlicher, Psychologe oder Sozialarbeiter, denn da bist du ja ganz nahe dran. Man ist ja dann nicht, so wie ein Jurist, Anstaltsleiter oder zuständig für die Sicherheit bzw. die Disziplinierung, sondern du bist ganz nahe an der Seele, an den Menschen. Es ist natürlich auch intensiv im Negativen.
Es ist fünf oder sechs Mal vorgekommen, dass ich in eine Zelle kam und der Insasse hatte sich erhängt. Er hing da oben und das Herunterheben ist dann nicht schön. Besonders, wenn das noch jemand von den Knackis ist, den du besser kanntest. Ich bin gerne oftmals auch sonntags hingegangen, um Zeit zu haben, den Schreibtisch aufzuräumen und solche Dinge, denn in der Woche kam ich nicht dazu. Ich habe fast während der ganzen Zeit mein Büro im Knast selbst gehabt.
Eine Zeitlang war ich der einzige in ganz Deutschland, der dies so gehandhabt hat. Und zwar aus folgendem Grund: Der Psychologe sitzt vorne in der Verwaltung. Der Knacki, dem es nicht gut geht oder der irgendein Anliegen hat, schreibt einen Antrag an den Psychologen. "Ich müsste sie unbedingt mal sprechen." Das gibt er dem Abteilungsbeamten. Der Abteilungsbeamte gibt es der Zentrale. Die Zentrale gibt es zur Briefstelle. Die Briefstelle tut es dann in dein Fach. In der Regel war das ein Weg von zwei Tagen.
Michaela Boland: Wenn es dringend war, hätte es in dieser Zeit wohl schon längst zu einer Tragödie kommen können?
Konrad Beikircher: Ja, zum Beispiel. Und das ist passiert. In der Regel musste ein Gefangener dann zwei bis drei Tage warten bis der Psychologe kam, wenn der dann Zeit hatte. Es kam ja auch vor, dass man sagen musste, "Moment, da habe ich aber noch andere auf der Liste." Ich habe das dann so gemacht: Ich habe drinnen gesessen und die Leute wussten, sie konnten vormittags bei mir hereinschneien, wenn es um Kleinigkeiten ging oder sie ein Telefonat hatten. Nachmittags hatte ich die intensiveren Gespräche. Es hat ein Weilchen gedauert, aber dann hat es wunderbar funktioniert.
Gleichzeitig aber habe ich damit einen Status bei den Knackis gehabt, der war ungeheuer. Ich konnte zu jedem in die Zelle. Auch, wenn er die Rasierklinge schwang. Ich habe nie Angst haben müssen, mir ist nie auch nur das Geringste passiert. Das hat damit zu tun, dass ich mich nie als etwas anderes, als ein besserer Mensch gesehen habe als die Knackis. Ich habe von Knackis, übertrieben gesagt, viel mehr über mich gelernt als sie von mir lernen konnten.
Ich habe in den Gesprächen über Mord oder Sexualdelikte, einfach über die Abgründe der Seele, einiges über mich erfahren und kennengelernt. Denn das waren ja Leute, die das getan haben. Ich habe so etwas natürlich nicht gemacht, ich habe nie eine meiner Frauen umgebracht, aber ich habe sehr viel über mich gelernt.
Michaela Boland: Wird man insoweit mit Gedanken konfrontiert, die man sich von sich aus nicht machen würde?
Konrad Beikircher: Ja, schon. Natürlich. Ich erinnere mich an zwei Gespräche mit Jürgen Bartsch (Anm. d. Red.: pädosexueller Serienmörder, der als "Kirmesmörder" bekannt wurde), die ich zusammen mit meinem Kollegen noch während meines ersten Jahres in Ossendorf geführt habe. Das war sehr beeindruckend. Damals war der ja die Bestie schlechthin. Ein hoch differenzierter, tatsächlich richtig schwer an sich Leidender. Intern war es ja wahrscheinlich auch so, dass er sich die Fehlnarkose gewünscht oder vielleicht sogar bestellt hat.
Dann kam das Ende ja. Ich habe mich in Siegburg auch ein bisschen auf jugendliche Sexualstraftäter spezialisiert, weil sich um die ja keine Sau gekümmert hat. Alle haben sich ja um die Drogenleute gekümmert, denn das war in der Regel nicht schön, aber angenehm. Da stößt du schon auf Dinge, die sind weit weg von dir. Weit weg auch von mir, schizothyme Leute, Menschen, die kurz vor einer Schizophrenie stehen und ganz bizarre Gedankenwelten haben, wo es sehr schwer ist, sich da einzufühlen oder es sich auch nur vorzustellen.
Ich hatte nie das Problem, dass ich verurteilend oder bewertend zugehört habe. Das Problem habe ich heute noch nicht und das ist nicht immer richtig. Manchmal sollte man bewerten. Ich habe das nie gemacht. Ich höre mir erst mal an, was jemand erzählt und versuche das einzuordnen, prüfe, ob ich das verstehen kann. Manchmal kann man sich sogar hineinfühlen, z.B. wenn jemand einen quälenden Vater hat und irgendwann ist die Sicherung durchgebrannt. Das wurde mir oft vorgeworfen, oder den Psychologen generell. "Ihr wollt ja alles nur verstehen und entschuldigt ja alles!"
Michaela Boland: War es so?
Konrad Beikircher: Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich wäre mit diesen Dingen insofern wohl schon besser in der Wissenschaft geblieben. Es ist dort nämlich schon etwas wertfreier und das war es bei mir immer.
Michaela Boland: Ist das eine Charaktereigenschaft von ihnen oder womöglich durch das Psychologiestudium antrainiert worden?
Konrad Beikircher: Nein, ich glaube, da hat es sich ergänzt. Es ist schon auch eine Eigenschaft von mir. Auch heute noch, wenn meine Frau und ich Konflikte austragen, in denen es um die Kinder geht. Wenn ich bei Problemen der Kinder dann eher weich geblieben bin und versucht habe, an ihnen dran und mit ihnen im Gespräch zu bleiben, war meine Frau dann eher der Ansicht, dass das nicht geht und dass womöglich auch mal Hausarrest angebracht wäre. Ich denke, da hat meine Frau schon Recht, wenn sie meint, dass ich auch mal im Vorfeld bewertend Farbe bekennen soll. Es fällt mir schwer, weil ich erst mal versuche, in die Innenwelt zu kommen.
Michaela Boland: Wie alt sind ihre Kinder?
Konrad Beikircher: 31, 28, 23, 21 und 16. Zwei aus der vorherigen Ehe.
Michaela Boland: Da sind sie ja mit dem letzten Kind noch mitten in der Pubertät.
Konrad Beikircher: Ja, absolut. Doch wenn ich mal da oben im Himmel bin, werde ich der Schöpfung den Vorschlag machen, die Pubertät ersatzlos zu streichen.
Michaela Boland: Wie war das bei ihnen?
Konrad Beikircher: Bei mir kam das ja nicht richtig zum Ausbruch, denn ich war in einem Jugendheim. Ich war acht Jahre lang im Schülerwohnheim bei den Franziskanern in Bozen. Ich hatte nicht die Notwendigkeit, diese pubertären Reibereien mit den Eltern zu haben, denn die waren ja nicht da. Ich habe sie nur in den vier Sommermonaten gesehen.
Michaela Boland: Wo wahrscheinlich Zucht und Ordnung herrschte?
Konrad Beikircher: Ja, natürlich. Wir waren im Schülerwohnheim 80 Jungs und haben dann schon mal gemeinsam rebelliert. Dann hast du halt eins drüber gekriegt, wurdest diszipliniert und dann war es das aber auch schon. Also, das hat sich zwangsläufig sehr in Grenzen gehalten, was auch nicht gut ist. Wir konnten die Pubertät nicht so ausleben, wie das meine Kinder konnten oder können.
Michaela Boland: Doch den Schalk im Nacken können sie ja spätestens jetzt ausleben.
Konrad Beikircher: Ja, klar. (lacht).
Michaela Boland: Sind sie auch gläubig, wenn sie schon bei den Franziskanern erzogen wurden?
Konrad Beikircher: Ich bin vor ungefähr sechs Jahren aus der Kirche ausgetreten. Kardinal Meisner hat das Faß zum Überlaufen gebracht. Ich bin Gläubiger, aber kein Kirchenfan. Da war z.B. Afrika und das Pillenverbot und diese ganzen Themen eben. Das war ohnehin schon so grenzwertig. Dann kam auch noch, dass in Berlin die ökomenische Woche stattgefunden hat und morgens hat der Kardinal seinen Pressesprecher beauftragt, im WDR eine Stunde lang zu erklären, dass man als Katholik in Berlin abends nicht gemeinsam mit den Evangelischen bei jenem ökumenischen Gottesdienst die Kommunion bzw. das Blut Christi empfangen dürfe, weil man ansonsten exkommuniziert werde.
Wenn man weiß, was Exkommunikation nach dem kanonischen Recht bedeutet, dann ist klar, dass man auf alle Ewigkeit ausgeschlossen wird. Die Androhung dieser Strafe ist ungeheuer. Das ist die härteste Strafe, die man überhaupt aussprechen kann. Und genau dieselbe Kirche hat sich dann gegen die Bombardierung im Irakkrieg, im Golfkrieg etc. ausgesprochen. Doch, wenn du nur mal mit einem Evangelischen gemeinsam die Kommunion erhältst, dann bist du draußen.
Da, dachte ich mir, "Jetzt ist es gut", und bin zum Amtsgericht gefahren, ausgetreten, habe danach Manfred Becker-Huberti angerufen, der damals Pressesprecher des Erzbistums Köln war, und gesagt, "weißt du, woher ich gerade komme? Ich komme vom Amtsgericht und bin jetzt ausgetreten. Das tut mir leid!" Seit ich ausgetreten bin, beschäftigt mich die Verpflichtung mehr als vorher. Christ sein bedeutet für mich, eine menschliche Verpflichtung , gerade der lebenden Seite gegenüber. Mit dem anderen habe ich eigentlich nicht so viel im Sinn.
Michaela Boland: Wie wichtig ist ihnen die Musik?
Konrad Beikircher: Ich wollte Musiker werden. So hatte ich mir in den ersten drei bis vier Monaten während des ersten Semesters in Bonn, als ich noch diese großen Verständnisprobleme mit der Sprache hatte, immer wieder überlegt, vielleicht doch zurück nach Wien zu gehen und dort die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie zu machen.
Mein erstes Semester in Bonn war nämlich insgesamt mein viertes Semester. Als ich noch in Wien eingeschrieben war, habe ich allerdings andere Sachen gemacht. Da war ich am Freitag im Heurigen und ansonsten in der Staatsoper. Da musste das Studium noch warten. Ich wollte eigentlich Geiger werden. Doch zum Glück hat das nicht geklappt. Zum Solisten hätte es ohnehin nicht gereicht und ich wäre auch nicht der Mensch gewesen, für den das Orchester auf Dauer das Richtige gewesen wäre.
Michaela Boland: Wäre es für sie sehr schmerzlich, wenn sie aus irgendwelchen Gründen das Rheinland veralssen und beispielsweise in Bayern oder im Saarland leben müssten?
Konrad Beikircher: (lacht). Das Saarland wäre ein Fremdkörper, hätte aber den Vorteil, dass die Leute dort in gastronomischer Hinsicht eine hohe Lebensqualität haben, was ich schon sehr schätze. Bayern wäre natürlich meiner Heimat ein bisschen näher. Mein Bruder lebt in Bayern, ich kenne Bayern auch ziemlich gut, doch leben möchte ich dort nicht. Ich fühle mich schon wohl in dieser am wenigsten deutschen Gegend überhaupt. Das Rheinland ist nicht wirklich deutsch. Und das finde ich sehr schon, das genieße ich eigentlich sehr, im Gegensatz zu vielen Leuten, für die das furchtbar ist. Motto: "Die unzuverlässigen Rheinländer." Ich mag das, ich mag die Schludrigkeit.
Michaela Boland: Ist es tatsächlich auch offener als viele andere deutsche Gegenden?
Konrad Beikircher: Ja, es ist offener, weil es dem Romanischen zugewandt ist. Das Rheinland ist dem Wallonen- und dem französischen Raum sogar sehr zugewandt. Nicht dem niederländischen. Das wird vom Gefühl her nämlich eher dem Westfälischen zugeordnet, während wir hier eher Belgien und natürlich Frankreich zugetan sind. Diese Gefühlsvalenzen sind ganz witzig.
Michaela Boland: Erscheint das Westfälische eher sturer?
Konrad Beikircher: Ja, es gilt zumindest so. Dass es tatsächlich so ist, würde ich nicht sagen. Es ist zurückhaltender, bestimmter und in Formulierungen knapper. Die Sätze sind kürzer, doch sie sind dafür auch sehr haltbar. Das ist für den Rheinländer sehr ungewohnt, denn der "schwaat sich die Schnüss fusselig", eigentlich nur um nicht wirklich "ja" oder "nein" sagen zu müssen. Das ist eine Eigenschaft, die ich am Westfälischen schon sehr gern mag, zumal ich es selbst gar nicht hinbekomme.
Michaela Boland: Wäre ein Umzug außerhalb des Rheinlandes insofern nicht schon in beruflicher Hinsicht problematisch, soweit dort ein anderer Dialekt vorherrschend wäre?
Konrad Beikircher: Es gäbe einige Gegenden, da könnte ich das sehr gut. Z.B. hessisch, frankfurterisch. Da könnte ich eigentlich bei "Himmel und Äd" angegangen und die elf Programme ummünzen und vielleicht ein halbes Jahr in Kneipen in Frankfurt unterwegs sein. Das wäre kein Problem. Bayern ebenso wenig. Nur, die Bayern sind sehr empfindlich, wenn ein Fremder kommt. Es bräuchte da die Voraussetzung, die auch das Rheinland hatte:
Dass jemand, der über die Gegend Bescheid weiß, auf eine Gegend trifft, die nichts von sich hält. Das Rheinland hatte absolute Minderwertigkeitskomplexe, also, die Menschen im Rheinland hatten sie ganz stark. Motto: "Kind sprich ordentlich", man durfte nicht platt sprechen. Das kam erst mit den Bläck Fööss und mit dem Karneval, dass der Dialekt oder Regiolekt, die Umgangssprache, hoffähig wurde.
Bis dahin war da gar nichts. Das war für mich eine ganz eigenartige Erfahrung, denn da wo ich her komme, aus Südtirol, ist Dialekt hoch geschätzt und gleichwertig mit dem Hochdeutschen. Auch die Bayern lieben ihre Sprache und haben auch eine hohe Meinung von sich selber. Motto: "Mir sein mir". Von daher würde das nicht funktionieren, wenn du als Nichtbayer den Bayern die Bayern erklärst. Da würden sie empfindlich reagieren.
Michaela Boland: Sie würden also reservierter sein als die Rheinländer?
Konrad Beikircher: Ja. Wenn du es sehr gut kannst, dann warten sie ja auf ein kleines Fehlerchen. Da käme dann so etwas wie: "Ja, des homs aber net richtig gsagt, gä?" Du müsstest sehr gut sein, woran ich bei mir jetzt nicht zweifle, aber, es wäre hundertprozentig ein Kampf.
Michaela Boland: Gab es unter den Rheinländern nie Menschen, die sich auf den Schlips getreten fühlten?
Konrad Beikircher: Es gibt zwei Lager: Das Pro- und das Anti-Beikircher-Lager. Das Anti-Beikircher-Lager sagt dann: "Nä, dat bruch isch nit, verarsche kann isch misch selber." Das setzt aber auch voraus, dass jemand das Gefühl hat, dass meine Arbeit oder ich selbst mich über Rheinländer lustig mache. Das habe ich allerdings noch nie getan. Im Gegenteil. Wenn das aber jemand derartig in den falschen Hals kriegt, wird er natürlich kein Fan von mir sein. Es schreiben einem natürlich nur die Meckerer oder die Jubler. Aber, gemessen an der Rückmeldung, die ich von den Menschen aus dem Rheinland erhalte, scheine ich fast keine Meckerer zu haben.
Michaela Boland: Aus welchem Grunde halten sie Mundart heute noch für so wichtig?
Konrad Beikircher: Es ist wichtig für die Menschen, die in der Mundart aufgewachsen sind. Sonst könnte man darauf verzichten. Wenn jeder in Hochdeutsch aufwachsen würde, dann brauchst du natürlich keinen Dialekt. Wenn das, mit dem du als Säugling aufwächst, aber Dialekt ist, und du erst mit fünf oder sechs Jahren Hochdeutsch in der Schule lernst, dann hast du eine Basis für eine Kommunikation, die unvergleichlich ist. So persönlich wie Dialekt ist keine andere Sprache.
Dialekt ist die Sprache der Haut und der ganz direkten, unmittelbaren Gefühle. Wie man im Dialekt eben so miteinander spricht, man hat ja dieselbe Sprache und damit ist man ja eins. Es sind dann die grundlegenden, ursprünglichen Gefühle, die im Dialekt die richtigen Entsprechungen finden: Ablehnung, Zustimmung, Umarmung. Liebe. Differenzierte Gefühle sind im Dialekt meistens nicht da. Das hat aber gar nicht so viel mit Sozialgeografie zu tun. Dialekt ist einfach die älteste Eltern-Kind Sprache, die es überhaupt gibt und damit natürlich vor allen anderen Sprachen.
Michaela Boland: Worüber lachen sie selbst?
Konrad Beikricher: Über Karl Valentin, über Nestroy, über von Kleist. Im Witzebereich mag ich sehr gerne die Fußnägelaufroller, also die ganz blöden. Blondinenwitze vielleicht nicht unbedingt. Doch Situationskomik bringt mich zum Lachen. Ich bin einer der größten Stan Laurel und Oliver Hardy-Fans. Die finde ich genial und könnte mich absolut weglachen. Das Absurde mag ich auch sehr gerne und da ist man hier im rheinischen Witz sehr gut beheimatet, denn achtzig Prozent der kölschen Witze sind sinnwidrig.
Der Humor liegt eben im völlig Absurden. Der Tünnes schellt ein paar Mal beim Schäl, nichts tut sich und beim dritten Mal Schellen ruft der Tünnes von drinnen: "Ich bin nit zu huus." Die Reaktion von Schäl, der draußen steht, ist: "Dann is nur jot, dat ich gar nit jekumme bin." Das ist sehr absurd und wundervoll. Doch als ich den Witz einmal erzählt habe, haben westfälische Kollegen nur gesagt: Ja, wieso? Das steht doch da."
Michaela Boland: Wie sieht ihr Verhältnis zur Comedy aus? Lachen sie auch über Comedians wie Michael Mittermeier?
Konrad Beikircher: Mit Mittermeier sprechen sie eine Ausnahme an. Er macht intelligente Geschichten, die ich gut leiden kann. Mittermeier hat ein anderes Problem. Er war der erste wirklich begabte Kabarettist, der sich des Mediums Fernsehen als Thema annahm und zwar so, als gäbe es außerhalb dieses Themas kein Leben mehr. Das hat mich immer gestört. Ansonsten ist Mittermeier für mich mit Abstand der Beste. Was beispielsweise Mario Barth oder Leute wie Johann König anbelangt, so ist das nicht mein Humor. Ich könnte über Profitlich lachen, weil der viel Situationskomik macht, wenn ich nicht die Handschrift erkennen würde.
Das ist ja alles abgeschrieben. Es ist bei Didi Hallervorden abgeschrieben oder bei Oskar Sima aus den Dreißiger Jahren abgeschrieben, aber so was von, das gibt es überhaupt nicht. Er macht halt zwei Grimassen mehr und es ist im Fernsehen. Das vergällt mir das dann schon. Und wenn ich den Grinsaffen vom Quatsch-Comedy-Club sehe, dann vergeht mir alles. Das ist zwar nicht mein Humor, aber nun hat natürlich auch jede Generation ihren Humor. Unser Humor war auch anders als der meiner Eltern.
Michaela Boland: Glauben sie, dass man auch junge Leute wieder mehr von eigentlichem Kabarett überzeugen kann? Es fällt nämlich auf, dass das Publikum im klassischen Kabarett im Durchschnitt immer älter wird, aber kaum junges nachkommt.
Konrad Beikircher: Ja, klar. Ab und zu bringen sie glücklicherweise ihre Kinder mit und die sind jetzt dreißig und gucken mal, worüber ihre Eltern so gelacht haben, wenn sie bei mir sind. Ansonsten ist mein Publikum schlohweiß. Fertig. Sind wir doch mal freundlich zu mir: Mein Publikum beginnt so ab 45 Jahren. Dass man das junge Publikum wieder zurück zum Kabarett bringen könnte, halte ich eher für schwierig. Ich bin der Meinung, das politische Kabarett hat kein Land mehr unter den Füßen. Das liegt an der Internetwelt und an der unglaublichen Akzeptanz von Pluralität.
Das liegt am privaten Fernsehen und 20 Jahre mit diesen unsäglichen Talkshows. Die ganzen Sendungen wie das Dschungelcamp oder Ähnliches haben dafür gesorgt, dass es nichts mehr gibt, worüber du dich aufregen kannst. Es ist alles möglich und alles erlaubt. Da sagen wir eben, "ja, gut, dieser oder jener ist halt auf Katzen aus, na, dann muss er eben Sex mit Katzen haben". Das habe ich bei Bärbel Schäfer gesehen. Ich habe meinen Augen nicht getraut, das ist 20 Jahre her.
Und das war Nachmittagsfernsehen! Seit diesen Dingen hat sich einiges verändert, natürlich auch politisch. Es ist egal, ob du Pirat bist oder der CDU angehörst, letztlich stört das doch überhaupt keinen mehr. In die Mitte wollen sie alle. Ich glaube, der Boden für politisches Kabarett ist gestorben.
Michaela Boland: Wo wird das ihrer Meinung nach hinführen?
Konrad Beikircher: Es wird natürlich ein Kabarett über genau diese Dinge geben. Denn die Menschen haben sich immer amüsiert. Und auch gab es immer welche, die den Zeitgenossen gezeigt haben, "guckt mal, das macht ihr". Comedy ist das, was unsere Zeit seit 20 Jahren verdient.
Michaela Boland: Nach dem Motto: Jeder bekommt das, was er verdient?
Konrad Beikircher: Ja, irgendwann schon. Es gibt eine Gerechtigkeit (lacht). Ach, das wird sich wieder restrukturieren. Diese Dinge sterben ja nie wirklich aus. Ich vermute mal, es hat sich schon der Herrgott totgelacht als Adam in den Apfel gebissen hat. So blöd kann man doch nicht sein. Ich denke, das findet neue Formen.
Trash-Comedy, womit Helge Schneider und viele Leute um ihn herum, er jedoch am originellsten und konsequentesten, vor 25 Jahren in Deutschland angefangen haben, hatte in England ja bereits eine 150-jährige Tradition. Daher sind die dort natürlich viel besser. Wenn man sich dann mal ansieht, was in England als Trash geht, ist das auf jeden Fall nicht schlecht. Die Nummer mit dem auf einem Fallus reitenden Komödianten gab es schon 1878 im Variete in Berlin. Das gibts eigentlich nicht Neues mehr.
Michaela Boland: Um die intellektuellen Fähigkeiten der Bevölkerung muss man sich aber keine Sorgen machen, wenn das, was an Publikum nachrückt, nur noch platten Humor wünscht?
Konrad Beikircher: Nein, mit Sicherheit nicht, denn wenn der Tenor der platte Humor ist, wird es zehn oder 15 Prozent Leute geben, die das andere dann umso mehr wollen, weil es nicht mehr befriedigt wird. Und schon gehen sie dann wie in dem Film Fahrenheit zum Schluss durch den Garten und jeder lernt den Faust oder die göttliche Komödie auswendig. Eine Welt ohne Bücher ist keine Welt. Es gibt zehn Prozent, die das Bedürfnis nach Büchern haben.
Das wird auch immer da sein. Das erkläre ich meinem Bruder, dem Altphilologen immer, der sehr Kultur-pessimistisch ist. Dem sage ich immer: "Es wird auch in 500 Jahren zehn Prozent Leute geben, die wollen die Odyssee in Altgriechisch lesen. Dafür werden die dann auch Griechisch studieren. Da verlass dich drauf." Es ist nicht mehr das allgemeine Bildungsgut, aber so schade ist es auch nicht. Was die alle falsches Latein zitiert haben, tut einem ja auch weh (lacht).
Michaela Boland: Was lesen sie derzeit?
Konrad Beikircher: Ein ganz witziges Buch. Es heißt "1913" und ist eine Collage. Es geht von Januar bis Dezember dieses Jahres durch und verfolgt verschiedene Lebensläufe wie beispielsweise denen von Rilke, Freud oder Franz Marc. Der Autor hat also einen Pulk von Leuten zusammengestellt und geht da mit der Schere dran und klebt sie zusammen. Wenn es dann manchmal spannend wird, wie zum Beispiel bei der Frage, was denn nun mit dem psychoanalytischen Kongress passiert, geht es mit dem entsprechenden Abschnitt dann jedoch erst wieder 50 Seiten später weiter.
Es ist ein sehr sorgfältig geschriebenes und zusammengestelltes Buch. Ich mag immer gerne Bücher, die ein wenig kulturhistorisch thematisiert sind. Das andere Buch, das ich gerade mit ganz großem Vergnügen lese, ist von 1838. Da hat sich ein Adeliger und selbst ernannter Privatforscher mit der Geschichte Wiens befasst. Da geht es lexikalisch auf knapp 1000 Seiten über alle Straßen, einzelne Häusern, über die Hofburg , Beethoven und über dieses und jenes. Er hat viel recherchiert, ist ein sehr gescheiter Privatgelehrter. Das liest sich mit ganz viel Vergnügen.
Michaela Boland: Lesen sie noch klassische Bücher oder sind sie mittlerweile auch eher im E-Book-Reader-Zeitalter?
Konrad Beikircher: Nein, gar nicht. Das hat aber mit meinen Augen zu tun, die sind nicht mehr ganz so gut wie sie sein sollten. Ich würde es sonst schon einen solchen E-Book-Reader benutzen. Aber, gegen das haptische Gefühl ist so ein Reader natürlich ein Schuhlöffel.
Michaela Boland: Sie haben in einem Interview beschrieben, dass sie faul seien. Wie schafft man es da, 35 Jahre erfolgreich zu bleiben?
Konrad Beikircher: Erfolg kommt, wenn es authentisch oder gut ist. Das ist wie bei Rossini. Der hat in 14 Tagen den "Babier von Sevilla" geschrieben. Dann haben die Leute das dem Donizetti erzählt, der zusammen mit ihm in Bologna studiert hat. Daraufhin erwiderte Donizetti:"Das kann sein. Faul war er immer schon." Das ist deshalb, weil die Faulen, zu denen ich mich auch zähle, sich vor Pflichten drücken. Genau deshalb haben sie Potenziale frei. Wenn sie dann in der Lage und der Luxussituation sind, wie ich auch, das tun zu können, wozu sie Lust haben, also schreiben oder auf die Bühne gehen, dann entwickelt man da einen Fleiß, den man gar nicht merkt. Denn es macht ja Spaß.
Michaela Boland: In diesem Sinne noch sehr viel Spaß weiterhin und herzlichen Dank für dieses ausführliche Interview.
Michaela Boland ist Journalistin und TV-Moderatorin. Bekannt wurde sie als Gastgeberin der Sommer-Unterhaltungsshow „HOLLYMÜND“ des Westdeutschen Rundfunks Köln. Seit 1988 schrieb sie für die Rheinische Post, unterschiedliche Publikationen der WAZ-Gruppe Essen, Bayer direkt und Kommunalpolitische Blätter.
Außerdem präsentierte sie die ARD-Vorabendshow „STUDIO EINS“ und arbeitete als On-Reporterin für das Regionalmagazin „Guten Abend RTL“. Auf 3-Sat, dem internationalen Kulturprogramm von ARD, ZDF, ORF und SRG, moderierte sie die Kulturtalkshow „Doppelkopf“, sowie für TV NRW, die Casino
Show „Casinolife“ aus Dortmund-Hohensyburg. Michaela Boland arbeitet auch als Veranstaltungsmoderatorin und Synchron- sowie Hörspielsprecherin.
Für die Gesellschaft Freunde der Künste moderiert sie den Kaiserswerther Kunstpreis sowie alle grossen Kulturveranstaltungen der Gesellschaft.
Seit Mitte 2009 ist sie verantwortlich für die Ressorts:
Michaela Boland und Gesellschaft Freunde der Künste
Nachrichten, Stories, Meinungen und Unterhaltung
Freunde der Künste,
das Sprachrohr der Kreativwirtschaft