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14.02.2011 einer der letzen glaubwürdigen

Portrait des Monats - Baltasar Garzón Real - „Eine Ungerechtigkeit am Einzelnen ist eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft“ - Der Anspruch der universellen Justiz gegen die nationale Straflosigkeit

von:

Baltasar Garzón Real wurde am 26. Oktober 1955 in dem andalusischen Dorf Torresals Sohn einer Bäuerin und eines Tankwarts geboren. Er wuchs mit fünf Geschwisternin einfachen Verhältnissen auf. Ursprünglich wollte Garzón Pfarrer werden. Er besuchte sechs Jahre lang ein Priesterseminar.

Nach dem Abitur tauschte er jedoch die Bibel gegen das Gesetzbuchein. Sein Jurastudium, das er sich mit Gelegenheitsjobs finanzierte, schloss Garzónals 23-Jähriger an der Universität von Sevilla ab.

Bereits ein Jahr später hatte er dieVoraussetzung für den Einstieg in eine Richterkarriere geschaffen.Garzóns berufliche Laufbahn begann 1979 in der Provinz Huelva. 1987 wurde Garzónvom Obersten Rat der Richterlichen Gewalt in Spanien zum Inspekteur für die Region Andalusien delegiert.

1988 trat er in Madrid eine Stelle als Untersuchungsrichter am Nationalen Gerichtshof „Audiencia Nacional“ an, der 1977 für die Ahndung von Verbrechen überregionaler Tragweite wie Terrorismus, Drogen- und Wirtschaftskriminalität geschaffen worden war.

Internationale Aufmerksamkeit zog Garzón im Zusammenhang mit der „Operación Mago“ auf sich, bei der im Sommer 1990 in der nordwestspanischen Region Galicienmehr als 50 Personen wegen Rauschgiftdelikten verhaftet wurden.

Durch erfolgreiche Ermittlungen gegen ETA-Kommandos, rechte Terroristen und Drogen-Dealer wurde Garzón so populär, dass Ministerpräsident Felipe González ihn als Unabhängigen beiden Wahlen 1993 auf die Liste der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE)setzte.

Garzón trug zum Sieg der PSOE bei und wurde ins Parlament gewählt. Er bekam jedoch nicht wie versprochen die Stelle des Innenministers, sondern wurde„nur“ Staatssekretär und Antidrogenbeauftragter. Sein Plan, eine Sonderstelle zur Korruptionsbekämpfung einzurichten, scheiterte.

Nach einem Jahr kehrte Garzón derPolitik enttäuscht den Rücken und auf seinen Posten als Untersuchungsrichter zurück. Seitdem begleitete ihn bei seinem Kampf gegen die staatliche Kriminalität der Vorwurf,sich an seinen ehemaligen Parteifreunden rächen zu wollen.

Seine Ermittlungen gegen die rechtsextreme Untergrundorganisation GAL (Gruposantiterroristas de Liberación), die er für die Ermordung baskischer Flüchtlinge nach Frankreich verantwortlich machte, trugen dann im März 1996 maßgeblich zum Fall der sozialistischen Regierung bei.

Dass der frühere Innenminister José Barrionuevo 1998 wegen Staatsterrorismus ins Gefängnis kam, verdankte er nicht zuletzt Garzón, der Felipe Gonzáles beschuldigte, die GAL gegründet zu haben.

Der Versuch, González eine Verantwortung für die 1983 und 1984 während seiner Regierungszeit durch die polizeiterroristische Bande GAL verübten Verbrechen nachzuweisen, scheiterte 1996 aber an einem Veto des Obersten Gerichtshofs.

Erneute Ermittlungen gegen Gonzálesim Jahr 1999 brachten Garzón Kritik vom Obersten Gerichtshof wegen Befangenheitein, er habe persönliche Meinungen mit objektiven Fakten vermischt.

Ab 1996 ermittelte Garzón auch gegen Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet imZusammenhang mit der „Operación Condor“, einer 1975 eingeleiteten Geheimaktionfünf südamerikanischer Militärdiktaturen zur Bekämpfung von Oppositionellen.

Bekanntheit über die Grenzen Spaniens hinaus erlangte er im Oktober 1998 mit einem überraschenden Haftbefehl gegen den 83-jährigen Diktator, der in einer Londoner Klinik festgenommen wurde.

BIOGRAFIE

Garzón leitete ein offizielles Anklageverfahren wegen Völkermordes, Terrorismus und Folter gegen Pinochet ein – im Völkerrecht ein bis dato einmaliger Vorgang, der sich nur in Madrid verwirklichen ließ, da der Ex-General in Chile Immunität als Senator auf Lebenszeit genoss.

Die Auslieferung scheiterte schließlich an gesundheitlichen Gründen, Pinochet durfte im Januar 2000 in die Heimat zurück. Mit seiner Initiative gegen Pinochet gab Garzón der Entwicklung des internationalen Strafrechts in der Praxis einen entscheidenden Anstoß.

Eine südamerikanische Menschenrechts-Initiativeschlug ihn für den Friedensnobelpreis vor. Auch die argentinische Militärjunta nahm Garzón ins Visier. 1999 beantragte er internationale Haftbefehle gegen 98 Angehörige der argentinischen Militärdiktatur, unter der 1976-1983 zwischen 15.000 und 30.000 Menschen ums Leben gekommen waren.

Der Haftbefehl richtete sich u. a. gegen die Generale Jorge Rafael Videla, Leopoldo Galtieri und gegen Admiral Emilio Eduardo Massera, den Hauptverantwortlichen für die Folterungen und Morde in der Marineschule von Buenos Aires.

Im Juli 2003 erwirkte Garzón die Festnahme von über 40 ehemaligen argentinischen Offizieren, denen Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur vorgeworfen werden. Weil unter den damaligen Toten auch spanische Staatsangehörige waren, strebte Garzóneine Auslieferung an.

Der argentinische Staatschef Néstor Kirchner forderte einen Prozess in Argentinien, verfügte aber eine Revision der Amnestiegesetze und hob ein Dekret auf, das die Auslieferung ehemaliger und aktiver Militärs verbot.

Im April 2005 verurteilte Spaniens Nationaler Gerichtshof den früheren argentinischen Korvettenkapitän Adolfo Scilingo wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Militärdiktatur in Argentinien zu 640 Jahren Haft.

Er war nach Überzeugung des Gerichts 1977 an zwei Todesflügen beteiligt, bei denen insgesamt 30 Regimegegner betäubt und vom Flugzeug aus ins Meer gestürzt worden waren. Scilingo gehörte zu den wenigen argentinischen Militärs, die ihre Verbrechen öffentlich eingestanden haben.

Er hatte sich 1997 bei einem Besuch in Madrid mit Garzón in Verbindung gesetzt, der ihn sofort verhaften ließ. In Spanien hinter Gitter kam auch der frühere argentinische Marineoffizier Ricardo Miguel Cavallo, der auf Drängen Garzóns 2003 aus Mexikoaus geliefert worden war.

Vier Jahre hatte Garzón Beweise gegen die Partei Batasuna gesammelt, die als politischer Arm der baskischen Terrororganisation ETA galt, bevor er ihr im August 2002 für drei Jahre alle politischen Aktivitäten verbot und das Madrider Parlament ein generelles Verbot der Partei beschloss.

2003 wurden auf Garzóns Anordnung neun Batasuna-Funktionäre verhaftet und im Oktober 2007 – nach ETA-Anschlägen auf einen Flughafen – weitere 23 Mitglieder der Führung der illegalen Batasuna-Parteifestgenommen.

Zwei Monate später verurteilte das nationale Strafgericht in Madrid 47 Personen wegen Zugehörigkeit zu ETA-Unterorganisationen oder wegen der Zusammenarbeit mit den spanischen Separatisten zu Haftstrafen zwischen zwei und 24 Jahren.

Gleichzeitig wurden mehrere ETA-Ableger definitiv für illegal erklärt und ihr Vermögen konfisziert. Umstritten war Garzóns Vorstoß zur Schließung verschiedener baskischer Zeitungen und Radiosender, weil er damit die baskische Kultur im Allgemeinen traf und nicht nur den Terror bekämpfte.

Während des Irak-Kriegs wandte sich Garzón im März 2003 in einem offenen Brief gegen die politische Linie des konservativen Ministerpräsidenten José María AznarLopez, der die Interventionspolitik der USA im Irak gegen die öffentliche Meinung Spaniens unterstützt hatte.

Dabei bezweifelte er die von US-Außenminister Colin L.Powell als Kriegsgrund angeführte Verbindung zwischen Al Kaida und dem Irak und prangerte die Politik der US-Regierung von George W. Bush als völkerrechtswidrigan.

Insbesondere kritisierte er die Behandlung der Häftlinge in Guantanamo und die geplanten Militärtribunale. Auf der anderen Seite erließ er am 17. September 2003 internationalen Haftbefehl gegen Osama bin Laden. Im eigenen Land suchte Garzón nach Spuren von Al Kaida, die am 11. März 2004 einen Anschlag auf Madrider Nahverkehrszüge verübt hatte.

Gegen den ehemaligen US-Außenminister Henry A.Kissinger wollte Garzón wegen dessen Verstrickungen in die CIA-gestützte „Operación Condor“ gegen südamerikanische Oppositionelle in den 70er Jahren vorgehen.

GeorgeW. Bush stand ab März 2007 ebenfalls auf seiner Anklage-Liste. Gegner warfen Garzón, der als unbestechlich, korrekt und sehr ehrgeizig gilt und in seiner Heimat als Staranwalt gefeiert wird, krankhaftes Geltungsbedürfnis und Fanatismus vor.

Ein spanischer Kolumnist kommentierte Garzóns Selbstgefälligkeit mit den Worten, er wolle eben stets „die Petersilie in jeder Soße“ sein (zit. n. FR, 6.3.2003). Ein Psychoanalytiker beschrieb ihn als machthungrigen General.

Freunde wie Feinde bescheinigten ihm jedoch messerscharfe Intelligenz, Ordnungssinn, einen Hang zum Perfektionismus sowie Ausdauer und Fleiß im Übermaß (vgl. Stgt. Z., 17.12.1998). Im August 2009 sprach die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland dem spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón Real den mit 10.000 Euro dotierten Hermann-Kesten-Preis zu.

© Munzinger-Archiv GmbH

PRESSESTIMMEN


Agence France-Presse (AFP) | 2. Juli 2010

Spanischer Starjurist Garzón für Friedensnobelpreis empfohlen


Der wegen seiner Ermittlungen zu Verbrechen der Franco-Diktatur suspendierte
spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón soll für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen werden.

Die Saramago-Stiftung werde den 54-Jährigen wegen seine Einsatzes für die Menschenrechte empfehlen, sagte die Witwe des im Juni verstorbenen portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago am Freitag der Zeitung „ElPais“.

Garzón habe „sich niemals einschüchtern lassen, weder von Betrugsversuchen noch von irgendeiner Macht“, sagte Pilar del Rio dem Blatt. Er verdiene den Preis, weil er sich überall auf der Welt für Opfer stark mache.

Kulturportal Hessen | 27. August 2009

Hermann-Kesten-Preis 2009 für Baltasar Garzón Real


Baltasar Garzón Real erhält in diesem Jahr den vom P.E.N.-Zentrum Deutschland und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gestifteten Hermann-Kesten- Preis. Damit wird ein engagierter Verfechter der Menschenrechte auszeichnet.


Der Dreiundfünfzigjährige ist Untersuchungsrichter an der Audiencia Nacional in Madrid, dem höchsten Strafgerichtshof Spaniens. Die Auszeichnung wird am 12. November 2009 um 20 Uhr in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt verliehen.

Die Laudatio hält der Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Dr. Heribert Prantl. Herbert Wiesner, Generalsekretär des P.E.N.-Zentrums Deutschland, würdigte Garzón „als Anwalt eines durch staatlich sanktionierte Folter tief verstörten und verletzten Weltgewissens“.

Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann nannte den Preisträger einen
engagierten Verfechter der Menschenrechte. Derzeit leitet Garzón die Vorermittlungen gegen jene sechs Juristen der Regierung des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush, die Foltermethoden gerechtfertigt
hatten, wie sie im Gefangenenlager Guantanamo und andernorts angewandt wurden.


Weltbekannt war der Richter geworden, als er 1998 wegen der Folterung und Ermordung spanischer Staatsbürger einen Haftbefehl gegen den ehemaligen chilenischen Junta- Führer Augusto Pinochet erwirkte, der zu längerer Inhaftierung des Diktators in London führte.


Der Preis wird alljährlich zum „Writers-in-Prison“-Tag in Erinnerung an den deutschen Schriftsteller und ehemaligen P.E.N.-Präsidenten Hermann Kesten verliehen. Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst finanziert das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.

In den vergangenen Jahren wurden unter anderen die russische Journalistin
Anna Politkowskaja, posthum der ermordete türkisch-armenische Journalist Hrant Dink und im vorigen Jahr die russische Forschungs- und Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ausgezeichnet. Ihr hatte auch die am 16. Juli 2009 ermordete Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa angehört.

 

PEN-Zentrum Deutschland | Jahrestagung Osnabrück 2010

Resolution zu Baltasar Garzón

1. Das P.E.N.-Zentrum Deutschland, vertreten durch die Teilnehmer der Jahrestagung 2010, bittet die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere deren Auswärtiges Amt, darauf hinzuwirken, dass die Deutsche Botschaft in Madrid das laufende Gerichtsverfahren gegen den spanischen Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional Baltasar Garzón Real durch einen Vertreter ihrer Rechtsabteilung beobachten lässt.


Der Angeklagte Baltasar Garzón ist Träger des vom deutschen P.E.N. und dem
hessischen Landesministerium für Wissenschaft und Kunst verliehenen Hermann- Kesten-Preises 2009 für Verdienste um die Wahrung der Menschenrechte.

Es steht zu befürchten, dass rechtsgerichtete Kreise Spaniens den von uns geehrten hochrangigen Richter, der schon jetzt von seinem Amt suspendiert ist, durch eine Einschränkung seiner Tätigkeit daran hindern wollen, ein Verfahren zur Aufklärung der massenhaft verübten Morde anzustrengen, die während des Franco-Regimes begangen wurden.


Die Bundesrepublik kann diesen Prozess gegen Baltasar Garzón nicht beeinflussen,
aber der P.E.N. bittet in internationalem und europäischen Interesse darum, durch
einen ständigen Prozessbeobachter klären zu lassen, ob in dem Verfahren Anzeichen
richterlicher Befangenheit gegenüber dem Berufskollegen festzustellen sind.
2. Das deutsche P.E.N.-Zentrum verurteilt die Rufmordkampagne gegen den spanischen
Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, den Versuch eines rechten Parteiklüngels und
von Teilen der spanischen Justiz, einen herausragenden Anwalt der Menschenrechte
mundtot zu machen und sein internationales Ansehen zu beschädigen. Unsere
uneingeschränkte Sympathie gilt seinem Kampf um den würdigen Umgang mit den
Opfern des spanischen Bürgerkriegs und des Franco-Regimes in der Nachkriegszeit, um
die historische Rekonstruktion vergangener Untaten, seinem Einsatz gegen Diktatoren
und ihre Schergen, seiner Entschlossenheit, Korruption und Terror in seinem Land
einzuschränken. Baltasar Garzón ist für alle, die Europas Glaubwürdigkeit durch die
Wahrung der Menschenrechte gesichert sehen, ein Vorbild.
Wir fordern unsere Kollegen vor allem in den europäischen P.E.N.-Zentren zum Protest
auf und bitten den Internationalen P.E.N. in London um Prüfung, ob der Fall Garzón nicht
in die Case List der Verstöße gegen die Menschenrechte aufgenommen werden muß.

 

20. Februar 2011 | 11:30 Uhr


Renaissance-Theater


Baltasar Garzón Real


Der Anspruch der universellen Justiz gegen die nationale Straflosigkeit


Vortrag des Untersuchungsrichters


Einführung: Manfred Lahnstein


In spanischer Sprache mit Simultanübersetzung

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