Alle nimmst du gütig auf. Jeder darf ein Stückchen mitreisen, frei nach Belieben ein- und aussteigen! Ganz gleich, ob man sich als Teil der Gesellschaft sieht oder sich von dieser losgesagt hat, hier gehört man irgendwie dazu! Im Wagen der U-Bahn ist jeder ein Pendler. -Reisende unterwegs irgendwohin.
Was sich ändert ist der Gesichtsausdruck, der das Antlitz der Passagiere ziert und der in Abhängigkeit der Tageszeit und des Sonnenlichts, das von außen eindringt, mal grau und müde erscheint, aber durchaus belebt und fröhlich wirken kann.
Vielleicht trägt hierzu auch der ein oder andere Musikus bei, der die U-Bahn als persönliche Tribüne für ein kleines Spektakel auserkoren hat, um seinen kleinen zerknautschen Pappbecher mit etwas Klimpergeld zu füllen. Wenn man tagtäglich die gleiche U-Bahnlinie nutzt begegnen einem hin- und wieder bekannte Gesichter.
Die Linie 8 stellt einen Schauplatz der besonderen Art dar. Die Mitreisenden könnten unterschiedlicher kaum sein. Auf dem Weg gen Hermannstraße wird einem irgendwann am Tag Grossi über den Weg laufen. Oft steigt er irgendwo zwischen Rosenthaler Platz und Moritzplatz ein. Einen Fahrschein besitzt er nicht, wie so viele, die das gelbe Gefährt beehren.
Immer mit dem gleichen Gedicht auf den Lippen wandelt er durch die Wagen der U8 und erhofft sich eine kleine Gabe seiner Weggefährten. Er trägt Zeilen vor, die aus einem Kinderbuch entsprungen sind: "Die Eintagsfliege, lieber Freund, die hat ein kurzes Leben/Zweimal zwölf Stunden sind ihr nur, auf dieser Welt gegeben/Besonders ärgerlich wird's dann, was Fliegen oft begegnet/Wenn es an diesem einen Tag noch ohne Pause regnet." Zum Abschied kommen von ihm immer die gleichen Zeilen: "Der Applaus war wie eine Droge für mich."
Nahezu jeder dieser vermeintlichen Gestalten hat eine Geschichte zu erzählen, so auch Grossi, der eigentlich Steffen Großmann heißt und unter anderem Kabarettist war, aber auch Radiosendungen, Videoclips und viele andere Projekte gemacht hat. Nun wird er manchmal als „Penner“ beschimpft- die Drogen haben ihn in die U-Bahnschächte geführt.
Wenn Grossi aussteigt, wünscht er den Reisenden viel Sonne im Herzen und die meisten sind sichtlich froh darüber, dass sie nicht direkt um Geld angehauen wurden. Viele von ihnen schauen beschämt auf den Boden, wenn er oder ein anderer um Geld Fragende durch die Wagen zieht. Die meisten wissen nicht wie sie darauf reagieren sollen- es ist ihnen unangenehm und somit schauen sie lieber weg. Wegschauen ist auch so ein Thema in der U-Bahn.
Es gibt ein ungeschriebenes Regelwerk an das sich die meisten halten- man darf sich nicht ignorieren aber auch nicht anstarren. Zu den Stoßzeiten ist dies manchmal gar nicht so leicht, da man oftmals gar nicht anders kann als irgendwen, irgendwie anzustarren, denn freie Sicht auf etwas gibt es nicht. Abhilfe schafft für diese Momente aber etwas Lesestoff, den man vor sein Gesicht halten kann und der für Ablenkung sorgt, oder das mittlerweile allzeitbeliebte Smartphone.
Vertieft stieren die meisten Reisenden zu jeder Tageszeit in diese Gerätschaft und nehmen dabei kaum etwas von ihrer Umwelt wahr- eine Umwelt, die wenn man sie etwas genauer unter die Lupe nimmt, eine kleine Utopie darstellt. Denn überwiegend friedlich reisen die unterschiedlichsten Menschen hier täglich miteinander. Die U-Bahnwelt bietet ein Sammelsurium an kunterbunter Vielfalt und ist der Spiegel der Großstadt. Das was reflektiert wird ist im großen und ganzen doch ganz passabel.