Liane Bednarz "Darum ist es riskant, Tragödien, die zu Klassikern wurden, zu „komödisieren“, sie also mit Klamauk, Witzen, Kalauern und Slapstick anzureichern."
Mit einem „Kein Fisch, kein Fleisch“-Gefühl. So ergeht es auch Sebastian Kreyers Inszenierung von Henrik Ibsens „Gespenstern“
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Sebastian Kreyer inszeniert Ibsens „Gepenster“ am Münchner Volkstheater mit bemerkenswertem Unernst
Tragödien, die wie Ibsens „Gespenster“ zu Klassikern wurden, verdanken diesen Umstand so gut wie immer dem kraftvollen Sog, den ihre Dialoge entfalten. Ganz besonders verschlingend ist dieser, wenn die Szenerie zu Beginn idyllisch erscheint, sich dann aber zunehmend dunkle Passagen in den Text hineinmischen, die das Leidenskarussell der Protagonisten schneller und schneller ankurbeln.
Komödisierte Tragödie - „Kein Fisch, kein Fleisch“- Gefühl.
Darum ist es riskant, Tragödien, die zu Klassikern wurden, zu „komödisieren“, sie also mit Klamauk, Witzen, Kalauern und Slapstick anzureichern. Leicht nämlich wird dadurch die Sogwirkung des Textes so sehr abgeschwächt, dass der Strudel zu einem schwachen Blubbern wird und den Zuschauer ratlos zurücklässt. Mit einem „Kein Fisch, kein Fleisch“-Gefühl. So ergeht es auch Sebastian Kreyers Inszenierung von Henrik Ibsens „Gespenstern“ am Münchner Volkstheater.
Ein sich ins Vulgäre verhaspelnder, über eine große Kiste stolpernder und auf einer Bananenschale ausrutschender Pastor Manders (Oliver Möller) sorgt für einen bemerkenswerten Unernst. Gleiches gilt für viele andere flache „Gags“ ähnlicher Art. Warum nur wählt Kreyer solche Mittel? Glaubt er, unbedingt unterhalten zu müssen, vertraut er der Wirkung von Ibsens Text nicht?
Der Tiefe und Vielschichtigkeit, die dem 1881 in Chicago uraufgeführten Meisterwerk des norwegischen Dramatikers eigentlich innewohnt, wird man so nicht gerecht. Und auch nicht den Themen, die Ibsen darin anspricht und die damals einen Skandal auslösten, darunter Sterbehilfe, Prostitution und Geschlechtskrankheit.
Dass der Abend gleichwohl nicht als Enttäuschung zu werten ist, muss man den Akteuren verdanken, allen voran dem herausragenden Max Wagner, der Osvald Alving Stück um Stück und mit beeindruckender Bühnenpräsenz ins unaufhaltsame Delirium, in die diagnostizierte „Gehirnerweichung“ aufgrund „Wurmstichigkeit“ - gemeint ist wohl Syphilis - abgleiten lässt. Und zwar leidend, schreiend, wutentbrannt, verzweifelt.
Glänzendes Außenbild, vertuschte Lebenslügen
Ibsens Stück spielt an genau einem Tag auf dem Landgut der großbürgerlichen Alvings. In München ist die Szenerie einfach-puristisch umgesetzt (Bühne: Helene Dröll). Den vorderen Teil bildet der Salon, oben hängt ein großer funkelnder Kronleuchter. Wenige Möbel, ein Tisch, eine Kiste, später ein Chaiselongue. Dahinter mint-grün gestrichene Sprossenfenster und eine Sprossentür, hinter der sich wiederum eine kleine Küche verbirgt, von der aus man auf eine Fjordlandschaft blickt.
Dieser Tag sollte eigentlich der Auftakt zu etwas Großem sein, zu der am Folgetag anstehenden Einweihung eines Kinderasyls, das Helene Alving zu Ehren und aus dem Erbe ihres zehn Jahre zuvor verstorbenen Mannes, des Kammerherrn Alvings, errichtet hat. Eigens angereist dafür ist Pastor Manders, der alte Freund der Familie, fest als Laudator eingeplant. Und auch Osvald, der Sohn der Alvings und in Paris lebender Maler, ist des Vaters Ehren wegen nach Hause gekommen. So weit, so friedlich. Aber dann bricht, wie so oft bei Ibsen, erdbebenartig die Vergangenheit auf.
Auslöser ist Pastor Manders, Exponent einer erstarrten Kirche, die moralisiert und die Tugendhaftigkeit betont, nicht aber die Erlösung. Im langen schwarzen Mantel und Hut betritt der Geistliche die Szene. Mit einem dahin geschmetterten Cover von „Fairytale“, dem norwegischen Siegerlied des Eurovision Song-Contests 2009. Geht es Regisseur Kreyer dabei um eine Anspielung auf die Illusion, der hier so viele so lange anhängen? Oder nur darum, das Stück wie auch im weiteren Verlauf mit norwegischen Songs und französischen Chansons anzureichern? Man weiß es nicht so recht.
Gottes Stimme aus dem Off - flache Überinterpretation
Oliver Möller spielt ihn sehr gut, diesen nur an der „Pflichterfüllung“ und dem äußeren Anschein von Ordnung und Sittsamkeit interessierten Moralapostel Manders, den der sündige Lebensstil des Kammerherrn nicht weiter scherte. Vorwurfsvoll erinnert er Helene Alving (Ursula Burkhart) daran, dass sie damals nach nur einem Jahr Ehe ihren angetrauten Mann verließ, weil der sich als satyrisch-ausschweifende Natur entpuppt hatte.
Ja, Ibsen kritisiert die Kirche seiner Zeit. Doch das reicht der Regie leider nicht. Mit einer Stimme aus dem Off wird Gott selbst eine vulgäre Aussage zugeschrieben, wird das Christentum insgesamt als bigott dargestellt. Eine verzichtbare und flache Überinterpretation von Ibsens Stück.
Ursula Burkharts Frau Alving ist eine madamig-trutschige Erscheinung im schwarzen Kleid und mit Glitzerohrringen, die trotz der gestenreichen Spielweise fast schon zu abgeklärt wirkt. Sie erzählt, wie sehr sie sich jahrelang im „Vertuschen“ übte. Denn Kammerherr Alving frönte auch nach ihrer Rückkehr weiterhin der außerehelichen Trieberfüllung, nicht zuletzt mit der damaligen Magd Johanna.
Mit Folgen: Regine. Um den äußeren Schein zu wahren, sorgte Helene Alving dafür, dass Johanna den Tischler Engstrand ehelichte, der Regine als sein Kind annahm. Neben Ursula Burkhardt Frau Alving wirkt der schlaksige Manders des Oliver Möller noch selbstgerechter, noch alberner, noch tartuffiger. So ganz springt der Funke gleichwohl nicht über, was an der altersmäßig einfach nicht passenden Rollenbesetzung liegt, denn der Jugendfreund Manders sieht rund zehn Jahre jünger als Frau Alving aus. Und auch Pascal Fligg als verkrüppelter Tischler Engstrand wirkt kaum älter als seine Tochter Regine, was gleichermaßen befremdlich ist.
Max Wagner – delirierender Fix- und Höhepunkt der Inszenierung
Alles in allem also eine recht mediokre Umsetzung von Ibsens Stück. Wäre da nicht Max Wagner. Seine Darstellung von Osvald ist ein Erlebnis. Wirkt er noch zu Beginn wie ein schneidiger Corpsstudent mit strenger Frisur, orange-ockerfarbener Cordhose und blau-weißer Norweger-Strickjacke und ergo ganz und gar nicht wie ein bohèmiger Maler, zeigt sich nach und nach die ultra sensible Seele. Osvald hat genug von der Bigotterie, genug von den vermeintlich ehrenhaften norwegischen Ehemännern, die in Paris herumhuren, zu Hause aber die Tugendhaften mimen.
Man leidet mit diesem verfallenden Mann und beobachtet schaudernd, wie die „Wurmstichigkeit“ parasitenhaft immer mehr Besitz von Osvald ergreift und ihn verschlingt. Nicht einmal seine am Bühnenrand vorgetragenen Chansons „La Bohème“ (Charles Aznavour) und „Je suis malade“ (Dalida) wirken kitschig, sondern berühren.
Von den ersten Schwindelanfällen, dem Hinfallen, den Wutausbrüchen, über die immer größere Müdigkeit bis hin zum Vor-Endstadium-Delirium, zieht Wagner das Publikum in den Bann des verfallenden und verzweifelnden jungen Mannes. Dazwischen Erinnerungen an die Kindheit mit dem verehrten Vater, von der Regie gekonnt in Szene gesetzt: Ein Mini-Osvald mit Cordhose und Norwegerpulli tritt hinzu und raucht des Vaters Pfeife. Dann aber wieder der Wahnsinn, der Osvald ausrasten lässt und in dem er - inzwischen bis auf die lange weiße Unterhose entkleidet - seine Brust und dann die Rückwand des Salons mit rosa Farbe wild einschmiert.
Auch Osvald wurde Objekt der Vertuschungsaktionen seiner Mutter. Früh nämlich schickte sie ihren Sohn auf ein Internat, damit er die Schandtaten des ebenfalls an Syphilis verstorbenen Vaters nicht mitbekam. Am Ende aber klärt sich alles auf. Osvald und Regine erfahren, dass sie Halbgeschwister sind. Da hat die von Sebastian Kreyer gekonnt als überdreht und einfältig inszenierte Regine längst genug. Während sie vorher konsequent von Paris träumte, mit Osvald fröhlich-exaltiert französisch parlierte und an ein besseres Leben glaubte, zieht sie nun, von Osvalds Siechtum angewidert, eiskalt die Reißleine und verlässt den Hof.
Aktive Sterbehilfe als Ausweg –verzichtbare Überinterpretation
In einem letzten Kraftakt gesteht Osvald in Ibsens Originaltext seiner Mutter, dass seine Krankheit unweigerlich ins Delirium führen wird, in das Stadium eines Wickelkindes. Schon beim nächsten Anfall. Und bittet sie für diesen Fall um Sterbehilfe. Sie willigt ein, aber unter Zwang, weil Osvald sie eingeschlossen hat. Dann geschieht der Anfall. Und es bleibt offen, wie die Mutter agieren wird
In München aber geht Ibsens Drama anders aus. Hier wird die Mutter nicht eingeschlossen, fällt Osvald noch nicht ins Delirium. Stattdessen geht er am Ende von Kreyers Inszenierung zum Bühnenrand. Wiederholt ausschnittartig seine zentralen Textpassagen. Und dankt am Ende seiner Mutter für ihr Versprechen.
Dann ist das Stück vorbei. Hand in Hand treten Helene Alving und ihr Sohn vor zum Applaus. Hier also bleibt nicht viel offen. Hier wirkt es so, als würde die Mutter definitiv beim nächsten Anfall aktive Sterbehilfe leisten. Auch das ist eine Überinterpretation von Ibsens Text, die diesen wie so manches andere an diesem Abend verflacht.
Dr. Liane Bednarz studierte Rechtswissenschaften in Passau, Genf und Heidelberg. Sie wurde 2005 zum Dr. iur. promoviert und arbeitet als Rechtsanwältin im Bereich "Mergers & Acquisitions". Liane Bednarz war Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung.