Ein Kommentar von Rainer Kahni - Es ist ein Trauerspiel, das die französische Regierung aufführt. Sie sitzt regelrecht in der Klemme und weiss nicht, wie sie aus dem teilweise selbst verschuldeten Desaster heraus kommen soll. Die Arbeit der Regierung mutet an wie die Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einen zurück oder so ähnlich.
Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, doch sobald sich Widerstand bei den Gewerkschaften oder im Volk regt, wird das neue Gesetz wieder zurückgenommen. Die Regierung will einerseits die sozialen Standarts nicht zurücknehmen und den sozialen Frieden nicht gefährden, denn die Franzosen sind leicht erregbar, sind renitent und neigen zu gewalttätigem Protest bis hin zur offenen Revolte.
Andererseits sitzt dem Finanzminister die EU - Bürokratie aus Brüssel im Nacken, denn Frankreich wird auch 2015 die Marke von 3% reissen und einen Haushalt abliefern, der eine Neuverschuldung von 4% des BIP vorsieht. Dagegen betet Deutschland seinen neuen Fetisch an: Die schwarze Null.
Dieses Haushaltsziel der Vermeidung von Neuverschuldung ist zwar lobenswert, aber verlogen, denn die schwarze Null wird nur durch allerlei Bilanztricks erreicht. "Window dressing" nennt man so etwas. Ausserdem fährt Deutschland auf Verschleiss, die Infrastruktur ist marode, die Schulen und Strassen sind in einem erbärmlichen Zustand.
Frankreich ist bezüglich seiner Sozialpolitik vorbildlich und hat eine Infrastruktur, die sich sehen lassen kann. Schulen und Strassen sind in einem hervorragenden Zustand. Stellt sich also die Frage, soll man den Fetisch der schwarzen Null weiterhin anbeten um den Preis einer maroden Infrastruktur, oder soll der Staat um den Preis einer Verletzung der EU - Haushaltskriterien in sein Land investieren?
Ich denke, dass beides möglich ist, die schwarze Null eines ausgeglichenen Haushaltes und eine grosse Investitionskultur in die Infrastruktur. Wie? In dem der Staat bei sich selbst spart, unnötige Subventionen und Bürokratie abbaut. Darüber wird weder in Frankreich, noch in Deutschland gesprochen, als ob die heilige Kuh SUBVENTIONEN, STAAT und BÜROKRATIE sakrosankt wären.
Ist es "unverfroren", wie ein deutscher Politiker es nennt, wenn sich der neue französische Finanzminister die ewige Schulmeisterei der deutschen Regierung gegenüber den europäischen Nachbarn verbittet? Ist es "unverfroren", wenn die europäischen Nachbarn es satt haben, dass Deutschland mit lohnsubventionierten Dumpingpreisen riesige Exportüberschüsse erwirtschaftet?
Ist es "unverfroren", wenn im Ausland kritisiert wird, dass Deutschland zugunsten einer verlogenen schwarzen Null im Haushalt auf Verschleiss fährt, seine Infrastruktur verrotten lässt und dann den europäischen Nachbarn, die in die Infrastruktur investieren, vorwirft, dass sie die Vorgaben der EU - Bürokratie nicht erfüllt. Hört auf mit diesem Oberlehrer Getue.
Rainer Kahni, besser bekannt als Monsieur Rainer, ist Journalist und Autor von Polit - und Justizthrillern. Er ist am Bodensee aufgewachsen, lebt jedoch seit vielen Jahren in Paris und bei Nizza. Seine Muttersprache ist deutsch, seine Umgangssprache ist französisch. Er ist Mitglied von Reporters sans frontières und berichtet für Print - Radio - und TV - Medien aus Krisengebieten.
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