Inge Mahn zeigt Werke aus vier Generationen ihres kreativen Schaffens in Berlin. Vorher sprach sie für die Freunde der Künste mit Stefanie Tendler.
Im November feiert sie ihren 70. Geburtstag. Die Emerson Gallery Berlin begeht das Ereignis mit einer besonderen Ausstellung.
Die Werke sprechen für sich selbst.
Kanon heißt Richtschnur, Maßstab, Regel, Leitfaden.
Inge Mahn: Es hat mit Humor zu tun das stimmt, allerdings kein Humor, der einen kichern lässt.
Inge Mahn: Ich hatte das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein,
Die Hochschule in Düsseldorf genoss eine besondere Aufmerksamkeit in den 70er Jahren.
In der bildenden Kunst besagt der Begriff:“.. die Gesetzmäßigkeit der in den Maßverhältnissen all ihrer Teile ausgewogenen Gestalt..“ Inge Mahn ist Bildhauerin, langjährige, jetzt emeritierte Professorin von der Kunsthochschule Weißensee und neuerdings auch Direktorin des von ihr gegründeten Stallmuseums in Groß Fredenwalde (Uckermark), einem Ort für Landkultur und künstlerische Arbeit. Im November feiert sie ihren 70. Geburtstag. Die Emerson Gallery Berlin begeht das Ereignis mit einer besonderen Ausstellung.
S.T.: In der Ausstellung „Kanon“, die in der Emerson Gallery Berlin gezeigt wird verbinden Sie Werke aus vier Generationen ihres kreativen Schaffens, was möchten Sie mit der Ausstellung aussagen?
Es sind nicht vier Generationen geworden sondern eine neue Orientierung älterer Arbeiten.
Das "Mahnmal Mahnmahl", "Berge mit Fahnen" und "Blumenvase". In der Zusammenstellung bekommt die Emerson Gallery eine neue Installation. Die Plastiken korrespondieren mit dem Raum und entwickeln ein Eigenleben. Im Sinne des Kanons, einem Ordnungssystem, entstehen Harmonien. Was ich mit der Ausstellung ausdrücken will ist allerdings unwichtig, die Gegenstände sprechen auch nicht für sich, sie sind, Gegenstände, zum Glück still, wichtiger ist, was der Betrachter erfährt und denkt. Die Formen erinnern vielleicht an etwas Bekanntes, sprechen an.
Russell Radzinski: Emmet Williams hat diese Albernheit als kosmologischen Humor bezeichnet.
Inge Mahn: Diese Art künstlerischer Arbeit hat mit Humor zu tun, das stimmt, der bleibt allerdings auf dem Boden der Tatsachen, ist eher Realismus, der manchmal weh tut. Der Realismus zeigt nicht nur Stärken sondern auch Schwächen, Dummheiten.
S.T.: Wie wählen Sie die Gegenstände aus, die Sie für Ihre Arbeiten verwenden?
Ich wähle die Gegenstände nicht aus, weil sie da sind, für den jeweiligen Ort bestimmt.
Die Säulen zu "Mahnmal Mahnmal" z. B. waren im Raum vorhanden ich habe sie (auf übermenschliches Maß) verkürzt, hervorgehoben und durch Kopfbedeckungen gekennzeichnet und ihnen damit eine spezielle Bedeutung gegeben. In der Zeit 1978 als ich die Sache in Hamburg gebaut habe war Minimal Art angesagt, der ich damit natürlich widerspreche.
S.T.: Wie wichtig ist Ihnen der persönliche Bezug, die Zugänglichkeit zum Kunstwerk?
Inge Mahn: Mir ist es wichtig, dass man gleich einem naiven Betrachter um das Werk herumgehen kann, einen Eingang bzw. Zugang zum Werk findet und dass eine Brücke zwischen beiden geschlagen wird. Im Rahmen der Minimal Art, in der Kunst nichts aussagen wollte, entwickelte ich das Bewusstsein, dass es unmöglich ist, seine persönliche Wahrnehmung und Erfahrung auszublenden. Jeder Mensch versucht ganz automatisch einen Bezug herzustellen und diese Vorstellung habe ich weiter entwickelt.
Ich finde auch die Logik der Statik, Physik und Metaphysik unglaublich spannend. Es gibt eine wunderbare Stelle in der Bibel: "Einer trage des anderen Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen" Dabei handelt es sich aber nicht nur um ein religiöses oder gar moralisches Gesetz, sondern um ein physikalisches und auch philosophisches, das ich in einer meiner Arbeiten, mit zwei aneinander kippenden sich gegenseitig haltenden Stühlen, aufgegriffen habe.
S.T.: Bereits als sehr junge Künstlerin mit Anfang 30 bekamen sie die Gelegenheit bei der documenta 5, die als weltweit einflussreichste Ausstellung Moderner Kunst nach dem zweiten Weltkrieg gilt, mitzuwirken. Wie würden Sie diese Erfahrung rückblickend beschreiben? Mit welchem persönlichen Werk haben Sie zur documenta 5 beigetragen?
Inge Mahn: Ich hatte das Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, denn die Hochschule in Düsseldorf genoss eine besondere Aufmerksamkeit in den 70er Jahren. Zu der Zeit war mein Arbeitsplatz im Flur der Akademie, die Plastiken waren also offensichtlich und waren nicht nur Anstoß zum Ärgernis.
Infolgedessen wurde die Staatsexamensarbeit (für Kunsterziehung) "Schulklasse", eine altmodische Schulklasse aus Gips zur documenta 5 eingeladen.
Dabei zu sein war eine gute Erfahrung, ich war noch sehr jung und die Vorbilder der Zeit wie z.B. Klaas Oldenburg waren freundliche und unkomplizierte Kollegen, "normal" im Gegensatz zu den Gegendemonstranten vor dem Fredericianum, die sich wie die "wahren" Künstler benahmen.Zu der Zeit habe ich den Wert dieser Ausstellung für mich noch nicht ganz greifen können, was allerdings auch daran liegen mag, dass ich nicht besonders geschäftstüchtig bin, wenn es um die Vermarktung meiner eigenen Person geht. Für mich steht die Arbeit, das Handwerk im Vordergrund.
S.T.: Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu New York?
Inge Mahn: Als ich 1981 mit dem PS1 Künstlerstipendium in New York ankam, bin ich eines Sonntags durch das Bankerviertel geschlendert, ohne wirklich viel Geld in der Tasche zu haben und dort auf Plastikeimer gestoßen, die ich mitnahm und mit ihnen quer durch die Stadt lief. Niemand schaute mich dabei seltsam oder irritiert an. Es war überhaupt kein Problem. In jeder anderen Stadt wie z.B. Düsseldorf hätte man komisch oder herablassend geguckt, nach dem Motto -- was macht die denn da mit den Plastikeimern -- aber hier war es schon fast eine Selbstverständlichkeit.
Wenn ich an die Zeit zurück denke, habe ich überhaupt nur gute Erinnerungen an New York, auch wenn es meiner Meinung nach eher eine Stadt für Erwachsene ist, es gab auch manch einen, der unheimliche Probleme dort hatte, ich für meinen Teil habe mich stets sehr wohl gefühlt und jeden Tag genossen, an dem ich dort spazieren gehen konnte.
Später als ich bereits an der Hochschule doziert habe, bin ich regelmäßig in den Semesterferien zurückgekehrt, um hier zu arbeiten und hatte drei Ausstellungen in der Diane Brown Gallery. Die New York Times wurde zu dieser Zeit auch auf mich aufmerksam und hat einen Artikel über meine Arbeit veröffentlicht. New York war damals noch eine Stadt der Macher, für Leute, die anpackten und bereit waren zu arbeiten. Die Stadt stand für tolle Musik, tolles Theater und tolle Ausstellungen.
Russell Radzinski: Jetzt ist es eher eine Stadt für Leute die Arbeiten lassen.
Inge Mahn: Ich hab sehr viele Künstler kennen gelernt, die nur um in New York zu sein, zahlreiche Jobs annahmen, gut dotierte Jobs hatten, um ihre Galerie bezahlen zu können, und dann Kunststudenten für sich arbeiten ließen. Für mich persönlich ist das „selber machen“, das leider einen Wertverlust erlitten hat, das Gefühl für einen Raum wie dieser funktioniert und was in ihm funktioniert und das Erschaffen von etwas Eigenständigen unheimlich wichtig. Der Wandel der Stadt war für mich ein Grund New York zu verlassen.
S.T.: Wie war es für Sie an der Kunsthochschule Weißensee zu dozieren?
Ich war vorher in Stuttgart an der Hochschule tätig und habe mir im Anschluss überlegt, ob ich nach Hamburg oder Berlin gehen sollte. Ostberlin schien mir naheliegend, da meine Familie ursprünglich aus Schlesien stammt. Zu Berlin hatte ich außerdem bereits durch Freunde und Bekannte in Bethanien einen engen Bezug und freute mich auf die Zusammenarbeit. Allerdings war der Einstieg nicht ganz so leicht.
Ich kam mir wie die Unschuldige aus dem Ausland, vor als ich 1995 nach Ostberlin kam. Dennoch bin ich sehr stolz darauf, was meine Ostkollegen und ich vor allem für die Bildhauerei in Gemeinschaftsarbeit erschaffen haben. Ich denke wir haben eine Art Grundstein gelegt und vorbereitend gute Arbeit geleistet. Die Professur an sich lag zudem nicht so weit entfernt von der Kunst, da ich sehr eng mit den Studenten zusammen gearbeitet habe und ein richtiger Austausch dabei entstanden ist.
S.T.: In Großfredenwalde haben Sie 2012 das Stallmuseum gegründet, was hat es hiermit auf sich?
Inge Mahn: Ich komme ursprünglich vom Land, aus Oberschlesien und habe eine sehr starke Verbundenheit zur dörflichen Gemeinschaft. Mir ging es mit dem Projekt darum andere nicht auszuschließen und habe in Großfredenwalde einen unter Denkmal stehendes Haus restauriert und es als Museum deklariert. Aber was ist ein Museum ohne Ausstellungsstücke? Mir war es ein Anliegen, dass jeder der Dorfbewohner seinen persönlichen Anteil zur Ausstellung beitragen sollte.
Berliner Freunde kommentierten die Ausstellung und verglichen sie mit Joseph Beuys, der auch eine sehr große Verbindung zu ländlichen, ursprünglichen Dörfern hatte. Betonen möchte ich hier jedoch, dass ich keine Auswahl der Ausstellungsobjekte getroffen hatte, sondern lediglich die Anordnung der Objekte übernahm, bei denen es sich um ländliche Artikel handelte, die von der Dorfgemeinschaft zusammen getragen wurden. Insgesamt ist es eine sehr schöne Ausstellung geworden.
An der Eröffnung habe ich das Haus als Gemeinschaftsobjekt des Dorfes und als weltoffenes Haus deklariert. Großartig finde ich, dass im Dorf alle Menschen gleichwertig angesehen werden und dass dort Künstler, die Rang und Namen haben, keinen Bekanntheitsgrad genießen und Menschen, die sich kreativ beteiligen möchten so freier in ihrem Schaffen sind.
Das Projekt ist jetzt allerdings auch wieder beendet, da es mir kein Anliegen ist, einen Ausstellungsbetrieb zu eröffnen. Zur Weihnachtszeit ist das Dorf wieder an der Reihe, da stellen wir einen großen Weihnachtsbaum auf und schmücken ihn zusammen.
S.T.: Sie gelten als Meisterschülerin von Joseph Beuys. Haben Sie eine besondere Erinnerung an ihn?
Über einen Zufall kam ich zu Beuys. Ich hab in Bielefeld Abitur gemacht und die Akademie von Düsseldorf lag am nächsten zu meiner Heimatstadt. Ich war zuerst bei einem Herrn Bobek, der von der Berliner Schule kam, der uns vermitteln wollte, dass man als Künstler leiden müsse und dass Frauen sowieso keine Kunst machen könnten.
Die Klasse von Beuys stach mir ins Auge, da sie sehr lustig waren, einen ziemlich entspannten Umgang pflegten und in einer bodenständigen Art mit Kunst umgegangen sind. Beuys kam vom Land und schwebte nicht in Wolken, nein er hatte beide Beine auf dem Boden. Ich hab Beuys dann angesprochen, und gefragt, ob ich zu ihm kommen könne, und er nahm mich auf, und ich fand wieder einen richtigen Bezug zur Realität und zur Kunst.
Russell Radzinski: Aber du siehst dich nicht als Nachfolgerin der Fluxus Bewegung?
Ich sehe mich als überhaupt keine Nachfolgerin von einer Kunstrichtung an. In der Nachkriegszeit war es wichtig etwas Neues zu erschaffen. – Schluss mit dem was vorher war, auf keinen Fall figürlich, sondern nur bedingt. Ich sehe mich nicht als Jünger oder Nachfolger von einer Bewegung der damaligen Zeit. Es gibt gewisse Parallelen, denn natürlich spielt der Einfluss des Studiums eine gewisse Rolle. Ich hab Kunst damals als Appell aufgefasst, etwas Neues zu entwickeln.
Hier geht es zur englischsprachigen Version von unserem Kollegen in New York
www.station-station.com/berlin/inge-mahn-going-strong/
Freunde der Künste,