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18.12.2012 Kritik zu "Der Hobbit - Eine unerwartete Reise"

„Wenn Beutlin verliert, fressen wir es ganz auf.“ – Martin Freeman sorgt zwischen Orks und Trollen für geistreiche Momente

von: GFDK - Marie Allnoch

Große Erwartungen

Mit der epischen Verfilmung der „Herr der Ringe“-Saga hat Peter Jackson sich vor 11 Jahren endgültig in den Regieolymp katapultiert. Seither wurde viel rezipiert und gelobt, nun wird viel erwartet. Die offizielle Meldung, Peter Jackson werde sich auch dem „Kleinen Hobbit“, der ebenfalls von J.J.R. Tolkiens verfassten Vorgeschichte, annehmen liegt 5 Jahre zurück. Die Spekulationen haben sich überschlagen, erste Bilder und Trailer wurden pedantisch unter Verschluss gehalten und dann heroisch gefeiert. Zur Weltpremiere in Wellington/Neuseeland, Heimatstadt von Peter Jackson und Heimatland von Waldläufern und Orks, ließ sich kein Mitglied der geladenen Hollywoodprominenz zweimal bitten.

 

Zuckersüße Reisevorbereitungen

Nun ist es also soweit, der Tag der Wahrheit. Mit einem Softdrink bewaffnet, der New Yorks  Bürgermeister Bloomberg die Tränen in die Augen treiben würde, suche ich den richtigen Kinosaal. Eigentlich kann ich ihn gar nicht verfehlen, am Premierentag läuft nur auf einer einzigen der elf Großleinwände ein anderer Film. Spannung und Erwartungshaltung steigen, meine Reise nach Mittelerde kann beginnen.

Es ist als wäre ich nie weggewesen. Frodo Beutlin, Star der „Herr Der Ringe“-Trilogie, empfängt mich im Haus seines Onkels Bilbo, gelegen im Auenland, der Heimat der Hobbits. Friedfertigkeit und Ruhe des Halblingsdorfes lassen sofort ein Gefühl von Vertrautheit aufkommen und entführen mich in die umschwärmte Phantasiewelt Tolkiens. Auch das Buch, in dem Bilbo seine Erlebnisse aufzeichnet, kommt mir bekannt vor: in den „Herr der Ringe“-Filmen hat er hier kontinuierlich seine Abenteuer festgehalten. Mit einem brillanten Schachzug, fast unmerklich, lässt Jackson den Zuschauer in die niedergeschriebene Geschichte eintauchen und führt ihn so zurück in die Vergangenheit, der Zeit des jungen Bilbo Beutlin.

 

Ein polemisches Manifest

Die Uhren sind um 60 Jahre zurückgedreht: Eine Gruppe Zwerge hat sich aufgemacht, ihre vor langer Zeit verlorene, von einem Drachen besetze Heimat zurückzuerobern. Gandalf der Graue, seines Zeichens einer der mächtigsten Zauberer Mittelerdes und enger Freund des Beutlin-Clans, bietet Bilbo das Abenteuer seines Lebens an. Er soll sich der Zwergengemeinschaft anschließen, die Position eines Meisterdiebes besetzen, denn er ist flink und wendig. Weshalb ausgerechnet Bilbo Beutlin der Auserwählte ist? Ich tappe im Dunkeln. Eine pathetische Antwort darauf bekomme ich im späteren Verlauf des Films, eindrucksvoll und rhetorisch ausgefeilt hält Gandalf auf Nachfrage einer Elbin eine Ode an den kleinen Mann, droht sich in einer Phrasenpredigt über soziale Gleichstellung zu verlieren. Vor karamellisiertem Sonnenuntergang kratzt er grade noch die Kurve und gesteht Selbstzweifel und Angst. Der kleine Mann wird’s schon richten.  Nach einigem Zögern entschließt sich Bilbo, neue Wege einzuschlagen und den Zwergen zu folgen.

 

Die Kreuzritter des 21. Jahrhundert?

Im weiteren Verlauf der Reise werden tiefe Verstrickungen der „Herr der Ringe“- Trilogie aufgeklärt, beispielsweise die bisher willkürlich scheinende Feindschaft zwischen Elben und Zwergen. Wohltuende Antworten, die erneut eine Verknüpfung zur nachfolgenden Geschichte herstellen. Viele Figuren aus der Trilogie werden wieder aufgegriffen, aber das epische Gefühl das diese ehemals fabelhafte Welt vermittelte bleibt aus. Trolle, von Nasensekreten angewidert und über Salbei streitend, irritieren. Überhaupt scheint das 21. Jahrhundert Einzug gehalten zu haben im zeitlosen Reich Mittelerde. Trotz der dank neuester HFR 3D – Technik noch martialischer wirkenden Kampfszenen scheinen die Protagonisten verweichlicht, den bisher ehrwürdigen „Gefährten“ und „Männern“ raunt man jetzt im Akkord „Los, Jungs!“ zu. Der neue Mann? Nur einer einzigen Frau, der Elbin Galadrien, kommt eine Rolle von Bedeutung zu. Ich frage mich, wo all die anderen bildschönen weiblichen Fabelwesen verblieben sind. Mit ihrer Karriere beschäftigt?

 

Ein oscarverdächtiger Martin Freeman zerrt am  Niveau

Ganz anders die Figur des Bilbo Beutlin, brillant gemimt von Martin Freeman. Schon im Verlauf des ersten Teils der „Hobbit“-Trilogie durchlebt der Charakter des jungen Halblings eine fesselnde Wandlung. In Coming-of-Age-Manier trägt Jackson den heimelichen, gemütlichen Hobbit durch geistreich kreierte Sequenzen hin zum selbstbestimmten Helden. In der ersten Begegnung Bilbos mit der bedauernswerten Kreatur Gollum (Andy Serkis) beweisen die beiden Schauspieler überwältigendes Feingefühl, das an die großen Theaterbühnen der Welt erinnert. Der Charakter Beutlin bleibt dabei jederzeit in Bewegung, zeigt unterschiedlichste Facetten und bietet so dem in der „Herr der Ringe“-Saga stagnierenden Charakter Frodo erfolgreich die Stirn.

 

Trotz großartiger Technik und imponierenden Aufnahmen kann Peter Jacksons Adaption nicht gänzlich überzeugen. Die verkrampfte Dreiteilung der Romanvorlage lässt den Handlungsverlauf künstlich in die Länge gezogen wirken. Zu offensichtlich ist die Sorge um finanzielle Ausschöpfung größer als die um die Klärung wichtiger Aspekte, wie der Bedeutung des Rings für den folgenden Handlungsverlauf. So verliert das Geschehen im ersten Teil der Trilogie seine Notwendigkeit, der Film wirkt unselbstständig und ohne Fortsetzung sinnwidrig. Dennoch lohnt die Beschäftigung mit der „Unerwarteten Reise“: Martin Freeman fesselt den Zuschauer mit bescheidener Zurückhaltung und Authentizität über die 169 Minuten hinaus und macht damit umso besser, was ich an anderer Stelle misse.

Als der Vorhang sich schließt frage ich mich, was Tolkien, Professor für englische Sprache in Oxford, an meiner statt wohl niedergeschrieben hätte. Ich werde es niemals erfahren, nur so viel ist sicher: Martin Freeman alias Bilbo Beutlin hat sich mit britischem Charme Tolkiens Idee würdig gezeigt und so das Niveau der Produktion beflügelt. Marie Allnoch

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