hamburger-retina
16.05.2019 beeinflusst von der Surf Music der 60er Jahre

Vorgestellt: Die schwedische Künstlerin Lykke Li Zachrisson prägt selbstbewußt die internationale Musikszene

von: GFDK - Künstler Vorgestellt

Lykke Li Zachrisson kam 1986 als mittleres Kind einer Fotografin-Mutter und eines Musiker-Vaters zur Welt. Dass ihre Mutter sie stehend und ohne Narkotika gebar, war ein Ausdruck des revolutionären Krankenhaus-Credos „being born on a woman’s terms“ und vermutlich LYKKE LIs erste Konfrontation mit der Frauenwelt, die auch ihr Ringen mit der Frage der Zugehörigkeit begründen sollte.

Die Zachrissons waren eine Familie, die niemals still stand, von Schweden nach Neuseeland und schließlich nach Portugal zog, wo sie sich in einem Bergdorf niederließen, um der Nachstrahlung des Tschernobyl-Desasters zu entkommen.

Als folgsames Rebellenkind, das seine ersten Schritte barfuß auf scharfen Kieseln zu Pfauenlauten und Donner machte, die Winter in Indien, Nepal und Marokko verbrachte und in elf verschiedenen Einrichtungen zur Schule ging, wandte sich Lykke schnell dem Kritzeln von Gedichten und dem Tanzen zu – nicht aus Interesse sondern als Notwendigkeit.

Als die Familie schließlich einige Jahre später nach Schweden zurückzog, hatte sich das Umherwandern bereits auf die Natur der inzwischen Neunjährigen ausgewirkt, deren Innerstes rastlos und frühreif war.
 
Mit 19 war Tanzen kein adäquates Outlet mehr für LYKKE LIs immer lauter werdende Seele, und so wurde der Gesang zum Heilmittel für ihre jugendlichen Leiden und die Beschränkungen von Stockholms Vorstadt. Schließlich verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach New York, zog in Bushwick ihr Ding durch, schaltete und waltete, uptown und zurück.

Als sie eines Morgens in ihrer rattenverseuchten Kammer einer Wohnung aufwachte, nachdem sie am Abend zuvor bei einer Open-Mic-Nacht von der Bühne gebuht worden war, wurde ihr schlagartig klar: Schlimmer kann es nicht werden, ab jetzt kann es nur noch bergauf gehen – und sie wusste, dass die Kunst, in welcher Form auch immer, für immer ihr Leben sein würde.
 
Badabing Badaboom.
 
Zurück in Stockholm, pleite und allein, aber zu allem bereit, lag Lykke dem Produzenten Björn Yttling (von Peter, Bjorn & John) in den Ohren und fand in ihm den passenden Deckel für ihren Topf, da er sie in die Welt des professionellen Schreibens und Aufnehmens von Musik einführte.
 
2007 nahmen die beiden 14 Songs auf, aus denen LYKKE LIs gefeiertes Debütalbum Youth Novels werden sollte – ein Werk, das die 21-Jährige schnell berühmt machte und sie auf ein atemberaubendes Rennen durch die Welt klaustrophobischer Backstage-Räume, greller Lichter, verruchter Partys, wuseliger Flughäfen, mieser Typen, hübscher Fremder, faltiger Mode und Stripper-Stiefeln, wertiger Lumpen und Balisons in überstrapazierten Koffern führte. Und zum Herzschmerz...


Gott segne den Herzschmerz, werden wohl alle mit einstimmen, schließlich war dieser für den unvergesslichen Song „Possibility“ verantwortlich, der von einer ziemlich kaputten Einstellung gegenüber der Liebe zeugt, für den Film „Twilight – New Moon“ geschrieben wurde und Millionen junger Vampirseelen aus dem Herzen sprach, die sich danach sehnten, nicht dazuzugehören. Und zu lieben.
 
„Mein letzter Tango mit der Liebe endete ziemlich übel, aber man kann sagen, dass ich mein eigenes Herz gebrochen habe. Liebe war nur mein Instrument und der Herzschmerz mein Geist – etwas, an das ich mich klammern konnte, als alles um mich herum zusammenbrach...“
 
Nach zwei verrückten Jahren, in denen praktisch jeder Ort, jede Person und jedes Vergnügen auf dieser Erde nach ihrer Aufmerksamkeit lechzte – außer der Liebe natürlich –, sehnte sich LYKKE LI verzweifelt nach einem Ort, an dem sie sich ausruhen konnte anstatt auf einer Bühne zu tanzen. Da es keinen Ort gab, den sie ihr Zuhause nennen konnte, beschloss sie einmal mehr, nach New York zu gehen – um ein bisschen zu leben!
 
„Zwei Monate verbrachte ich dort und hatte eine gute Zeit. Doch ich war ausgemergelt, New York war für mich zu dem Zeitpunkt der falsche Ort. Und als ich den Stecker gezogen hatte, als ich allein war und die Flut von Angeboten und Einladungen langsam verebbte, musste ich mich damit auseinandersetzen, wer ich war.

Auch wenn sich meine Lebensumstände drastisch geändert hatten und mir alles offen stand, was ich mir je erträumt hatte, hatte ich immer noch die gleichen Gefühle wie vorher: die gleiche Existenzangst, die gleiche Rastlosigkeit. Ich hatte mich nicht verändert und wartete noch immer. Ich musste etwas unternehmen. Ich musste wachsen.“
 
Also floh LYKKE LI in den Westen, in die kalifornische Wüste, spielte in einem schrägen und dunklen Moses-Berkson-Film namens „Solarium“ mit und begrub einen Teil ihres verletzten Herzens im brühend heißen Wüstensand. Den Rest nahm sie mit in ein Haus auf einem Hügel im Osten von Los Angeles, wo sie sich ein Fahrrad und eine Autoharp kaufte, ein wenig prachtvolles Klavier lieh, ein paar Blumen in ihrem Zimmer verteilte und sich hinsetzte um nachzudenken.
 
Zur Ruhe gekommen, ein bisschen einsam und mit der Gainsbourg’schen Angst konfrontiert, dass dich der Geist einer Liebe, die nie wirklich gelebt hat, für immer verfolgen wird, immer in dir hausen wird, ungeboren und untot, suchte sie Trost in der Musik.
 
Schon bald erzitterte die Bergkuppe des Echo Parks unter der Musik jener Gemüter, die an einem ähnlich kontemplativen, gebildeten und schmerzvollen Ort waren wie sie: Leonard Cohen, Neil Young und Dr. John gemischt mit Velvet Underground und This Mortal Coil, alles unter dem omnipräsenten Bann von Alan Lomax Feldstudien, Whiskey und Darjeeling.
 
Doch wie jeder, der sich in den Untiefen von Sehnsucht und Verlust befindet, war LYKKE LI darauf bedacht, sich wieder zu berappeln und in sich selbst die Essenz ihrer Musik wiederzuentdecken. Sie dürstete nach der rauen Kraft der Schlichtheit, nach einer Form aufrichtiger Wahrheit.


Sie kam zu dem Entschluss, dass es – unabhängig von Furcht, Verlust und Sehnsucht – nicht um die Perle in der Auster geht sondern um das Sandkorn, aus dem die Perle entsteht. Um die Kohle selbst, nicht den Diamanten, der aus ihr entstehen kann. Um das Jetzt, das sich unausweichlich ins Dann verwandelt, und das Wenn, aus dem vielleicht nie ein Jetzt wird.
 
Und dann fing sie an zu schreiben.
 
„Ich wollte zurück zu den Anfängen, als Songs noch etwas bedeuteten. Ich wollte Minimalismus, nur Texte und Melodien. Wie alle großartigen Songs sollten auch meine nur mit Handschlägen und Gesang gespielt werden können.“
 
Sie bündelte den Niedergang des Shangri-La-Leitwolfs mit „Women Under The Influence“, „Ladies And Gentlemen Of The Canyon“, einer Kung-fu-Marianne-Faithful und einer bewaffneten Nancy Sinatra im Kaktusrausch und machte Musik.

Aus ihrem Kopf kamen Voodoo-Trommeln, ein paar schmerzende Akkorde, peitschend und heilig, erschütternd und hoppelnd zugleich, und eine Stimme, die sich urplötzlich vom Sehnsuchtsvollen zum Fordernden gewandelt hatte, vom Fragilen zum Rauen.
 
„Wenn ich singe... dann geht es immer um meine intimsten Emotionen, über die ich mit niemandem sprechen würde. Aber es ist meine Bühne, mein Raum, an dem ich alles ausdrücken kann, was ich will. So oder so – ich setze die Grenzen, ich mache die Regeln. Ihr müsst draußen bleiben.“
 
„These scars of mine make wounded rhymes tonight“, singt sie und setzt damit den Titel ihres zweiten Albums in einen Kontext. Ein Zweitwerk, das das Recht einfordert, nicht dazuzugehören, wohlwissend, dass es dies dennoch tut. Von einer Künstlerin, die zu gleichen Teilen aus Diesseits und Jenseits, Liebe und Zerstörung, Kampf und Glauben besteht.
 
„Das könnte es tatsächlich sein, mein letztes Hurrah. Dieses Album musste perfekt sein, es muss für Dekaden vorhalten. Für alle Fälle.“ 
 

Mit den Worten einer Mutter, die einst aufstand, um eine Künstlerin zu gebären:
 
„Tanz’ solange du noch kannst“, singt LYKKE LI.
„Tanz’, weil du musst.“

 

 

Top