Gerhard Rießbeck durchlebte während der langen Seereisen intensiv die Schönheiten und Schrecken des ewigen Eises (c) Gerhard Rießbeck
Das berühmte Bild des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, „Das Eismeer“ („die gescheiterte Hoffnung“) stand am Anfang einer Entwicklung, die den jungen Künstler Gerhard Rießbeck als Landschaftsmaler schließlich bis in die eisigen Regionen der Arktis und Antarktis führte.
Gleich nach Beendigung seines Studiums an der Kunstakademie in Nürnberg, die ihn zum Meisterschüler machte und wo er später auch als Assistent lehrte, erhielt er ein Reisestipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für ein Land seiner Wahl, und Rießbeck wählte, seiner Vorliebe für die karge Natur der Polargebiete entsprechend, einen Aufenthalt in der elementaren Natur Islands.
Tief beeindruckt von dieser Landschaft folgten in den nächsten Jahren zahlreiche weitere Reisen nach Norwegen, Grönland und ähnlichen Regionen. Das Erlebnis dieser atemberaubenden Natur, die Rießbeck meist zu Fuß durchwanderte, oder, wie in Grönland, auch mit dem Kajak erkundete, fand seinen künstlerischen Ausdruck in zahlreichen, oft großformatigen Ölbildern, die nach Skizzen im Atelier entstanden.
Die Gelegenheit, auch in die dem Wanderer sonst unzugänglichen Regionen der Arktis und Antarktis zu gelangen, erhielt der Maler durch eine Einladung des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung: Als „Expeditionsmaler“ auf dem Eisbrecher „Polarstern“ dokumentierte er malerisch zwei wissenschaftliche Expeditionen und durchlebte während der langen Seereisen intensiv die Schönheiten und Schrecken des ewigen Eises.
Gerhard Rießbecks Bücher „Einundvierzig Tage in der Grönlandsee“ und „Eistage“, sowie „Der Blick des Forschers“ berichten von diesen starken Erlebnissen und zeigen die Bilder, die er trotz Sturm, Eis und Seekrankheit Tag für Tag an Bord schuf.
Gerhard Rießbecks Gemälde waren in zahlreichen Ausstellungen in Museen und Galerien Deutschlands zu sehen. Wichtige Werke befinden sich unter anderem in der Sammlung des Deutschen Bundestags, Berlin, in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und im „Eismuseum“ des berühmten Bergsteigers Reinhold Messner in Südtirol.
von Gerhard Rießbeck
Dem Blick des Forschers schreibt man üblicherweise Nüchternheit zu, eine kühl gliedernde Distanziertheit, die mit Interesse, aber ohne Emotion die Welt der Erscheinungen zu verstehen versucht und sie dabei den Kategorien menschlicher Logik unterwirft.
Es ist ein prüfender Blick, ein Werkzeug der visuellen Kontrolle, der einer intellektuellen Aneignung voraus geht und letztendlich dem forschenden Menschen zur Macht über die von ihm durchschaute Umwelt verhilft. Der Blick des Forschers wird damit zum Blick des Eroberers.
Darin scheint der Blick des Forschers dem des Künstlers, des Malers, verwandt. Auch für diesen ist das Sehen zugleich Werkzeug zum Verständnis und Machtmittel, wenn es darum geht, das Verstandene in die Ordnung eines Kunstwerkes zu überführen. Und umfassender noch als je ein Eroberer sich Teile der Welt unterwarf, ist die vom Künstler gestaltete Welt ganz sein eigen, ganz von ihm in Ordnung gebracht.
Allerdings erobert der Künstler nichts, was außerhalb seiner selbst liegt. Er entdeckt nichts, was nicht schon in ihm angelegt wäre. Er ist absolut egozentrisch, das heißt, alle gesehenen Dinge werden nur wichtig, wenn sie sich in Bezug setzen lassen zu seiner inneren Welt. Das lässt sich verbildlichen mit dem vom Horizont begrenzten, scheibenförmige Gesichtsfeld des Menschen: Die Welt gruppiert sich scheinbar um ihn als ihren Mittelpunkt herum. Nur in dieser Ordnung kann er die Dinge wahrnehmen und das ist auch der Filter, der aus der Fülle der Eindrücke ein Kunstwerk formen kann. Genau diesen „Ego-Filter“ muss aber der exakte Wissenschaftler im Gegensatz zum Künstler auszuschalten versuchen, um objektive, allgemein nachprüfbare Daten zu erhalten. Und so führt der forschende Blick, der beiden gemeinsam ist, zu grundsätzlich gegensätzlichen Ergebnissen.
Meine Reisen in die Polarregionen der Erde entsprangen einem Bedürfnis nach Selbstvergewisserung, nach Bestätigung der in früheren Bildern schon zumindest teilweise erarbeiteten Ordnungsprinzipien. Unbestreitbar übt die extreme Natur, vor allem, seit sie im Verschwinden begriffen ist, eine große Faszination aus, nicht nur auf Künstler und Abenteurer. Ihre zum Teil spektakulären Erscheinungsformen: ihre grenzenlose Öde, ihre vom Menschen noch nicht wirklich beherrschte Widerständigkeit, ihre tatsächliche Unmenschlichkeit – Eigenschaften, die sich dem klassisch-romantischen Topos der „Erhabenheit“ zuordnen lassen –scheinen einem Grundbedürfnis des Menschen nach Konfrontation mit dem, was über das menschliche Maß hinausgeht, zu entsprechen und eröffnen mir als Maler metaphorische Qualitäten, die über das Abbilden weit hinausführen. Die Natur der Polarregionen widersetzt sich dem abstumpfenden Gewöhnungsprozess durch ihre Maßlosigkeit. Der Mensch kann nicht Teil dieser Natur werden, sie ist eine Herausforderung, die entweder zum Rückzug zwingt, -sei es zurück in die Zivilisation, sei es in sich selbst-, oder zum Widerstand nötigt.
Nach wie vor scheinen diese Gebiete in der öffentlichen Wahrnehmung wie eine monumentale Metapher der Unzugänglichkeit und des Rätsels. In der Realität werden sie mehr und mehr der menschlichen Manipulation anheim fallen, oder gar durch Abschmelzen ganz verschwinden, was als ideeller Verlust genauso katastrophal sein dürfte, wie als ökologischer. Wenn der ganze Globus den Charakter eines Gewerbegebietes angenommen haben wird, wenn alle Rätsel gelöst und durch Probleme ersetzt sein werden, wird auf der Erde nichts mehr sein, was dem kleinlichen Maß des Menschen andere Dimensionen gegenüberstellt, nichts mehr, an dem sich zu messen und sich zu klein zu fühlen wäre, nichts mehr als die allumfassende Mediokrität menschlichen Strebens.
Es gibt zwar keine unentdeckten Flecken mehr, aber dafür kann die Malerei Unbekanntes schaffen und eine Distanz sichtbar machen. Die Kunst wird so zum Modell für das nicht manipulierbare Unzugängliche. Sie hat seit jeher die Kraft, die Welt nicht allein aus dem Aspekt des Nutzens zu sehen, sondern aus dem Aspekt der Wirkung; die Frage der Kunst ist nicht, was mache ich mit dem, was ich sehe, sondern, was hat das, was ich sehe, mit mir zu tun.
Während meiner Tätigkeit als „Expeditionsmaler“ auf dem Forschungsschiff „Polarstern“ in der Arktis (2001) und Antarktis (2005) hatte ich Gelegenheit, mir über diese Zusammenhänge Gedanken zu machen und Beobachtungen anzustellen über die verwandte, bzw. unterschiedliche Art und Weise der Anschauung von Künstler und Forscher.
Ohne Anführungszeichen geschrieben, suggeriert der Begriff Expeditionsmaler ohnehin eine enge Verbindung des Künstlerischen mit dem Dokumentarischen, eine Einheit, die über Jahrhunderte ihren Zweck erfüllte, nämlich visuelle Information über unbekanntes Terrain zu liefern. Dies geschah wohl aber meist eher auf Kosten der Kunst, sodass schließlich der Maler auch leicht durch den Fotografen oder sublime Messtechnik zu ersetzen war.
Ein Künstler heutiger Prägung, also auch ich, ist solchem Schicksal freilich enthoben, da er nicht in den funktionalen Kontext des Gebraucht-Werdens einzuordnen ist und also wirklich unbrauchbar, aber eben auch nicht ersetzbar ist. In diesem Sinne ist meine Tätigkeit zur „Expeditionsmalerei“ geworden, zu einem Rollenspiel in Anführungszeichen, das es mir erlaubte, zeitweilig scheinbar die Haltung des Objektiven einzunehmen, fast ein Forscher zu sein und die drückende Last der künstlerischen Freiheit durch ein disziplinierendes pseudo-dokumentarisches Konzept außer Kraft zu setzen, z. B. .also von jedem Tag auf See ein Bild gleicher Größe zu malen (siehe Katalog „Eistage- Expeditionsmalerei in der Antarktis“).
Und war das nicht doch auf seine Weise genau so exakt, genau so diszipliniert und genau so willkürlich, wie die Tätigkeit der Ornithologen auf dem Schiffsdeck, die zum Zweck der Vogelzählung nach einem strengen Regelwerk (nur, wenn das Schiff fährt, nur in einem bestimmten Winkel usw.) auf das Meer blickten, um ein in Zahlen übersetztes Bild der um ihre Köpfe schwirrenden Wirklichkeit zu erhalten? Und hat meine kleine begrenzte Malfläche nicht genau so viel oder wenig mit der ungeheuren Weite der Antarktis zu tun, wie der winzige Ausschnitt auf dem Bildschirm der Tiefseekamera, der den gierigen Forscheraugen die unbekannte Welt des 5000 Meter unter ihnen gelegenen Meeresbodens erfahrbar machen soll?
Der auffällige Kontrast meiner rustikal-handwerklichen Malutensilien zur hoch technisierten Ausrüstung der Naturwissenschaftler an Bord kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die exakteste Messung wieder nur ein in Daten gefasstes Bild liefert, dessen Respekt gebietende Genauigkeit nicht mit Wirklichkeit oder gar Wahrheit zu verwechseln ist.
Die Auseinandersetzung mit der Problematik des forschenden Blicks hat in meiner Arbeit nach den reinen Landschaftsbildern in den letzten Jahren zu einer Gruppe von Bildern geführt, auf denen dick vermummte Gestalten in eisiger Landschaft zu sehen sind.
Ich bezeichne diese Figuren als „Forscher“, obwohl eigentlich nichts in ihrem Auftreten direkt auf eine spezielle Tätigkeit hinweist. Weder ihr Handeln noch ihre Psyche werden ersichtlich, es bleibt offen, ob sie scheitern oder Erfolg haben. Nur ihre Ausgesetztheit in der Natur wird deutlich, die sie als Menschen in extremer Situation, als Grenzgänger, ja, als „Avantgarde“ ausweist.
Es ist ein durch die verhüllende Kleidung anonymisierter Heldentypus (und als solcher fern von den tatsächlichen Naturwissenschaftlern, wie ich sie erlebt habe), der in einer prekären Balance aus Ohnmacht und Eroberungsdrang verweilt.
In einer weiteren Reihe von Bildern schließlich ist dann nur noch der verhüllte Kopf des „Forschers“ zum Thema geworden. Die Natur, die eigentlich diese Verhüllung bedingt, ist ausgeblendet. Nun sind der Forscher und sein Blick selber Gegenstand der Betrachtung. Dick vermummt, sogar meist die Augen noch mit Brillen geschützt und daher überindividuell, schaut er aus dem Bild heraus, scheint den Betrachter zu fixieren und wird dabei selbst geprüft, ohne doch durchschaut werden zu können.
Beide Themenkreise, Forscher und Landschaft, verbindet das Meta-Thema der Distanz, des Sich-Entziehens: die Köpfe geben ihre Individualität nicht preis, die Eislandschaft widersetzt sich dem Betreten. Die Zudringlichkeit des Betrachtens und damit die des Betrachters wird zurückgewiesen und lässt ihn allein mit seiner Vorstellungskraft. Ist nicht das, was wir nur ahnen können, größer als das, was wir wissen und das Wissen der Tod der Phantasie? Die Verhüllung der Landschaft mit Eis und die Vermummung der Menschen funktionieren als Schutzmechanismus, bieten Schutz vor Vereinnahmung und Manipulation, Schutz vor der Lösung des Rätsels. Und damit das genaue Gegenteil von Forschung.
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